Mädchenchor aus Minsk in der Eifel

Karl Schwill. Hillesheim

Da standen sie nun vor der Kirche, die beiden Mädchen, und warteten, bis mein Name aufgerufen wurde. Ich sprach sie an: »Da seid ihr beiden ja. Herzlich willkommen! Na, dann kommt mal mit". Meine junge Dolmetscherin Olga forderte die beiden auf, uns zu folgen. Sie gehörten zum Madchenchor »Raniza" aus Minsk, der vor wenigen Minuten ein Konzert in der altehrwürdigen Klosterkirche St. Leodegar in Niederehe beendete.

Meine Frau und ich hatten uns als Gasteltern zur Verfügung gestellt. So begann am 19. Juni 1992 unsere Freundschaft mit Irina und Alessia, deren Familien und mit dem Raniza-Chor aus Minsk. Seitdem habe ich nicht nur die Familien besucht und besser kennengelernt, sondern auch die Schule und den Chor, denn der Mädchenchor ist ein Schulchor der Schule Nr. 145 in Minsk.

Sie ist unserem Gymnasium ähnlich, das heißt, Kinder von etwa 12 Jahren an besuchen diese Schule und können nach dem Abschluss, unserem Abitur vergleichbar, die Universität besuchen. Schwerpunkt dieser Schule ist der Musikunterricht mit musikalischer Grundausbildung, basaler Musikerziehung in Theorie und Praxis, verbunden mit einer Ausbildung an zwei Instrumenten. Neben dem normalen Unterricht haben die Chorkinder dreimal in der Woche je zwei Stunden Chorprobe. Einmal in der Woche erhält jedes Kind Einzelunterricht in Gesang und Stimmbildung. Das Ergebnis ist der Konzertchor, der in Moskau den Titel eines Meisterchores errungen hat. Während meines letzten Besuches in Minsk im März 95 hatte ich Gelegenheit, den Chor bei seinen Proben in der Schule zu besuchen.

Wenn man einmal bei den Proben dabei war, so ganz nahe dabei, wenn die Kinder sich einsingen, auf verschiedenen Vokalen und Tonfolgen sich »warm machen", wenn sie dann ein neues Lied angehen, ein neues Werk ersingen - doch, da läuft es dem Hörer kalt den Rücken herunter. Ganz locker sitzen sie in den Bänken. Hin und wieder kommt auch mal ein Mädchen zu spät, leise geht es zu seinem Platz, es stört nicht, die Probearbeit läuft einfach weiter. Eine unauffällige Disziplin ist zu spüren. Die Dirigentin strahlt liebevolle Autorität aus, es gibt kein Schimpfen, keine lauten Zurechtweisungen; ein wunderbar freundliches Klima hüllt alle ein. Auf einmal ein befreiendes Lachen. Irgend jemand hat etwas Lustiges gesagt. Aber ein kleines Zeichen von Swetlana, der Chorleiterin, und alle sind wieder bei der Sache, voll da. Etwas von dieser familiären Disziplin ist auch in den Konzerten zu spüren. Aber nicht nur das. Auch wenn man die Sprache nicht versteht, die Seele ist's, die mitschwingt, die »rüberkommt« und den Hörer begeistert. Sie sind eine wunderbare musikalische Einheit, dieser Chor und seine Dirigentin; kein steifer, ein lebendiger Klangkörper, der sensibel reagiert. In 1991 unternahm der Schulchor zum erstenmal eine Auslandstournee, sie führte ihn nach Amerika. Vorher jedoch sollte der Chor einen Namen bekommen. So beriet sich das Kollegium, und in einer Konferenz einigte man sich auf den Namen »Raniza«. Raniza ist ein weiß russisches Wort und bedeutet "Der Morgen« oder "Die Morgenröte". Der Chor konnte gute Erfolge auch in seiner Heimat vorweisen, und so plante man schließlich eine Tournee nach Deutschland. Im Juni '92 war er in der Eifel. Im April '93 hatte ein Männerchor aus Mechernich den Chor eingeladen. Die Kinder waren beide Male bei Gasteltern untergebracht. Im Juni/Juli des gleichen Jahres folgte eine dreiwöchige Reise mit Benefizkonzerten von München über Stuttgart, Bad Kreuznach, Andernach, Adenau, Bonn und Hillesheim. Übrigens - auf Tournee sind jeweils 30 bis 35 Mädchen mit ihren Betreuerinnen. Außer musikalischem Können und guter Stimme müssen die Mädchen auch gute schulische Leistungen vorweisen. Ihr Repertoire umfasst weißrussische und russische Sacral- und Volkslieder. Im gleichen Jahr trat ein Wechsel in der Chorleitung ein; Viktor Maslennikow verließ die Schule. An seiner Stelle übernahm eine junge, temperamentvolle Dame die Leitung des Chores: Swetlana Gerasimowitsch. Sie hat am

Konservatorium in Minsk studiert und ist an der Hochschule für Musik in Minsk Dozentin für Chorleitung und musikalische Ausbildung. Viktor Maslennikow hat außerhalb der Schule seine chorische Arbeit mit neuer Besetzung fortgeführt und auch seinen jetzigen Chor Raniza genannt. Zuletzt war dieser Chor 1994 in Belgien und Deutschland. Hier hat er seinem Publikum in Adenau erklärt, bei der Suche nach einem Namen habe seine Tochter vorgeschlagen, den Chor Raniza zu nennen. Das ist eine schöne Mär; denn der Original-Schulchor heißt spätestens seit seiner Fahrt nach Amerika in 1991 Raniza. Fakt ist allerdings, dass es in Minsk nun zwei Chöre mit dem Namen Raniza gibt. Leider!

Es soll aber gewusst sein, dass die Chorkinder jederzeit bei uns herzlich willkommen sind. So war es auch in allerjüngster Vergangenheit, als der Schulchor Raniza im Kreis Daun Benefizkonzerte gab und auf Einladung des gemeinnützigen Vereins Eifellicht e.V. hier weilte. Die Kinder waren bei Gasteltern untergebracht, um die sich die Leute von Eifellicht bemüht hatten. Aus dieser Begegnung entstanden freundschaftliche Bindungen und Beziehungen. Es hat sich bewahrheitet, was mir eine Mutter sagte: »Unsere Kinder sind Botschafter des Friedens und der Freundschaft, sie erreichen für die Verständigung zwischen unseren Völkern mehr als unsere Politiker.«