Gehäkelte Weihnachtsmänner

Prof. Matthias Weber, Niederbettingen

Es war am Dienstag nach dem zweiten Adventssonntag. Nachmittags um drei Uhr hatte ich einen Arzttermin in Hillesheim. Bis ich drankam, vertrieb ich mir im Wartezimmer die Zeit mit Blättern in den ausliegenden Zeitschriften. Den "Spiegel« hatte ich bald durch- Da entdeckte ich unter einer Sportzeitschrift das Spezialheft »Bild der Frau«. Ich überflog die kurze Inhaltsübersicht auf der Titelseite. Die Zeitschrift stammte aus der vorletzten Novemberwoche. Der Artikel auf den Seiten 36 und 37 weckte mein Interesse. Er hatte die Überschrift "Adventsschmuck«.

Versprochen wurden im Untertitel »Wunderschöne Ideen für Ihre Wohnung«. Immer aufgeschlossen für neue Bräuche - Advents brau ehe zählen hochgradig dazu, man denke nur an die Fülle der Nikolausbräuche - vertiefte ich mich in die gedruckten Texte und bunten bilder. Was waren ihre Stichworte? "Kerzen zaubern Stimmung« hieß das Eingangsmotto. Gezeigt wurden Arrangements in "Dekorativ«, »Ausgefallen« und "Klassisch«, was immer das im einzelnen heißen mag. Die nächste Schmuckidee hieß »Fenster werden festlich«. Empfohlen wurde dazu "Statt Türchen öffnen Licht anzünden«. Gemeint war offenbar die Ablösung des traditionellen Adventskalenders, an dem die Kinder so gerne die Tage bis Weihnachten abzählen. An jedem Tag sollte also ein neues Licht angezündet werden. Dazu waren "Fensterbilder nach alten Vorlagen« vorgesehen. Auch für die Türen, sowohl die Haustür als auch die zum Wohnzimmer, waren besondere Schmuckelemente angeboten. Für die Haustür ein selbstgemachter Kranz aus Zweigen von Kiefer, Eibe und Blautanne. Darin einbezogen kleine Zweige von Hagebutten, Schlehen und Knallerbsen. Das ganze Gebinde war mit roten und goldfarbenen Schleifen umwickelt. Für die Wohnzimmertür wurde ein weißer Tüllvorhang empfohlen. Zur Seile gerafft mit Goldbändern und in seinen beiden Feldern besetzt mit Tannenzweigen. Von der Mitte oben schwebte über allem ein Goldengel. Als Clou des Ganzen erschienen als adventlicher Tellerschmuck »gehäkelte Weihnachtsmänner", also die gleichsam texlilisierten Abbilder jener Kreuzung zwischen Nikolaus und Christkind. Erkennbar an ihren roten Gewändern mit einer roten Zipfelmütze und langem weißen Bart. Der heilige Nikolaus als das große Vorbild aller adventlichen Nikoläuse war bekanntlich ein Bischof, trug eine Mitra (Bischofsmütze] und keine Zwergenmütze mit weißem "Bommel«. Und das Christkind konnte als Kind ja noch gar keinen Bart haben.

Es kann kaum zweifelhaft sein, dass die oben kurz beschriebenen Schmuckideen da, wo sie bisher noch nicht verwirklicht wurden, bald Einzug halten werden in unsere Häuser, etwa als Licht- und Lebenssymbole sowie Bringer und Träger von Freude und Glanz, gerade in den dunkelsten Monaten des Jahres. Vor rund eineinhalb Jahrzehnten standen in der Adventszeit die ersten mit elektrischen Kerzen beleuchteten »Christbäume« in den Vorgärten unserer Eifeldörfer. Heute gibt es sie in kleinen und großen Varianten. Hinzugekommen ist die "Konkurrenz« der spitzwinkligen Lichtbrücken auf den inneren Fensterbänken, sowie die teilweise mehrfarbigen Lichterrahmen hinter den Fenstern. Der technische Fortschritt und die moderne Konsumgesellschaft machen es möglich. Das Schmuckbrauchtum entwickelt sich mit wachsendem Wohlstand. Die Zeiten sind lange vorbei, in der die Eifelkinder im Advent beteten: »Hellech Nekeläsje, komm iwet (über das) Sträßje - komm an os Dir (an unsere Tür] on breng mo (mir) en jedreischt Bir (getrocknete Birne)«, zitiert nach Adam Wrede, Eifeler Volkskunde. Wie schön, dass trotz aller "Fortschritte" in vielen Eifeldörfern immer noch, wenn auch häufig nur auf telefonische Bestellung, der Nikolaus mit Mitra, Krummstab, dickem Buch und Geschenkesack kommt und dies nicht allein, sondern in gehöriger Begleitung des "Schwarzen«. Noch geben sie dem »Weihnachtsmann«, auch einem »gehäkelten«, keine Chance.