Grenzüberschreitungen

Anne-Marie Reuter, Bodenbach

In der Aurtorenversammlung für das Dauner Jahrbuch 1995 wurden von selten unseres Herrn Landrat Nell und des Ministerpräsidenten Herrn Maraite zwei sehr interessante Vorträge gehalten. Sie betrafen in der Hauptsache die Zusammenarbeit zwischen den Randgebieten der Bundesrepublik Deutschland und dem Grenzgebiet Belgiens. Was mir immer wieder besonders auffiel, war das Wort "Grenzüberschreitung«.

Dieses Wort löste Erinnerungen einer ganz anderen Art aus, die mir heute, nach langen Jahren, noch im Gedächtnis sind.

Als unsere Tochter Mitte der sechziger Jahre nach Belgien heiratete, waren die Grenzüberschreitungen noch nicht so locker wie heute. Auch die Autobahn Aachen-Brüssel war noch nicht in dieser Weise vervollständigt, wie sie es nun ist. Von "Grenzüberschreitungen« war keine Rede, denn wir mussten ja die Grenze mit dem Auto überfahren.

Der Zoll in Lichtenbusch war damals sehr gründlich, und wir wussten ja auch nicht so gut Bescheid über das, was man unverzollt nach Belgien bringen durfte.

Weil ich damals der einzige Fahrer in der Familie war, blieb alles an mir hängen. Die Möbel wurden verständlicherweise in Belgien gekauft, da der Transport sowieso zu teuer geworden wäre. Aber das andere, das Drum-und-dran, war noch eine ganze Menge. Die Tisch- und Bettwäsche, alles neu, wurde zum größten Problem. Gute Freunde, die meinten, sie wüssten alles ganz genau, rieten uns damals, alles zu waschen und ungebügelt als gebrauchte Wäsche hinüberzubringen. Doch davon mochte die stolze Besitzerin, unsere Tochter, absolut nichts wissen. Sie wollte ja ihren neuen Verwandten ihren schönen Wäscheschatz ungebraucht zeigen.

So bin ich denn eines schönen Sommertags mit meiner Tochter und dem gesamten Wäscheschatz im Auto (auf dem Rücksitz] hinübergefahren in das »Land der Königin Fabiola«. Zur Tarnung, wie wir meinten, hatten wir zwei Bademäntel darüber gebreitet und einen Strohhut daraufgelegt. Sonnenbrillen hatten wir sowieso auf der Nase und ab ging die Post. Ein freundlicher Grenzbeamter winkte uns auch gleich durch und wünschte noch schöne Urlaubstage. Uff, unsere Herzen klopften ganz schön!

Im Laufe der Jahre - inzwischen sind es über dreißig - machten wir noch manche Grenzüberfahrten. Als unsere Enkel klein waren, ist keine Woche vergangen ohne einen Besuch in Belgien. Auf der Heimfahrt hatte ich immer eines der Babys im Oberteil des Kinderwagens hinter mir auf der Rückbank und den Kofferraum voll schmutziger Wäsche, die in der nächsten Woche wieder frisch gewaschen und gebügelt die Strecke zurück fuhr.

Viele Grenzbeamte kannten mich inzwischen schon und winkten mich kurzerhand durch. Nur einmal ist es anders gewesen: Ich fuhr wieder einmal etwas schneller als ich eigentlich durfte, aus Richtung Belgien auf die Lichtenbusch er Grenzstation zu, und prompt stoppte mich ein gestrenger Herr, den ich noch nie gesehen hatte und der mich auch nicht kannte. Durch den schnellen Stop klirrte in meinem Kofferraum Glas, und der aufmerksame Beamte ahnte, dass da Schmuggelware drin sein müsste. Ich verneinte seine Frage nach zollpflichtiger Ware, aber er wollte es genau wissen, und ich musste den Kofferraum öffnen.

Sein Gesicht vergesse ich nicht. Er fand ein paar Dutzend leere Einmach- und Geleegläser, eingewickelt in schmutzige Wäsche. Ein anderer Grenzbeamter, der mich schon von den vielen Fahrten her kannte, kam hinzu und fragte augenzwinkernd: »Na, was hat denn die Reiseoma heute wieder geschmuggelt? Kleine Kinder oder gebrauchte Bettwäsche?«

Ja, das alles ist, wie gesagt, schon einige Jahrzehnte her. Aber immer, wenn wir heute die Grenze überschreiten, werde ich daran erinnert.