»Ich liebte euch im Leben -gedenkt meiner im Tode

Alois Mayer, Daun-Pützborn

Droben an der Weinfelder Kirche rauschen mächtige Eschen im Eifelwind. Sie raunen sich zu von längst vergangenen Tagen voller Freud, tiefstem Leid und von zahllosen Wanderern, Pilgern und Betern, die zur schmerzhaften Muttergotles kommen, um sie um Fiat und Hilfe zu bitten, ihr zu danken für erwiesene Gnade. Die alten Bäume stehen auf dem Friedhof eines seit Jahrhunderten verschwundenen Dorfes, auf dem aber heute noch die Bewohner des Nachbarortes Schalken mehren ihre Toten zur ewigen Ruhe betten. »Memento mori« rascheln die Blätter den Lebenden zu, und stolze Baumkronen werfen Schatten auf ein schlichtes Grab dicht an der Ostseile der uralten Kirche. Zwei Priester ruhen hier, nahe dem Sakristeieingang ihres so geliebten Kapellchens. Für dieses, das für sie zur verpflichtenden Lebensaufgabe wurde, haben sie manches Opfer gebracht.

Dechant Michael Thomes

Michael Thomes ist auf einem Grabstein zu lesen. Er war Priester in Schalke n mehren ab 1914. Ihm wuchs das traute Kirchlein gleich ans Herz und damit auch die Sorge um die Erhaltung jenes kulturträchtigen Denkmals. Er verfasste mehrere Aufsätze über das Weinfelder Kirchlein, das "schlafende Dornröschen«, wie er es nannte, und trug so wesentlich dazu bei, die Kapelle und die Geschichte des untergegangenen Dorfes in den weiten deutschen Landen bekannt zu machen. Er bat um Spenden und setzte viel Geschick ein in der Finanzierung notwendiger Restaurationen, Viel Mühe, große Überzeugungskraft und manches Schreiben waren dazu notwendig in dieser von Armut und einer hohen Arbeitslosenzahl geprägten Nachkriegszeit. Doch sein Einsatz war von Erfolg gekrönt. Beträchtliche Schäden an Grundmauern und am Außenputz konnten behoben werden. Neue Fenster mit bunten Medaillons und Innenanstriche verliehen der Kapelle neuen Glanz. 1943 starb Michael Thomes, der die letzten zwanzig Jahre Dechant des Dekanates Daun war, im Alter von 67 Jahren. Ihm zur Seite ruht Johann Baptist Konter, jener Pfarrer, dessen Namen nicht vergessen werden darf. Ihm allein ist es zu verdanken, dass wir heute noch jenes uralte Zeugnis christlicher Kultur bewundern und in ihm zu Ehren Gottes beten und feiern können.

Konter, der Priester aus dem Saargebiet

Baptist Konter wurde am 12. 6. 1838 als Sohn schlichter Bauersleute in Mitlosheim geboren.

Mit 25 Jahren in Trier zum Priester geweiht, trat er seine erste Kaplanstelle in Forst an. 1865 wurde er nach Münstermaifeld versetzt und am 10. 10. 1867 zum Pfarrer von Schalkenmehren ernannt. Er war der Nachfolger von Pastor Rausch, der im hohen Alter von 87 Jahren auf seine Stelle verzichtete und ein Jahr später als ältester Priester der Diözese Trier verstarb. Rausch war infolge seines Alters und dadurch bedingter Krankheiten in seiner Amtsführung behindert, so dass viele Klagen gegen ihn geführt wurden.

Konter hatte es anfangs nicht leicht. Neben seinen normalen seelsorgerischen Tätigkeiten stellte er den Frieden im Dorfe Schalkenmehren wieder her und ordnete die Kirchenverwaltung. Mit jugendlichem Elan ging er ans Werk. Als erstes strebte er nach einem neuen Pfarrhaus, denn das alte war viel zu klein. Es besaß nur vier Zimmer und wurde bereits 1752 als reparaturbedürftig gemeldet. Pfarrer Konter ließ dieses Pfarrhaus verkaufen und bezog zwei Jahre nach seinem Amtsantritt einen stattlichen Neubau, der seinerzeit bereits 20000 Mark kostete.

Doch all dies wäre nicht der Erwähnung wert, wenn sein waches Auge und kluger Verstand nicht die große Gefahr erkannt hätten, die jenem verfallenen Kirchlein droben am Kraterrand des Weinfelder Maares drohte. Dieses kleine Gotteshaus, dem hl. Martin geweiht, war der letzte Rest jenes im 16. Jahrhundert durch die Pest untergegangenen Dorfes Weinfeld, das dem tiefen Kratersee und dem Kapellchen, einem einfachen, rechteckigen Bau mit fast meterdicken Wänden, den Namen gab.

Ein Gotteshaus verfällt

1562 verließ der letzte Schalkenmehrener Pastor Peter sein Pfarrhaus und siedelte um in den Nachbarort Schalkenmehren. Weinfeld aber blieb Pfarrkirche und auch der Friedhof blieb erhalten. Dieser Zustand währte bis 1727. In diesem Jahr überführte man das Allerheiligste und den Taufstein in eine neue Kapelle nach Schalkenmehren.

Das Weinfelder Gotteshaus, in dessen Fußboden von Schiff und Chor sich zahlreiche Grabplatten ehemaliger Priester befunden hatten, konnte nicht ewig den rauhen Eifelwintern, Regen und Sturm und brennendem Sonnenschein trutzen. Es verfiel immer mehr. 1803 indizierte es der Trierer Bischof Mannay, erst recht, als ihm auf seiner Visitationsreise berichtet wurde, dass an den Sonntagen von Ostern bis Pfingsten dort Pfarrgottesdienste gehalten wurden, zu denen stets viel Volk strömte. Allerdings muss es dabei oft zu Unordnungen, Streitereien und sonstigen unchristlichen Handlungen gekommen sein, die den Bischof zu seinem Verbot veranlassten. Im gleichen Jahr erhielt Schalkenmehren die Rechte der Pfarrkirche.

Herr, gib ihnen die ewige Ruhe

Vier Jahre später besuchte Bischof Mannay erneut auf seiner Visitations- und Firmreise Schalkenmehren. In der anschließenden Konferenz bestürmten ihn die Schalkenmehrener Bürger und Sendschöffen, doch das Interdikt aufzuheben. Leider fanden die Bürger in ihrem damaligen Pastor Johann Lenz keine Unter-

Grabstein der Pastöre Michael Thomes und Johannes Konter auf dem Friedhof Weinfeld

Stützung. Teils aus Gehorsamkeitsgründen gegenüber dem Bischof, teils aber aus persönlichen Gründen stimmte er diesem zu; für ihn war es sehr anstrengend bei Hitze oder Kälte, bei Sturm oder Regen nüchtern den weiten Weg von Schalkenmehren hinauf nach Weinfeld zu gehen und Stunden später wieder zurück. Der Bischof blieb hart. Er schlug sogar vor, die Weinfelder Kirche abreißen zu lassen, um die Baumaterialien zur Instandhaltung und Reparatur des Kirchleins in Schalkenmehren zu verwenden. Ebenso sollte der Friedhof eingeebnet und neu im Nachbarort angelegt werden. Doch damit waren die Schalkenmehrener auf gar keinen Fall einverstanden. Den Abriss des Kirchleins, den auch die damalige französische Besatzung erlaubt hatte, hätten sie noch geduldet, aber nicht den Verkauf des Gottesackers, auf dem all ihre Vorfahren und Eltern lagen.

Das war das Todesurteil für Weinfeld. Es verfiel immer mehr und glich am Schluss nur noch einer traurigen Ruine. 1825 fand die letzte hl. Messe statt; 1827 war es für jede christliche Kulthandlung geschlossen. Die Kreisverwaltung Daun forderte Anfang der 1870er Jahre die Gemeinde Schalkenmehren ultimativ auf, das Kirchlein entweder zu renovieren oder wegen der gefährlichen Baufälligkeit sofort abzureißen.

Wiedergeburt einer Kapelle

Nun kam der Retter jenes unschätzbaren Kulturwertes in Gestalt des Pfarrers Johann Baptist Konter. Lassen wir Dechant Thomes vierzig Jahre später zu Wort kommen: »Dem Muligen gehört die Welt. Dieser Satz hat sich bewahrheitet bei der nun einsetzenden Propaganda für Weinfeld. Kaum hatte Pastor Konter in Zeitungen und öffentlichen Versammlungen seinen Plan von der Wiederherstellung des Kirchleins kundgetan, da verbreitete sich diese frohe Nachricht wie ein Lauffeuer in der ganzen Rheinprovinz. Alle Kunstfreunde und Eifelwanderer, aber auch alle, die einst als fromme Pilger an dieser heiligen Stätte geweilt, waren hoch erfreut über die Wiederherstellung dieses einsamen und verfallenen Gottestempelchen, das sie im Stillen oft bedauert und betrauert halten.

In erster Linie waren es - zu ihrer Ehre sei es gesagt - wohlhabende fromme Damen aus Daun, die den ersten Baustein in Gestalt von 100 Mark zu diesem großen Werk geliefert haben. - Schon viel Geld in der damaligen Zeit. - Ein Bürger aus Daun, dessen Namen leider nicht mehr bekannt ist, erklärte sich sogar bereit, sofort 25 Taler für Weinfeld zu stiften. Nun war das Eis gebrochen, und mit frischem Mute setzte Pastor Konter seine Sammeltätigkeit fort.

Alle seine Freunde, Bekannten, Verwandten und Studiengenossen mussten ihm einen Baustein liefern. Bei der Suche nach Adressen wohltätiger Seelen kam er auf einen gar glücklichen Einfall, Im Glockenturm zu Weinfeld hatten sich nämlich Hunderte von Eifeltouristen auf den Wänden verewigt, und zwar fast alle mit Angabe ihres Heimatortes. Diese Namen schrieb sich Pastor Konter sorgfältig ab und beglückte deren Inhaber mit einem liebenswürdigen Schreiben. Mancher staunte darüber, wie der Pastor von Schalkenmehren seine Adresse erfahren habe und fühlte sich hoch geehrt. Niemand konnte seiner Bitte widerstehen und spendete gern einen Beitrag für das edle Werk. Und so gingen denn namhafte Beträge ein, sowohl von Privatpersonen als auch von öffentlichen Körperschaften...« Konter schrieb alles an, was Rang und Namen hatte. Spenden aus dem gesamten Deutschen Reich trafen ein, sogar von der Kaiserin Augusta." ...Nicht vergessen sein sollen die Einwohner von Schalkenmehren, die nicht nur sehr viele Hand- und Spanndienste geleistet, sondern obendrein auch noch erhebliche Geldmittel aufgebracht haben, um ihre ehrwürdige Mutterkirche vor dem Untergang zu retten. Wie viele mühsame Gänge und Reisen Herr Pastor Konter selbst aber gemacht, wie viel Zeit und Mühe und Geld er diesem Ideal seines Lebens geopfert, das weiß Gott allein. Von 1867 bis zu seinem Tode im Jahre 1891 hat er für Weinfeld gelebt und gearbeitet..." Nachdem also die finanzielle Grundlage für das Unternehmen geschaffen und der Deutsch-Französische Krieg zu Ende war, konnte an die Ausführung des Wiederaufbaues von Weinfeld gedacht werden. 1875 wurde das Chordach neu gedeckt, 1876 das des Schiffes und des Turmes, 1877 erhielten die Wände einen neuen Innen- und Außenputz, der Kachelfußboden kam dazu, mächtige Kommunionbankstufen, ein eisernes Gitter zum Abschluß des Chores und schließlich der neue gotische Hochaltar. Ein Jahr später wurden zwölf neue Bänke aufgestellt und die Seitenaltäre erneuert. "...In den kommenden Jahren 1879-83 scheint in den Restaurationsarbeiten ein Stillstand eingetreten zu sein. Ob die ungünstige Witterung in diesen Jahren oder der Mangel an Geldmitteln die Verzögerung herbeigeführt haben, läßt sich nicht feststellen. Nur soviel ist gewiss, dass Pastor Konter im Juni 1882 von einer schlimmen lebensgefährlichen Krankheit heimgesucht wurde und seine ganze Pfarrei mit ihm. Die beiden Dörfer Mehren und Schalkenmehren waren den ganzen Sommer für Vieh und Menschen gesperrt. Sechs erwachsene Personen sind in kurzer Zeit in Schalkenmehren verstorben. Doch auch diese Plage ging bald wieder vorüber.

Im Jahre 1883 kam der neu gewählte Bischof Dr. Korum auf seiner ersten Firmungsreise nach Weinfeld. Erfreute sich sehr über die Wiederherstellung dieser allen Kulturstätte, sprach dem Herrn Pastor Konter seinen bischöflichen Dank aus tür die vielen Mühen und Opfer und erteilte ihm freudigen Herzens die Erlaubnis zur neuen Einsegnung des Kirchleins...«

Ehre, wem Ehre gebührt

Johann Konter freute sich sehr. Die Einsegnung der Kapelle, seines Lebenswerkes, sollte ein großes Fest mit würdigem Rahmen werden. Mehrere Gespräche führte er mit dem Dechanten von Gillenfeld, Baues, und bat ihn, das Fest zu vollziehen. Sattes sagte Konter zu; doch leider hielt er sein Wort nicht. In mehreren Briefen an das Generalvikariat bestritt er seine an Konter gemachten Zusagen und weigerte sich entschieden, die Einsegnung vorzunehmen. Er gab eindeutig zu verstehen, dass er Konter für einen geldbesessenen Menschen hielt, für einen, dem preußischen Staate und dessen Gesetzen zu aufgeschlossenen Staatspriester (Kulturkampf). Ferner misstraute er Konter, der gleichzeitig Schulinspektor war, dass dieser allzuviel Einfluss bei der Lehrerschaft gewänne. Ebenso erklärte Baues schriftlich, dass durch eine allzugroße Einsegnungsfeier mit so vielen Priestern und bedeutenden Persönlichkeiten Konter bei Klerus und Volk zu unverdienten Ehren und Ruhm käme. Das Generalvikariat bat schließlich Konter, seine Kirche doch selbst zu benedizieren. Doch dieser hatte auch seinen

Stolz und vor allem Geduld. Zwischenzeitlich setzte er die Renovierungsarbeiten fort. Im Inneren der Kirche wurde die Decke erneuert, das Turmdach neu geschiefert und ein Wetterhahn aufgesetzt, der sich bis heute im Winde dreht. Der verwilderte Friedhof wurde in Ordnung gebracht und die zerfallene Kirchhofsmauer neu aufgebaut. Konter schrieb am 29. 6. 1887 ans Generalvikariat. »... nachdem ich das Kirchlein von 1882 bis heute vollständig restauriert habe, gedenke ich, diesen Sommer die Benediktion vorzunehmen, wozu der Herr Dechant Weyer zu Neroth gerne bereit ist, wie ebenfalls der Herr Pastor Winter zu Neunkirchen zur Festpredigt...«

Ein Haus voll Glorie schauet

Am 27. 9.1887 war es dann soweit. Das kleine Kirchlein erlebte wohl die größte Feier seiner Geschichte. Fast 4000 Menschen von fern und nah eilten herbei, dreißig Geistliche aus dem Bistum sowie die wichtigsten Vertreter der weltlichen Behörden erlebten ein festlich geschmücktes Gotteshaus, eine würdevolle Einsegnung und stimmten freudig mit ein in das »Te Deum«, das von den Maareswänden widerhallte. Johann Baptist Konter, dem am 23. 11.1874 die preußische Auszeichnung »Roter Adler Vierter Klasse« verliehen wurde, hinterließ gegen Ende seines Lebens noch mehrere Stiftungen, so ein Pfarrzusatzgehalt und eine Armenstiftung - Konterarmenstiftung - genannt. Am 11.10.1891, auf den Tag genau 24 Jahre nach seinem Dienstantritt in Schalkenmehren, starb er nach längerem Leiden im Alter von 53 Jahren. Unübersehbar war die Schar der Trauernden, die ihn auf seinem letzten Gang vom Wohnort zum Gottesacker geleiteten. Die gesamte Lehrerschaft des Kreises Daun war zugegen, um ihrem »wohlwollenden Vorgesetzten« die letzte Ehre zu erweisen. Ein Gedenkblatt hatte sie entworfen, das am Grabe verlesen und verteilt wurde; »Ein irdisch Dasein hat der Herr geendet. Ein edles Herz es hat nun ausgeschlagen, auf Engelflügeln schwebt empor getragen die Seele, die sooft uns Trost gespendet. Der gute Hirt hat seinen Lauf vollendet, der seine Schäflein schirmte ohne Zagen; er weilt jetzt fern von allen Erdenplagen, zurückgekehrt zu Gott, der ihn gesendet. Wohin so oft er seine Schritt gelenket, den Blick zu tauchen in die blaue Ferne, wo er als Lebender geweilt so gerne da ward sein irdisch Teil zur Gruft gesenket. Am Kirchlein, das er vom Verfall gerettet, am stillen See ruht sein Leib gebettet.« Konter ruht im ewigen Frieden im Schatten seiner geliebten Kirche, die er vor dem Untergang bewahrte. Möge sie den Namen ihres Wohltäters und dessen Verdienste ebenfalls vor dem Dunkel der Vergessenheit bewahren und den Wunsch in Erfüllung gehen lassen, der auf seinem ersten Grabstein eingemeißelt war »Ich liebte euch im Leben: gedenket meiner im Tode."