Geschichte - Geschichten

Weidegenossenschaft Hünerbach

Stephan E. Braun. Löhndorf

Bedingt durch die fast revolutionären Veränderungen in der Landwirtschaft in den letzten zwanzig Jahren haben sich zwangsläufig auch die Strukturen in den »Bauerndörfern« der Hocheifel gewandelt. Die ehemals große Anzahl bäuerlicher Familienbetriebe mit Viehzucht, Milchwirtschaft und Ackerbau ist einer kleinen Zahl großer landwirtschaftlicher Betriebe gewichen, ein Teil der ehemaligen Bauern bewirtschaftet noch nebenbei die eigenen Äcker.

Mit dem "Bauernsterben« verschwinden auch verschiedene landwirtschaftliche Selbsthilfeorganisationen. Beispielhaft für solch eine Genossenschaft sollen hier die Aktivitäten der Weide genösse n schaff Hünerbach von 1936-1990 dargestellt werden Hünerbach, heule Ortsteil der Gemeinde Kelberg, wies am 1. April 1936 folgende landwirtschaftliche Struktur auf: Vierzehn landwirtschaftliche Betriebe, davon

 zwei unter 2 ha Größe

drei 2- 5 ha Größe

sechs 5-10 ha Größe

zwei 10-20 ha Größe

einer 20-50 ha Größe

Eine Zusammenlegung der landwirtschaftlichen Grundstücke hatte 1896-98 stattgefunden.

Von der landwirtschaftlichen Nutzfläche waren etwa 25 ha in gemeindlichem Besitz, vor allem ehemaliges Schiffelland, welches als Weide genutzt wurde. An Ödland waren nur noch 0,3 ha vorhanden, die restlichen Ödlandflächen waren aufgeforstet oder in einem Zustand, der eine Beweidung zuließ. Die Äcker im Gemeindebesitz waren an die Bürger zu einem Einheitspreis verpachtet. Die gemeindlichen Weiden wurden gemeinsam genutzt. In den Sommermonaten hütete ein Kuhhirte eine Herde Kühe und Jungrinder auf den Flächen. Am 22. 4. 1936 wurde die Weidegenossenschaft Hünerbach gegründet. Gegenstand des Unternehmens »...ist die Förderung der Viehzucht durch Anlage und Bewirtschaftung von Weideflächen auf gemeinschaftliche Rechnung und Gefahr. Die Mitgliedschaft können alle Bürger der Gemeinde erwerben, die ihren Wohnsitz in Hünerbach haben. Der Geschäftsanteil für jeden Genossen beträgt drei Mark." Des weiteren werden im Statut von 1936 die Organe der Genossenschaft und ihre Aufgaben festgelegt. Unterschrieben haben dreizehn Mitglieder. Bereits mit der Erstellung des Statuts treten für die Genossen die ersten Probleme auf, das Amtsgericht Adenau beanstandet am 23. Juli 1936 unter anderem: (...) 3. Nach § 13 des Statuts besteht der Vorstand aus fünf Mitgliedern, gewählt sind dagegen nur vier.

(...) 5. § 19 des Statuts entspricht nicht dem Genossenschaftsgesetz, wonach die Berufung der Generalversammlung durch unmittelbare Benachrichtigung der einzelnen Genossen oder durch Bekanntmachung in einem öffentlichen Blatt erfolgen muss. (Anmerkung des Verfassers; die Genossen hatten Bekanntmachungen mit der Dorfschelle vorgesehen, wie das zu jener Zeit in Hünerbach, wie in anderen Dörfern, für öffentliche Bekanntmachungen üblich war, im Genossenschaftsgesetz war die Dorfschelle aber nicht vorgesehen).

Der Rheinisch-Trierische Genösse n schaff s verband - Raiffeisen - E.V. stellt mit Schreiben vom 14. 9.1936 fest, "dass die beiliegende Vereinssatzung erhebliche Mängel aufweist und in wesentlichen Punkten dem Genossenschaftsgesetz widerspricht." Nach Ausräumung verschiedener Formfehler erfolgt die Eintragung ins Genossenschaftsregister durch das Amtsgericht Adenau am 27. Februar 1937. In die Liste der Genossen wurden zwölf Personen eingetragen (zehn Landwirte und zwei Landwirtinnen). Somit konnte die Genossenschaftsarbeit offiziell beginnen.

Da im Dritten Reich das Regime bestrebt war, bis in die kleinsten Bereiche hineinzuwirken und für alles Ordnungen und Organisationen zu schaffen, lag die Gründung einer Weidegenossenschaft voll auf der offiziellen Linie. Von der Landbauaußenstelle Koblenz wurde eine Weideordnung und eine Geschäftsordnung für Weide- und Bodennutzungs-Genossenschaften herausgegeben, nach denen sich die Genossenschaftsarbeiten zu richten hatten. In diesen Ordnungen waren selbst Details geregelt, so musste zum Beispiel nach jedem Umtrieb (...) sofort für ein ordnungsmäßiges Verteilen der Fladen Sorge getragen werden.« (Anmerkung durch Verfasser; man sieht im Dritten Reich war sogar das Verteilen des Mistes geregelt.)

Die Geschäftsordnung endet gemäß dem Zeitgeist mit dem Satz: »Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass bei Beachtung von Disziplin und Ordnung Großes zu erreichen ist. - Einigkeit macht stark - Heil Hitler.« Bezüglich der zu bewirtschaftenden Flächen gab es Unstimmigkeiten mit dem Gemeindeforstamt Kelberg. Im Jahre 1933 hatte die Gemeinde Hünerbach eine Ödlandfläche auf dem Riem unter Forstaufsicht stellen lassen, so dass im Forsteinrichtungswerk von 1937 die Aufforstung festgelegt wurde.

Nach der Gründung der Weidegenossenschaft sollte die Fläche als Weide genutzt werden und erst nach einigem Schriftverkehr zwischen Gemeinde, Genossenschaft, Amtsverwaltung und Forstverwaltung, wurde mit Schreiben vom 22. 9. 1939 vom Regierungspräsidenten in Koblenz angeboten, die fragliche Fläche (etwa 4 Morgen] nach förmlichem Antrag durch die Gemeinde an den Gemeindeforstmeister aus der Forstaufsicht zu entlassen. Am 22. 3. 1939 schloss die Genossenschaft einen Pachtvertrag mit der Gemeinde Hünerbach über die in Frage kommenden Flächen, zum Preis von 2 RM je ha jährlich (Die Gesamtfläche ist aus dem Vertrag nicht ersichtlich). Die Flächen müssen durch die Genossen drainiert, kultiviert und eingesät werden, ein Teil der Fläche wurde ackerbaulich genutzt, mit dem Erlös aus dem Verkauf der Produkte wurden die Schulden für die Kultivierungsarbeiten getilgt. Bei den umgebrochenen Flächen handelt es sich um sehr nährstoffarme Standorte, die bedingt durch die jahrzehntelange Nutzung als Schiffelland und später als Weide ohne jegliche Düngung zu Heiden devastiert waren. Belegt wird dies durch ein Untersuchungsattest des Landwirtschaftlichen Untersuchungsamtes, welches dem untersuchten Boden völlig ungenügende Versorgung mit Phosphorsäure und ungenügende Versorgung mit Kali bescheinigt.

Trotz des Krieges und den im Vergleich zu heute bescheidenen Maschinenkapazitäten wurden die Flächen hergerichtet und im vorgesehenen Umfang bewirtschaftet. So wurden für das Wirtschaftsjahr 1941/42 folgende Maßnahmen beschlossen: 15 Morgen Neueinsaat mit Gras

10 Morgen Winterroggeneinsaat

6 Morgen Neuumbruch

8 Morgen Bepflanzungen mit

Saatkartoffeln

Bedingt durch die Wirren der Kriegs- und Nachkriegsjahre liegen für die Jahre 1942-48 keine Protokolle vor, das Protokollbuch ist aber im Gegensatz zu den Akten anderer Verwaltungen und Organisationen vollständig, es fehlen keine der durchnumerierten Seiten, wahrscheinlich verzichteten die Genossen in jenen Jahren auf die »ungeliebte Bürokratie«. Hauptzweck und wichtigste Aktivität der Genossenschaft war der gemeinsame Weidebetrieb. Jeder Genösse konnte bis zu einer bestimmten Anzahl Tiere mit der Herde mitgehen lassen, hierfür war ein festgelegtes Weidegeld je Tier zu zahlen. Die Preissteigerung dieses Weidegeldes soll anhand der vorliegenden Zahlen kurz dokumentiert werden: 1938 je Tier 2 RM, 1949 je Tier 1 DM für Mitglieder

10 DM für Nichtmitglieder 1952 2 DM je Stück 1958 20 DM je Rind bzw.

25 DM je Kuh für die ersten vier Tiere

je Genösse und

30 DM je Rind beziehungsweise 35 DM je Kuh für das 5. und 6. Tier (mehr als 6 Tiere je Genösse durften nicht aufgetrieben werden). Gehütet wurde die Herde von einem Kuhhirten. Dieser erhielt neben einem (geringen] Lohn freie Verpflegung und Unterkunft von den Genossen.

Der Hirte wurde abwechselnd in "Kost genommen«, abhängig von der Anzahl getriebener Tiere. »Für Tiere, die bis Johannistag (24. 6.) mit der Herde gehen, muss der jeweilige Genösse den Kuhhirten bis zum 1.11. (Allerheiligen] in Kost halten, für Tiere, welche die ganze Weidezeit bei der Herde sind, muss der Hirte den ganzen Winter bis zum nächsten Weideaustrieb beköstigt werden." War der Kuhhirte verhindert, musste jeder Genösse einen Tag den Hütedienst übernehmen (dafür erhielt er zwei Tage Verpflegung abgezogen). In den späteren Jahren musste die Familie, welche den Hirten in Kost hatte, auch eine Person abstellen, die die Verkehrssicherung beim Treiben der Herde über öffentliche Straßen übernahm. Die Pflege der Weiden (und in den ersten Jahren auch die Bestellung der Äcker und die Ernte) wurde gemeinsam durchgeführt, der Vorstand ordnet Genossenschaftsarbeit an und jeder hatte eine bestimmte Anzahl Hand- und Gespannarbeitstage zu leisten. Für nicht geleistete Arbeiten waren Strafen zu zahlen (so 1949 5 DM je Handarbeitstag und 10 DM je Gespannarbeitstag, weiterhin wurde 1949 geregelt, dass ein Genösse, dessen Familie Vollarbeitskräfte hatte, keine Kinder unter 16 Jahren zur Genossenschaftsarbeit schicken durfte). Wer seine Zahlung bis Martini (11.11.) nicht geleistet hatte, wurde nach Beschluss der Generalversammlung ausgeschlossen. Anhand der Protokolle und vorliegender Akten lässt sich rückschauend sagen, dass die 60er Jahre wohl die günstigste Zeit für die Genossenschaft und ihre Mitglieder war. Außer den üblichen Problemen mit der »Bürokratie« (spricht Genossenschaftsverband und Amtsgericht) vor allem bezüglich einzuhaltender Formalitäten, lief das Genossenschaftsleben seinen Gang.

Von Frühjahr bis Sommer wurde die Herde vom Kuhhirten gehütet und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren für die bäuerliche Landwirtschaft so günstig wie selten (oder nie) vorher und auch nachher nicht mehr. Eine gravierende Veränderung wurde der Genossenschaft 1970 aufgezwungen, der Kuhhirte konnte wegen Krankheit und Alter seine Arbeit nicht mehr weiterführen, das hieß, der gemeinsame Weidebetrieb musste aufgegeben werden. Am 20. 12. 1969 hatte die Genossenschaft einen Pachtvertrag mit der (damals noch selbständigen) Gemeinde Hünerbach für die gesamte gemeindeeigene landwirtschaftliche Nutzungsfläche (etwa 25 ha) für die Dauer von 30 Jahren zum Preis von 150 DM je Jahr geschlossen.

Am 20. 10. 1970 wurde auf einer Generalversammlung beschlossen, das gepachtete Land auf neun Lose (ein Los je Genösse] aufzuteilen und zum Preis von 60 DM je Jahr und Los den einzelnen Genossen für die Dauer von zehn Jahren zur Nutzung zu überlassen. Formal blieb die Genossenschaft so zwar weiterhin bestehen, aber die ursprünglichen Aufgaben - gemeinsame Bewirtschaftung der Grundstücke und gemeinschaftlicher Weidebetrieb wurden nicht mehr erfüllt. Die starken Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die zu einer Vernichtung der bäuerlichen Familien- (Nebenerwerbs) - Betriebe in den 80er Jahren führte, verschonte auch die Weidegenossen schart Hünerbach nicht.

Einige Genossen gaben die Milchwirtschaft auf oder verkleinerten ihre Betriebe, so dass das ursprüngliche Ziel der Genossenschaft, »die Förderung der Viehzucht«, nicht mehr gefragt war. Zwangsläufig erfolgte der logische Schritt aus der Entwicklung der letzten zwanzig Jahre, anlässlich der Generalversammlung am 3. 12. 1989 wurde die Auflösung der Genossenschaft mit »sofortiger Wirkung« einstimmig beschlossen. So lautet die letzte Eintragung bezüglich der Weidegenossenschaft Hünerbach des Amtsgerichtes Wittlich vom 2. Februar 1990: •>... wegen Vermögenslosigkeit gelöscht. Die Gesellschaft gilt als aufgelöst.«

Quellen:

-Akten und Protokollbuch der Weidegenossenschaft Hünerbach e.G.m.b.H. von 1936-1990

-Mündliche Auskünfte von Herrn Ernst Braun, Hünerbach