Schwere Zeiten für Schleckermäuler

Gertrud Knobloch, Bonn

Die drastischen Erziehungsmethoden von früher mögen modernen Eltern und Pädagogen wie "seelische Grausamkeit« erscheinen, doch waren sie höchst wirksam und wurden in den ersten dreißig Jahren dieses Jahrhunderts durchaus noch praktiziert. So gab es eine Speise in meiner Jugend, mit der man mich jagen konnte. »Eepel on Bruut« hieß sie und war eine mit Kartoffeln und trocken gewordenem Brot gekochte dicke Suppe. Ich konnte sie nicht ausstehen und sah darauf, daß ich im Gegensatz zu meinen sonstigen Wünschen an das Essen nur eine winzige Portion erhielt, möglichst mit »Küsje" - die Rückstände von ausgebratenem Speck, mit dem sie angerichtet wurde oder sogar Bratwurst, wenn geschlachtet worden war.

Bei der gehassten Suppe konnte ich mich immer gut beherrschen und musste schon sehr hungrig sein, um mehr als einen halben Teller zu leeren. Das war Pflicht, denn wer »küppisch« - heikel - war, nichts essen wollte, der kam damit nicht durch.

Einmal hatte ich es versucht und frei heraus meine Meinung gesagt, dass ich die Suppe nicht essen könne. Obwohl mir vorgehalten wurde, wieviel Arbeit sich die Großmutter mit der Suppe gemacht hatte, blieb ich verstockt und ließ den halben Teller stehen. Die Suppe galt als Eintopf und Hauptgericht. Als ich mich hinterher auf den Pudding mit Obst stürzen wollte, gab es nichts für mich. Das verkraftete ich noch. Nachmittags war sowieso immer Brot mit »Krock on Käs» (Rüben- oder Apfelkraut mit Quark) oder Gelee an der Reihe, da konnte ich noch zulangen. Aber als Abendessen gab es für mich nicht Wurst, Bratkartoffeln und Salat -bei uns ein beliebtes Abendessen - an meinem Platz stand der Suppenteller. Da ging ich lieber hungrig ins Bett.

Morgens als drastische Strafmaßnahme - völlig unüblich bei uns - für mich nur den Suppenteller. Ich wusste im voraus, er würde mittags wieder an meinem Platz stehen. So fasste ich mir ein Herz, dachte an Schokoladensuppe, die es bei uns auch oft gab, und löffelte mit Todesverachtung »Eepel on Bruut«. Niemand verlor ein Wort darüber, aber ich war belehrt. Nie wieder ließ ich ein Gericht stehen, das mir nicht so schmeckte, versuchte höchstens, nur wenig davon zu bekommen. Etwas, das ich gar nicht esse, gibt es deshalb für mich nicht. Auch heute nicht.