Mühsame Verjüngung

Lotte Schahacker, Daun

Stellen wir uns vor, es geschähe ein Wunder: Alle Mixturen, Cremes, Lotions, Badezusätze und Haarpflegemittel, alle jene Dinge also, mit denen wir die Haut und ihre Fortsätze zu verjüngen wünschen, würden halten, was sie versprechen.

Und noch ein Wunder: Die Krankenkassen würden freundlich das Liften von Kehlkopf, Busen und Po bezahlen. Erfolg: Jede siebzigjährige (und darüber) konnte aussehen wie dreißig (und darunter).

Wie märchenhaft: Eine schone, junge Frau (denn schön wären wir natürlich] mit den vielseitigen und unzähligen Erfahrungen einer Seniorin! Wir wären überhaupt nicht mehr zu schlagen. Und die auf ihre spezielle Weise verjüngten Männer ebenfalls nicht. Aber hier fangen die Probleme schon an. Da wir ja nicht nur jung aussehen, sondern auch jung wirken wollen, müssen wir viele unserer Erfahrungen verheimlichen. Das Sicherste wäre, wir könnten sie radikal vergessen. Denn da wir mit zunehmenden Jahren vergesslich werden, würden wir sicherlich allzu oft vergessen, diese unsere Erfahrungen zu verheimlichen.

Wer das jedoch fertig brächte, könnte sie auch nicht anwenden. Wo bliebe da der Spaß an der Sache? Und der Nutzen? Wir wären nicht gewitzter als unsere Enkelgeneration, wir wären nur älter. Gerade deshalb würden wir uns vielleicht törichter benehmen, als wir uns heute vorstellen können. Und so war das ja nicht gedacht.

Aber das wird uns ja auch nicht zustoßen, wenn wir gesund bleiben. Niemand kann willentlich seine Erinnerungen ausknipsen wie eine Taschenlampe. Wir müssen eben das Beste aus der Sache machen und unseren Erfahrungsschatz pflegen, ihn verstohlen und unbemerkt einsetzen und Kapital aus ihm schlagen, welches auch immer.

Dazu müssen wir viel lernen. Glaubhaft jung zu wirken erfordert große Mühe und dauernde Konzentration. Hier einige Verhaltensregeln, die man auch im Umgang mit der eigenen Familie beachten sollte, zwecks Übung - für das nächste Zusammentreffen mit Fremden, die wir an der Nase herumführen wollen. Zu vermeiden sind auf jeden Fall: Die Redensart »Zu meiner Zeit". Was eh ein Unfug ist; die Zeit, in der ich lebe, ist immer meine Zeit. Lautes Sprechen, das auf Schwerhörigkeit schließen lässt. Die sogenannte Altersgeschwätzigkeit, die Sie Dinge ausposaunen lässt, die Sie gar nicht wissen dürften. Halten Sie mal öfter den Mund.

Detaillierte Berichte von Krieg und Flucht; so etwas dürfen Sie ja nur vom Hörensagen kennen.

Die Erwähnung pensionierter Schwiegersöhne, von Enkeln ganz zu schweigen. Das intensive Interesse für Todesanzeigen in Zeitungen,

Das Ausplaudern chronischer Krankheiten, denn um chronisch zu werden, braucht ein Übel viel Zeit. Und lassen Sie sich nicht über Ihre Arthrosen und andere Verschleisserscheinungen aus. Bloß das nicht! Wenn Sie humpeln müssen, dann hatten Sie eben irgendeinen Unfall, oder Sie haben schlicht Muskelkater erwischt beim Sport. Mit Kopfschmerzen dagegen dürfen Sie hausieren gehen, die haben heute schon die Schüler. Wiederholen Sie sich nicht, auf die Gefahr hin, etwas, was Sie vielleicht zum zweitenmal erzählen, gar nicht zu erwähnen. Wichtig ist auch, Wörter zu vermeiden, die aus der Mode gekommen sind. Heute ist man nicht mehr fröhlich, man ist höchstens vergnügt. Eine große Sünde: Gut artikuliertes und gekonntes Deutsch zu sprechen. Welche jungen Leute lassen sich noch dazu herab? Klug ist auch die Bemerkung, diese Kukidenttabletten hätten wohl etwas mit Zahnprothesen zu tun. Und die Frage: »Was wollten eigentlich diese Nazis damals genau?« Werden Sie nicht verlegen, wenn Sie Namen vergessen haben - die wirklich Jungen merken sie sich erst gar nicht.

Sollten Sie sich einmal als Frau in eine intime Beziehung verwickeln lassen, so vergessen Sie die »Pille« nicht. Vitamintabletten genügen da ja, sie müssen nur so aussehen wie "Pillen«. Und Sie werden natürlich Aufhebens davon zu machen haben. - Für einen Mann in einer solchen Sachlage wäre es ratsam, sein Leistungsvermögen gewissenhaft einzuschätzen. .. Taschentuch lein mit gehäkelten Spitzen sind die Markenzeichen alter Damen. Wenn Sie sie noch so lieben - lassen Sie die verschwinden. Und als verjüngter Mann vergessen Sie nicht, dass Ihr geliebter Hut von nun an in den Schrank gehört.

Diese Liste müssten Sie selbst vervollständigen, denn jeder Mensch kultiviert ja darüber hinaus noch seine höchstpersönlichen Altersmacken, Denken Sie nach! Wer diese Ratschläge befolgt, der würde auch ohne Wundersalben und großzügige Krankenkassen um etliches jünger wirken. Und wem auch das noch zu mühselig ist, der sollte den Spieß umdrehen. Etwa so: "Wenn man alten Menschen eine Freude machen will, so sagt man ihnen, sie seien - aber -jung geblieben. Als sei der Anschein der ewigen Jugend das einzig Erstrebenswerte, das Höchste, das man im Alter erreichen kann. Wenn wir nicht mehr zustande gebracht haben, als jung zu wirken, dann haben wir nicht viel aus unserem Leben gemacht.. .*