Was junge Leute interessiert

Der Frieden hat einen dicken Bauch und rote Backen

Erfolgreiche Uraufführung im Dauner Gymnasium

Malte Blümke. Daun

Die Worte über den Frieden mit dem dicken Bauch und den roten Backen spricht der vierzehnjährige Tobias (Matthias Ixfeld) zu seiner Schwester Anne (Mären Haferkamp] in einer der bewegendsten Szenen des Stückes »In dreihundert Jahren vielleicht«. Beide haben den Frieden aus eigener Erfahrung nicht kennengelernt, denn das Stück spielt im Oktober des Jahres 1641, also mitten im Dreißigjährigen Krieg. Sie hoffen auf den Frieden, der in dreihundert Jahren vielleicht kommen werde. Kaum ein Zuschauer der gut besuchten Theaterpremiere und der Schulaufführungen konnte sich der emotionalen Betroffenheit entziehen, die durch die beeindruckenden Aufführungen der Theater-Arbeitsgemeinschaft des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Daun unter der Leitung von Gabriela Haferkamp und Malte Blümke erreicht wurde. Auf einfache und überzeugende Weise wurden die Gedanken an das Kriegsende vor 50 Jahren gelenkt. Dass die Uraufführung des Theaterstücks nach dem Roman von Tilman Röhrig in Daun stattfand, ist das Ergebnis einer langen Zusammenarbeit mit dem Autor, der kurz vor Erscheinen des Romans 1983 das Manuskript in Daun vorgestellt hatte und seitdem den Kontakt durch Autorenlesungen, das Literatur-Cafe und die Aktionswoche zum Thema Gewalt nicht abreißen ließ. Die beiden fünfzehnjährigen Schülerinnen Daniela Gorges und Nina Lehnen machten sich schließlich im Jahre 1993 an die Arbeit, aus dem Roman ein Theaterstück in dreizehn Szenen zu schreiben, und initiierten die Gründung einer neuen Theater-Arbeitsgemeinschaft. In über einjähriger Probenarbeit konnten sie daran mitwirken, wie aus dem ersten Entwurf ein aufführungsreifer Spieltext entstand. Da viele der 40 Schülerschauspieler im Alter von zehn bis zwanzig Jahren zum ersten Mal auf der Bühne standen, ist die schauspielerische Leistung um so bemerkenswerter: in den Hauptrollen Stephanie Ardner, Stefan Kutscheid, Philipp Bell, Alexandra Max, Holger Stolz und Martin Hielscher. Die jüngsten Darsteller der Gruppe, Elisabeth Krings (Grundschule Daun), Jens Christian Kors (5. Klasse) und Nils Blümke (6. Klasse) zeigten, dass auch junge Schauspieler anspruchsvolle Texte spielen können. Die vielen Proben und vor allem das Theaterseminar in der Lernwerkstatt Niederstadtfeld haben die Theater-AG zusammengeführt; auch das Spielen eines ernsten Stückes kann Freude bereiten. Das Theaterstück zeigt aus der Binnenperspektive eines kleinen Dorfes in Deutschland, wie der Dreißigjährige Krieg — der bis dahin schrecklichste Krieg in der Menschheitsgeschichte — den Menschen zum Tier werden ließ. Die Theateraufführung bringt die Schrecken des Krieges selbst aber nicht auf die Bühne, sondern zeigt, auf welche Weise die kleinen Leute auf dem Lande, Frauen, Kinder, alte Menschen, Opfer des Krieges werden und wie diese damit umgehen. Die Soldaten erscheinen kein einziges Mal auf der Bühne, sind als Bedrohung aber immer präsent; sie sind Täter, aber auch Opfer, wie die Szene mit den verwahrlosten Soldatenkindern und Soldatenweibern zeigt.

 

Alle freuen sich über die Geburt des kleinen David im Theaterstück »In dreihundert Jahren vielleicht«

Der Dorfvogt ruft die Bewohner auf, sich vor den Soldaten zu verstecken.

 

Obwohl das Stück in der Zeit vom 3. Oktober bis 7. Oktober 1641 spielt, ist kein Historienstück entstanden. Immer wird klar, dass das Geschehen des Dreißigjährigen Krieges den Schluss auf das zwanzigste Jahrhundert zulässt. Dennoch sind Bühnenbild, Kostüme, Musik, Maske und Requisiten authentisch gehalten. Schwierig war das besonders für Gabriela Haferkamp, die sich auch um die Kostüme kümmerte, denn die heutigen Kleider bestehen fast ausschließlich aus Kunstfasern. So war es ein Glücksfall, dass Herlinde Droste den Theaterfundus der ehemaligen Laienspielgruppe aus Schalkenmehren zur Verfügung stellte. Die Kostüme stammen aus dem Besitz ihrer Mutter, der Gründerin der ehemaligen Heimweberei Schalkenmehren, sie bestehen aus Naturfasern, sind handgewebt und mit Naturfarben gefärbt.

Nele Bednarczyk gestaltete das gelungene Bühnenbild nach den Vorlagen alter Meister aus dem 16. und 17. Jahrhundert, tatkräftig unterstützt durch die Mitglieder der Kunst- und Theater-AG. Einfallsreich war die Idee, den Wald in der Nähe des Dorfes durch ein Tarnnetz der Bundeswehr Daun darzustellen. Die Lieder entsprechen der Zeit und wurden ausgewählt von Lisa Henn und Claudia Adrario, die im Kultursommer 1994 mit Tilman Röhrig ein Literatur-Conzert gegeben hatte: "Der grimmig Tod« (1617), »Es ist ein Schnitter« (1638), »Wacht auf, ihr schönen Vögelein" (Jakob Gippenbusch/Friedrich Spee 1642). Elke Czernohorsky gelang es durch intensives Rollenstudium und den gekonnten Einsatz der Theatermaske, Not und Elend, Furcht und Angst, aber auch Freude und Hoffnung in den Gesichtern auszudrücken. Mit Lichteffekten, Toneinspielungen, Ausnutzen der professionellen Bühnentechnik des Forums Daun trugen die Techniker unter der Führung von Andre Divossen zum Gelingen der Aufführungen bei. Das Anliegen der Theater-AG kam voll zur Geltung: Betroffenheit zu erzeugen, die dazu führen soll, dass uns ständig gegenwärtig wird, dass Vergangenes sich immer wieder ereignen kann und die Decke des Friedens sehr dünn ist.

Nach langer Diskussion in der Theater-Gruppe wurde mit dem letzten Satz des Stückes »Nicht allein sein ist ein Anfang«, den Katharina (Julia Jeglinski], die Tochter des Dorfvogtes, spricht, ein Zeichen der Hoffnung gesetzt. Als Dank an die Mitwirkenden und als Erinnerung an die Vergangenheit überreichten Oberstudiendirektor Peter Sebastian und Schulelternsprecherin Margot Bangert den Mitwirkenden eine weiße Rose.

 

Content-Disposition: form-data; name="hjb1996.13.htm"; filename="" Content-Type: application/octet-stream