100 Jahre evangelische Kirchengemeinde Gerolstein / Jünkerath feiert Geburtstag

Hans-Martin Stüber, Gerolstein

Die Anfänge

»Wir halten dafür, dass auf Erden nichts Lustiger anzusehen sei, als eine reine ehrliche Bürgerschaft, die in Gottesfurcht, still und friedlich bei- und miteinander wohnen, da jedes in seiner Ordnung gehet, Gottes wort gehöret und geliebet wird; die Obrigkeit fürsichtig, rechtfertig, aufrichtig; die Unterthanen und Gemeinde unter einander einträchtig sind; die Frommen gefördert und die Bösen gezüchtigt und gestraft werden . ..«

Am 18. Januar 1576 fasste der Stadtrat von Gerolstein auf Betreiben von Graf Hans Gerhart von Manderscheid-Blankenheim (mit Residenz in Gerolstein-Manderscheid] hin diesen Beschluss. Der Kenner entdeckt sofort: Sprache und Gedanken des Stadtratsbeschlusses sind gut evangelisch. In den Jahren 1520-30 waren die "Häresien« der Lutheraner in der zu Luxemburg gehörenden Westeifel verbreitet. In der Tat: Die Manderscheider Grafen hatten sich der (lutherischen) Reformation angeschlossen. Dietrich VI. (1560-92) versah neben Schleiden acht weitere Orte mit lutherischen Predigern: Ahütte, Brück, Dockweiler, Dreis, Hillesheim, Kerpen, Kronenburg, Niederbettingen, Niederehe, Ormont, Sarresdorf (Gerolstein) und Üxheim. 1567 wurde im Prämonstra-tenserkloster Niederehe gegen den Protest des Klosters Steinfeld die "Augsburgische Konfession" (das Augsburger Bekenntnis der Evangelischen vor Kaiser und Reich) eingeführt. Dietrich VI. wollte entgegen den üblichen Gepflogenheiten niemanden zu seinem lutherischen Glauben zwingen. Daher wurde die Klosterkirche in Niederehe bis 1595 "Simultan" genutzt, das heißt zwischen »Neu— und »Altgläubigen" aufgeteilt. Die Augustiner-Eremiten in Hillesheim, Luthers Ordensbrüder, fühlten sich ebenfalls zur Reformation hingezogen. In Sarresdorf gab es freilich großen Arger: Pfarrer Peter Stösser wurde wegen haltloser Vorwürfe im damaligen »Stil" der Auseinandersetzungen »im Interesse des Dienstes- nach Üxheim versetzt.

Dietrich VI. legte testamentarisch fest, dass sich in seiner Grafschaft an der Zugehörigkeit der Bürger zum Luthertum nichts ändern solle. Aber nach seinem Tode 1592 trat der katholische Graf Philipp von der Mark, mit Dietrichs Schwester Katharina verheiratet, das Erbe an. Entgegen seinen Versprechungen wurde der Grundsatz: »cuius regio, eius religio« (»wer das Land regiert, bestimmt die Konfession seiner Untertanen"] konsequent durchgeführt. Er konnte (und wollte?) sich wegen der Herrschaft der Spanier über Luxemburg und die Westeifel (ab 1555) nicht an das Testament seines Schwagers halten. Die Evangelischen wanderten ab in protestantische Lander des »Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation-. Hie und da hielten sich einige im Verborgenen. Die Eifel war wieder ganz katholisch.

Der Neuanfang

1815 wurde die preußische Rheinprovinz gebildet. Viele evangelische Beamte wurden auch in die Eifel versetzt. So kam es zu Neugründungen evangelischer Kirchengemeinden: 1817 Trier, 1829 Prüm, 1858 Wittlich (mit Daun), 1876 Bitburg. Die evangelischen Christen im Raum Gerolstein und Jünkerath wurden von Prüm aus betreut. Sie verlangten aber sehr bald dringend vom königlichen Consistorium in Koblenz die Errichtung einer Pfarrstelle. Apotheker Winter und Bürgermeister Diem erreichten endlich, dass wenigstens ein »Kandidat" als Pfarrvikar (heute: »Hilfsprediger«) und Hauslehrer nach Gerolstein kam. Das «Vikariat Gerolstein« unterstand dem Pfarrer in Prüm. Am 15. Oktober 1893 wurde in Gerolstein das Pfarrhaus mit Betsaal (heute Gemeindehaus) eingeweiht. Im Jahr 1894 begann mit vielen Schwierigkeiten der Bau der Kapelle Jünkerath, die am 26. August 1895 durch Generalsuperintendent Baur eingeweiht wurde. Der Bau kostete damals rund 13 400 Mark. Inzwischen hatte Pfarrvikar Eduard Best seinen Dienst angetreten. Ein knappes Jahr später war endlich am 1. Juli 1896 die »Evangelische Kirchengemeinde Gerolstein - Jünkerath« mit etwa 230 Gemeindegliedern gegründet, zu der später auch noch die Gemeinde Daun kam. Vor allem der Bau der Eisenbahn hatte den evangelischen Bevölkerungsanteil stark ansteigen lassen. Am 30. August 1896 wurde das erste Presbyterium gebildet. Gottesdienste hielt man in Gerolstein, Daun, Jünkerath und (ab 1900) in Hillesheim (Amtsgericht).

Am 1. Januar 1900 wurde endlich eine Pfarrstelle mit Dienstsitz in Gerolstein eingerichtet, die ab 10. Januar 1900 auch mit der Betreuung der Gemeinde Daun beauftragt war. Am 6. Mai 1900 wurde Eduard Best als erster evangelischer Pfarrer in Gerolstein eingeführt. Er blieb dort bis zu seiner Pensionierung 1934. In seine Amtszeit fiel die Erbauung der Erlöserkirche (eingeweiht am 15. Oktober 1913 in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II.). Der Berliner Kirchenbauverein hatte sie auf Betreiben von Freiherr Ernst v. Mirbach durch Prof. Franz v. Schwechten auf dem Gelände des ehemaligen Krongutes "Villa Sarabodis« erbauen lassen. Am 27. Juni 1914 wurde die Kirche dem Kaiser geschenkt. Dieser stellte sie der kleinen evangelischen Gemeinde zur Verfügung und übernahm alle finaziellen Verpflichtungen. Viele Zeugnisse machen deutlich, dass dieser Neuanfang der evangelischen Kirchengemeinde nicht leicht war. Die Stimmung zwischen den Konfessionen war nicht zuletzt durch den "Kulturkampf» (1872-79) zwischen Bismarck und Preußen einerseits und der katholischen Kirche andererseits sehr angespannt. Erst der Kirchenkampf im Dritten Reich lehrte die beiden Kirchen, unter Druck zusammen zu stehen. Pfarrer Bernhard Wiebel berichtet, dass er als Pfarrer der Bekennenden Kirche Kontakt zu seinen katholischen Brüdern gesucht und gefunden hat. Nach der Zerstörung des Pfarrhauses nahmen katholische Nachbarn {Böffgen) seine Familie zeitweise auf. Dann wohnten sie im ersten Halbjahr 1945 bei Familie Pawlak in Bewingen. Für die evangelischen Gottesdienste wurde nach Kriegsende in katholischen Kirchen (Ormont) und Hallschlag Gastrecht gewährt. Ein ganz großer Kummer quälte Wiebel lebenslang, wie er dem Berichterstatter erklärte: In der Erlöserkirche wurde lange Zeit die jüdische Familie Levi-Mansbach beherbergt, deren Sohn mithalf, die Glocken zu läuten und der sonstige Handreichungen tat. Als die Familie Levi-Mansbach dann in den Tod geführt wurde, fühlte er sich mitschuldig an deren Schicksal. "Eigentlich hätte ich doch mitgehen müssen!« sagte Wiebei.

Am 27. Oktober 1947 wurde er als »unbelasteter« Pfarrer zum Superintendenten des Kirchenkreises Trier gewählt. Ihm wurde der Vikar Gerd Graf als Hilfe an die Seite gestellt. Beide erlebten am 4. März 1951 die Einweihung der wieder aufgebauten Kapelle in Jünkerath.

Der Wiederaufbau

Der frühe Tod seiner Frau (1945) und gesundheitliche Probleme ließen Wiebel 1951 zum Diakoniewerk Kaiserswerth in Düsseldorf wechseln. Sein Nachfolger kam im August des gleichen Jahres mit seiner Frau von Großdölln (Kreis Templin) nach Gerolstein. Er wurde am 15. Juni 1952 in sein Amt eingeführt. Bei seinem Dienstantritt fand er die schwer beschädigte Erlöserkirche und ein teilweise zerstörtes Pfarrhaus vor. Vor ihm lag die schwere

Aufgabe des Wiederaufbaus. Zugleich wuchs die Gemeinde durch den Zustrom von Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.

Inzwischen hatte sich das Haus Hohenzollern durch notariellen Schenkungsvertrag an die Evangelische Kirche im Rheinland vom 23. August 1951 von seinem teuren Eigentum getrennt. Die Landeskirche musste den Wiederaufbau von Erlöserkirche und Museum »Villa Sarabodis" finanzieren. Abgeschlossen wurden diese Arbeiten mit der Orgelweihe am 21. September 1958. Auch das Pfarrhaus war wieder aufgebaut worden. Zur Sammlung der Gemeindeglieder unter Gottes Wort wurde wegen der weiten Wege die Motorisierung erforderlich. »Seh u l Wanderlehrer« hatten auch nach der Gründung einer evangelischen Volksschule in Gerolstein für den Religionsunterricht in der weit verzweigten Gemeinde zu sorgen. Sie konnte am 1. Juli 1956 in Anwesenheit der beiden ehemaligen Ortspfarrer Best und Wiebel das sec h zig jährige Jubiläum begehen. In die Amtszeit von Köhler fiel 1963 auch das fünfzigjährige Jubiläum der Erlöserkirche. Eine große Hilfe waren das Presbyterium und das "Kuratorium Erlöserkirche Villa Sarabodis«, sowie die Frauenhilfen in Gerotstein und Jünkerath und viele andere Mitarbeiter. Der Wiederaufbau, der Neubau eines Pfarrhauses 1967-69 und das ständige Wachstum der Gemeinde forderten die ganze Kraft des Pfarrers und zehrten an seiner Gesundheit. Er ging am 1. Juni 1979 in den Ruhestand und starb am 7. Juli 1983. Auf dem Gerolsteiner Waldfriedhof fand er seine letzte Ruhestätte. Als 4. Pfarrer der Gemeinde trat am I.Juli 1980 Hans-Martin Stüber aus Koblenz seinen Dienst an. Er wurde am 30. April 1995 in den Ruhestand versetzt. In seine Amtszeit fielen umfangreiche Restaurierungsarbeiten an der Erlöserkirche, dem Museum, dem Gemeindehaus und der Kapelle in Jünkerath. Ein gutes Verhältnis zu den katholischen Pfarrern und Gemeinden kennzeichnet diese Zeit der Konsolidierung nach dem Wiederaufbau. Neben dem Singkreis in Jünkerath sorgte auch der katholische Organist Joachim Keil für eine Belebung der kirchenmusikalischen Arbeit. Die unter Pfarrer Köhler begonnene Tradition ökumenischer Gottesdienste wurde fortgesetzt. Heute ist eine andere Zeit als damals, vor hundert Jahren. Die großen Kirchen geraten in der modernen Gesellschaft zunehmend »ins Abseits-. Nicht mehr Konkurrenz unter ihnen ist gefragt, sondern das gemeinsame Zeugnis für Jesus Christus. Er ist gestern, heute und in Ewigkeit derselbe, nämlich der Herr der Welt und - erst recht - seiner Kirche in allen Konfessionen.

Quellen:

Joh. Friedrich Schannat, Eiflia Illustrata Bd. 2: Der Kreis Daun, (bearb. von Franz Josef Ferber und Erich Mertes, Osnabrück 1982, S. 33

Udo Köhler, 50 Jahre Erlöserkirche Gerolstein, Gerolstein 1963, S. 46ff.