Wer bin ich, wenn ich nicht schreibe

Stationen im Leben Rose Ausländers — die Arbeit im Dokumentationszentrum.

Helmut Braun, Üxheim.

Die Biographie eines Dichters, seine Erkenntnisse, sein Erleben, sein soziales Umfeld schlagen sich in seinem Werk nieder. Bei anderen Voraussetzungen entstünde ein anderes Werk. Seil Norbert Elias seine Gedanken hierzu formulierte, kann dies auch von der Literaturwissenschaft nicht mehr in Frage gestellt werden. Bei Rose Ausländer ist eine ungewöhnlich starke Verknüpfung von Leben und Werk feststellbar.

Wer sich den Gedichten der Rose Ausländer nähert, für den ist es sinnvoll, ihre Lebensdaten zu kennen: Rosalie Ruth Scherzer wird am 11. Mai 1901 im altösterreichischen Czernowilz in der Bukowina geboren. Sie hat dort ihre Kindheit und Jugend verbracht und fühlt sich ihrer Heimat tief verbunden: »Grüne Mutter/Bukowina« - »Landschaft die mich/erfand«.

Sie ist Jüdin von Geburt. Ihr orthodox erzogener Vater war Kaufmann in Czernowitz, die Familie der Mutter kam aus Berlin; 1916, während des Ersten Weltkriegs, muss die Familie fliehen, nach zweijährigem Aufenthalt in Wien kehrt sie

1919 in die unterdessen rumänisch gewordene Bukowina zurück.

1920 starb der Vater, die Mutter sah sich nicht imstande, die ganze Familie zu ernähren. Die Tochter wandert in die USA aus, Verwandte nehmen sie im Mittelwesten auf. Sie lebt in dem kleinen Ort Winona: »Den sanften Namen Winona/verdankst du der Legende vom schonen Indianermädchen/das sich vom Felsen stürzte/aus verschmähter Liebe«.

Ende 1929 übersiedelt sie nach New York. Sie heiratet dort ihren Studienfreund Ignaz Ausländer, trennt sich nach drei Jahren von ihm, lässt sich scheiden und kehrt nach 1931 nach Czernowitz zurück. Sie arbeitet als Übersetzerin, als Sekretärin, als Fremdsprachenkorrespondentin in einer chemischen Fabrik. Sie publiziert

Gedichte und veröffentlicht journalistische Arbeiten. Ihr erstes Buch Der Regenbogen erscheint 1939.

1941 besetzen Truppen der SS die Stadt Czernowitz. Das Leid der Juden in der Bukowina beginnt: "Eislaken auf Transnistriens Feldern/wo der weiße Mäher/Menschen mähte//Kein Rauch kein Hauch/atmete/kein Feuer/wärmte die Leichen«. Tausende Czernowitzer Juden wurden getötet. Zu den Überlebenden zählen Rose Ausländer, ihre Mutter, ihr Bruder und dessen Familie. Gemeinsam verlassen sie 1946 die Bukowina und übersiedeln nach Bukarest. Rose Ausländer wandert von dort zum zweiten Mal in die USA ein und lebt in der Folgezeit in New York. Ihre Hoffnung, die Mutter nachkommen zu lassen, scheitert: die Mutter stirbt. Es gelingt Rose Ausländer nicht, in New York heimisch zu werden. Zu krass sind für die psychisch und physisch kranke Frau die Gegensätze. Sie zieht sich zurück in Emigranten kreise, schreibt in Englisch, veröffentlicht nur wenig und sehnt sich zurück in ihr Mutterland: Sprache. Aus ihrem Sprachtrauma wird sie 1956 durch die amerikanische Dichterin Marianne Moore erlöst.

1957 begibt sie sich auf eine Europareise, begegnet wieder Paul Celan, den sie aus Czernowitz kennt, und wird von ihm in der radikalen Änderung ihres Schreibstils bestätigt. Sie verlässt die Welt des gereimten, geordneten Gedichts und eröffnet sich rasch den Kosmos einer moderneren Lyrik. -1963 kehrt sie endgültig zurück nach Europa« Fliegend/auf einer Luftschaukel/Europa Amerika Europa« so hat sie selbst poetisch ihre Wanderschaft zwischen den Erdteilen beschrieben. Ab 1965 hält sich Rose Ausländer in Deutschland auf. In Etappen hatte sich ihre Heimkehr in die deutsche Sprache, ins Mutterland vollzogen. Seit Ende 1972 lebt sie im Nelly-Sachs-Haus, dem »Elternhaus« der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Seit 1978 ist sie bettlägerig. Die letzten Lebensjahre verbringt sie in selbstgewählter Isolation, unter unendlicher Anstrengung Gedichte schreibend, unterbrochen von langen, unschöpferischen Pausen. Im Januar 1988 stirbt Rose Ausländer.

Bekannt wurde sie zuallererst als »jüdische Dichterin«. So wird sie auch heute noch etikettiert, eingeordnet in das entsprechende Schubkästchen, und damit eigentlich auf Distanz gehalten.

Andere Impulse waren für das Schaffen der Autorin insgesamt jedoch wichtiger. Gerne wird Rose Ausländer in eine Reihe gestellt mit Eise Lasker-Schüler, Gertrud Kolmar, Nelly Sachs; alle tragen das Signum »Frau - Jüdin - Dichterin«; diese Gleichung geht aber nicht auf. Während die anderen wirklich als Dichterinnen in jüdischer Tradition und im Bekenntnis zum Judentum gesehen werden können, ergibt sich die Verwandtschaft zum Beispiel zwischen Nelly Sachs und Rose Ausländer durch ein gemeinsames Erleben, welches dichterisch verarbeitet wurden.

Sie selbst sagte, sie hätte überlebt, weil sie schreiben konnte. Schreiben sei ihr ein Trieb. Ein Leben lang hat sie geschrieben, geschrieben . . .

2500 Gedichte liegen vor; 1500 Entwürfe in verschiedenen Arbeitsstadien; Kurzprosa; Erzählungen. Vieles wurde von ihr vernichtet oder ging im Laufe eines turbulenten Lebens verloren.

Rose Ausländers dichterischer Weg ist klar, geradeaus, ohne Irrwege. Unbeeinflusst von literarischen Tendenzen, unbeirrt von lyrischen Moden hat sie ihre Gedichte geschrieben. Über die Jahre wurden die Verse schmuckloser, Zusätze und Schnörkel entfielen, die Texte wurden reduziert, bis offenlag der kostbare Kern. Im März 1992 wurde in Düsseldorf die Rose Ausländer-Gesellschaft e.V. gegründet, sie ist als »ausschließlich gemeinnutzig« anerkannt und fördert alle Maßnahmen, die geeignet sind, die Verbreitung des Werkes der Dichterin zu unterstützen.

Eine dieser Maßnahmen war, in einem Haus in der Brunnenstraße in Üxheim/Eifel das Rose-

1976 - Rose Ausländer im Nelly-Sachs-Haus in Düsseldorf, ihrer letzten Lebensstation.

Ausländer-Dokumentationszentrum einzurichten. Nach Umbauten und der Einrichtung der Räume stehen im »Alten Pfarrhaus« auf rund 1000 m2 Nutzfläche ein Saal für Veranstaltungen und Ausstellungen, Büroräume für die Leitung des Dokumentationszentrums, für das Sekretariat, für wissenschaftliche Mitarbeiter, Gäste und Arbeitszimmer für Personen, die auf Zeit im Dokumentationszentrum arbeiten wollen (für Wissenschaftler, Studenten und Publizisten), Räume zur Aufbewahrung des Rose-Ausländer-Nachlasses und für einen angeschlossenen Wirtschaftsbetrieb Buchhandel, Versandbuchhandel, Verlagsbuchhandel zur Verfügung.

Per Leihvertrag wurde der gesamte literarische Nachlass durch die Rose-Ausländer-Gesell-

In einem alten Pfarrhaus, das zwischenzeitlich zum Hotel mit Gastronomie und Discothek umgebaut worden war, ist nun das Rose-Ausländer-Dokumentationszentrum untergebracht.

schaft e.V. von der Stadt Düsseldorf, dem Heinrich-Heine-Institut, übernommen. Eine Germanistin und ein Bibliothekar erschließen diesen Nachlass und machen ihn der interessierten Öffentlichkeit zugänglich. Das Arbeiten im Hause auf Zeit ist möglich, so dass insbesondere Studenten, die Magister- oder Doktorarbeiten schreiben wollen, optimale Bedingungen vorfinden. Per Computer wird das Rose-Ausländer-Dokumentationszentrum dem internationalen wissenschaftlichen Austauschdienst angeschlossen, so dass die hier gesammelten Daten und Fakten weltweit zugänglich sind.

Aus dem Nachlass gespeist und durch die Gedichte Rose Ausländers inspiriert finden seit Oktober 1993 Ausstellungen im Dokumentationszentrum statt. Es wird gezeigt, wie bildende Künstler sich mit dem Werk dieser Frau auseinandersetzen, und in Vitrinenausstellungen wurden Leben und Werk von Rose Ausländer präsent gemacht. Die zukünftig geplanten Ausstellungen werden sich nicht nur mit ihr befassen, sondern sich darüber hinaus ihrem Umfeld widmen. So ist unter dem Titel »My dear Roisele« eine Ausstellung zu den jiddischen Dichtern aus der Bukowina geplant.

Der Schritt, mit dem Rose-Ausländer-Dokumentationszentrum nach Üxheim zu gehen, hat sich gelohnt. Anfänglich standen rein finanzielle Überlegungen im Vordergrund. Geeignete Räume waren in den großen Städten nicht vorhanden oder unbezahlbar. Später stellte sich heraus, dass gerade die solitäre Situation auf dem Lande von Vorteil war und ist. Ohne Konkurrenz mit vergleichbaren Einrichtungen und ob der besonderen Lage in der Aufmerksamkeit der Medien stehend, gelang es rasch, ein interessiertes Publikum nach Üxheim zu holen. Der Besucherzuspruch ist hervorragend und das Medienecho erfreulich groß und positiv. Hieraus schöpfen wir die Hoffnung, dass das Werk Rose Ausländers auch in Zukunft Leser und Verehrer findet.