Theater auf dem Dorf

Dr. Ulrich Wierz, Trier

Es ist wieder soweit.

Die Faschingszeit ist vorüber, die hohe Zeit des Theaters beginnt. Dies ist seit Jahrzehnten so. Bevor die Premiere stattfinden kann, ist wochenlang geprobt worden. Die freie Zeit jedes Einzelnen muß dafür herhalten. Nicht immer fällt es am Abend leicht, die Liebsten, das warme Haus und den Fernseher zu verlassen. Wenn die Probe aber beginnt, ist dies alles vergessen. Die gemeinsame Leidenschaft zum Theater knüpft zwischen den Schauspielern enge Bande. Dann ist es soweit.

Zweiter Fastensamstag, 20 Uhr, Premiere des Dramas auf den Brettern, die für sechs Samstagabende die Eifel-Welt bedeuten. Wir sitzen auf alten Kirchenbänken - ohne die entsprechende Kniegelegenheit - die dem Theaterraum, der das Jahr über als Tanzsaal dient, eine gewisse Würde verleihen. Man kennt sich untereinander, und das Gemurmel ist groß. Auch in den ersten Reihen, wo sich einige als Städterinnen verkleidet haben - helle Strähnchen in den Haaren, auffällige Kleidung - verstummt das Gemurmel, als die Lichter ausgehen und nach einem lautstarkem Gongschlag ein Lied aus den Lautsprechern ertönt. Alle zucken etwas verstört zusammen. Der Vorhang öffnet sich einen Spalt weit. Ein junger Mann tritt ins Scheinwerferlicht und gibt den gespannt lauschenden Zuschauern einige Erklärungen zum Stück und an allgemeinen Verhaltensweisen. Es sind dieselben Anweisungen wie in den letzten Jahren. Es ist ja auch derselbe junge Mann.

Der Vorhang öffnet sich. Die Kulisse wird sichtbar. Man sieht, staunt und fragt sich, wie es dem Regisseur immer wieder gelingt, ein so imposantes Alpen-Panorama-Bild zu schaffen. Die ersten Schauspieler treten auf, noch etwas unsicher, was sich aber im Verlaufe der vier Akte ändern wird. Starker Szenenapplaus bestärkt sie in ihrem Spiel und ist der verdiente Lohn für beeindruckende Leistungen. Am Ende erhalten sie mehrere »Vorhänge«. Schauspieler leben mit vom Applaus, die Schauspieler eines Laientheaters nur vom Applaus. Die Leichtigkeit, mit der das Stück vorgetragen wird, läßt nicht erkennen, welche Arbeit und Mühen von den Akteuren aufgewendet werden müssen, bis es soweit ist: der Regisseur, der das ganze Jahr über nach einem Stück sucht, in dem auch alle Rollen besetzt werden und alle Schauspieler eine Rolle erhalten können; die Helfer im Hintergrund, die neue Kostüme nähen, auf Flohmärkten zeitgemäße Utensilien

aufstöbern; der Techniker, der zum entsprechenden Zeitpunkt die richtige Beleuchtung auf die Bühne projiziert und für das Gewitter verantwortlich ist - und viele und vieles mehr. Theater auf dem Dorf, eine Ganzjahres-Aufgabe, die nur von der Sache Begeisterte und Freunde leisten können. Der Inhalt des Stückes ist schnell erzählt: die Witwe und Hofbesitzerin wartet auf die Rückkehr ihres Sohnes aus dem Krieg - Sohn kehrt blind aus dem Kriege heim - die Gottesmutter wirkt ein Wunder - Sohn wird sehend und tritt das Hoferbe an. Nicht zu vergessen: ein junges Bauernmädel spielt auch noch eine nicht unwichtige Rolle. Das Licht geht an. Die Premiere ist vorüber -fast. Gerne stehen wir noch im Gespräch mit einigen Schauspielern zusammen und unterhalten uns über das Stück, loben ihre Ausdruckskraft, ihre Sensibilität, die gesamte Leistung. Sie sind gerade erst aus der Garderobe gekommen und innerlich noch sehr ihrer Rolle verhaftet, die sie an den nächsten fünf Wochenenden wieder spielen werden. Bevor wir uns auf den Heimweg machen, wünschen wir ihnen viel Erfolg für die nächsten Aufführungen. Wir winken ein letztes Mal. Vielen Dank und bis nächstes Jahr. Während wir in die dunkle Eifelnacht hineinfahren, werden die Schauspieler noch gemütlich bis zum frühen Morgengrauen zusammensitzen. Es gibt vieles zu erzählen.