Frühkeltischer Grabfund -Bemerkenswertes aus Gillenfeld

Dr. Hans Nortmann, Trier

Seit etlichen Jahren schon sucht und beobachtet H.-J. Stolz aus Gillenfeld im weiteren Umkreis seines Heimatortes archäologische Fundstellen. Durch die Zusammenarbeit mit dem Rheinischen Landesmuseum Trier kommen die Beobachtungen und Fundmeldungen der Erforschung jener Vergangenheit zugute, über die keine schriftliche Nachrichten vorliegen. Ein besonders erfolgreiches Beispiel solchen Zusammenwirkens soll hier vorgestellt werden:

Auf den westlichen Randhöhen des Alftales bei Gillenfeld hatte Herr Stolz früher schon auf das Ruinenfeld eines römischen Heiligtums aufmerksam gemacht. Am Rande dieser Fundstelle konnten bei der Begehung des Ackers aber auch einige Scherben und eine Lanzenspitze aufgelesen werden, die auf einen älteren keltischen Friedhof an dieser Stelle hinwiesen. Diese Vermutung sollte sich zum Jahresende 1991 bestätigen. In einer tiefen Randfurche beobachtete Herr Stolz angepflügte Bronzeblechreste und barg sie durch eine kleine Nachschachtung vor der weiteren Bearbeitung des Ackers. Bei näherer Begutachtung des Fundes im Rheinischen Landesmuseum Trier stellte sich heraus, dass es sich hier um ein besonderes Stück handelte.

Die Blechreste gehörten zu einem Eimer, einer sogenannten »Situla«, von etwa 5-6 Litern Fassungsvermögen aus der Zeit um 400 vor Chr. Die Herstellung, die große handwerkliche Geschicklichkeit erforderte, nimmt in vielem die technischen Merkmale industriell hergestellter Blechdosen von heute vorweg. Allerdings war die Nahtstelle der Wandung hier ebenso wie die Attasche des beweglichen Henkels genietet.

Antike Metallgefäße sind selten, weil aufwendiger herzustellen und kostbarer als andere Gefäße, etwa die aus Ton. Metallgeschirr wurde auch nicht unbedingt gebraucht, sondern verkörperte eher einen mehr oder weniger exklusiven Luxus. Situlen dieses Typs sind praktisch die ältesten Metallgefäße im Rheinland und darum ganz gewiss für ihre Zeit als Kostbarkeiten aufzufassen. Bisher sind hierzulande etwa 20 Exemplare gefunden worden, die durchweg als Grabbeigabe dienten. Die Situlen stammen aber, wie jetzt sicher nachgewiesen werden konnte, allesamt vom südwestlichen Alpenrand, aus der Lombardei oder dem Tessin. Der Bezug des Metallgeschirrs über eine seinerzeit enorme Distanz unterstreicht den besonderen Rang, der diesen Exotika zugemessen werden

Die restaurierte Bronzesitula von Gillenfeld, Höhe um 26 cm.

Zeitgenössische Darstellung (Ausschnitt) einer südalpinen Festszene im 5. Jahrh. vor Chr.: Ein vornehmer Zecher im Lehnstuhl hält seine Trinkschale dem Mundschenk hin, der sie mit einem Schöpfer aus einer Situla nachfüllt. Ein ganzes Gestell mit solchen Situlen zeigt, dass noch reichlich Weinvorrat bereitsteht. Links eilt ein weiterer Diener mit leerem Metallgeschirr davon.

darf. Die Situla von Gillenfeld führt denn auch geradewegs in jene Zeit um 500-400 vor Chr., als die im südlichen Rheinland ansässigen Kelten innerhalb weniger Generationen Kontakt mit Südeuropa aufnahmen und sich von der Kultur der Mittelmeervölker tief beeindrucken und beeinflussen ließen.

Im Frühjahr 1992 konnte die Fundstelle der Situla vom Landesmuseum Trier vollständig ausgegraben werden. Wie zu erwarten lag hier ein frühkeltisches Grab. Im Boden zeigte sich noch die Spur des Baumsarges. Die Knochen des darin beigesetzten Toten waren aber, wie im Eifelboden üblich, gänzlich vergangen. Es muss sich um einen Mann gehandelt haben, denn zur Grabausstattung gehörten noch drei eiserne Speerspitzen, also Waffen, und ein großes Eisenmesser. Neben dem Messer hatte die Situla gestanden. Sie ersetzte das in gewöhnlichen Gräbern sonst übliche Tongefäß für ein Getränk. Bei dem Messer, als Tranchiermesser aufzufassen, lag wahrscheinlich als Ergänzung dazu eine Fleischbeigabe.

Der Sonderstatus des hier beigesetzten Mannes ging schon daraus hervor, dass man ihm statt der üblichen Keramik ein seinerzeit ungewöhnlich wertvolles und exotisches Metallgeschirr zugedacht hatte, das ursprünglich wohl in seinem Besitz war. Wahrscheinlich wollte er damit »als Mann von Welt« ganz bewusst an die Tafelsitten südländischer Weingelage anknüpfen, denn die Situla ist eigentlich ein Gefäß zum Weinschöpfen, wie es uns Bilddarstellungen jener Zeit aus Oberitalien oder Slowenien zeigen. Zwar fehlte unserem Kelten neben dem Wein noch manches andere, um glaubwürdig den Lebensstil südländischer Aristokraten zu imitieren. Da seine Zeitgenossen aber wohl kaum Gelegenheit zum Vergleichen hatten, waren sie sicher gebührend von dem fremdartigen Tafelzuwachs beeindruckt.

Die Schäfte der zierlichen Speere — vielleicht waren es auch eher Jagdpfeile — waren mit gepunzten Eisenblechstreifen ganz ungewöhnlich aufwendig verziert. So ist es denkbar, dass diese Waffen vielleicht eher Abzeichencharakter hatten und ebenfalls einen besonderen Rang des Toten anzeigten.

Über dem Grab wölbte sich ursprünglich sicher der im 6.-3. Jahrhundert vor Chr. bei allen Bestattungen übliche Grabhügel, doch hatte Dauerackernutzung dieses Totenmal inzwischen vollständig eingeebnet. Der Fund des Grabes mit der Situla machte dann allerdings auf eine stark verschliffene Kuppe in seiner unmittelbaren Nachbarschaft aufmerksam. Dabei handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Rest eines mit mehr als 30 m Durchmesser besonders mächtigen Grabhügels, wie er Mitgliedern der früh keltischen Aristokratie immer wieder zugedacht worden ist. Die Nachbarschaft eines Grabes mit ungewöhnlicher Ausstattung zu einem ungewöhnlich mächtigen Grabhügel ist vermutlich nicht zufällig. Die Kombination dieser Beobachtungen mit schon bekannten Tatsachen der keltischen Kulturgeschichte legt nahe, dass auf der Höhe bei Gillenfeld irrt 5.-4. Jahrhundert vor Chr. eine jener abgesetzten Grabhügelgruppen angelegt wurde, mit denen der ansässige frühkeltische Adel seine Sonderstellung demonstrieren wollte. Das lenkt den Blick auf die weitere Umgebung und führt zu der Frage, wie man sich die Besiedlung und historischen Verhältnisse der Eifel zu jener Zeit vorstellen darf.

Die Talweitung der oberen Alf zwischen Gillenfeld und Strohn wird von eher sanft gewellten Höhen begleitet, die heute und schon seit langem zum großen Teil gerodet sind. Der Ackerbau hat hier viele ältere Spuren keltischer und römischer Besiedlung verwischt. In größeren Waldarealen sind dort allerdings auch noch oberirdisch sichtbare Spuren frühkeltischer Friedhöfe als Grabhügelgruppen erhalten geblieben. Nördlich wie südlich des Situlagrabes sind 600-1000 m entfernt solche Grabdenkmäler sichtbar geblieben.

Mit Gruppen von etwa 30 Hügeln geben sich hier Teile von zwei größeren Friedhöfen der frühkeltischen Normal bevölkern n g zu erkennen. Vollständige Gräberfelder dieser Art, über 300-400 Jahre lang belegt, zählen anderwärts in Eifel und Hunsrück zuweilen mehr als 100 Grabhügel, die weitläufig über eine Strecke von 1 -2 km verteilt sein können. Bedenkt man jene Entfernungen, dann wird einem jener Norrnalfriedhöfe unsere kleine Grabgruppe mit besonders hervorgehobenen Gräbern zuzuordnen sein.

Von jenen bevorrechtigten Toten sollte man sich allerdings keine allzu übertriebene Vorstellung machen. Aus der Umrechnung der Bestattungszahlen eines größeren Friedhofs über die Zeit hinweg und der weitläufigen Verteilung solcher Friedhofseinheiten lassen sich als Anhang oder Gefolgschaft dieses »Adels« doch nur sehr kleine Gemeinschaften errechnen. Mit allenfalls 20-40 Personen (einschließlich Kindern) pro Gräberfeld sind es eher die Gemeinden eines Hofes oder Weilers.

Auf den stärker gerodeten, östlich gegenüberliegenden Randhöhen des Alftales haben sich keine Hügelgräber mehr erhalten. Durch einen glücklichen Zufall besitzen wir jedoch aus dem Jahr 1889 eine Nachricht, die dort eine gleichartige Belegung mit früh keltische n Friedhöfen vermuten lässt. Zur Land Verbesserung wurde an dieser Stelle seinerzeit ein Hügel abgetragen und dabei unter der Steinpackung ein 30 cm hohes Bronzegefäß und eine Lanzenspitze entdeckt. Die Funde aus diesem Waffengrab gingen verloren. Nach der vagen Beschreibung könnte das Bronzegefäß eine Situla wie beim Fund von 1991 in Sichtweite auf der anderen Talseite gewesen sein. Es ist wohl kein Zufall, dass bei dieser Entdeckung nur von einem einzelnen Hügel die Rede ist. Entsprechend seinem besonderen Inhalt war es wohl auch ein besonders großer Hügel, der dort den jahrhundertelangen Ackerbau noch erkennbar überstanden hatte.

So lassen sich aus der sorgfältigen Beobachtung von heute, der geduldigen Archivierung älterer Berichte und dem Vergleich mit Nachbargebieten für einen Kleinraum bruchstückhaft die Besiedlungsverhältnisse einer fernen Vergangenheit rekonstruieren. Im vorliegenden Fall blieb es dabei allerdings nicht:

Die Situla aus dünnem Bronzeblech war durch Korrosion, Bodendruck und Pflug so stark mitgenommen, dass vom Restaurator erst mühsam das alte Aussehen weilgehend wiederhergestellt werden musste. Jene Restaurierungsarbeiten ermöglichten den Bearbeitern zahlreiche und über den bisherigen Forschungsstand hinausgehende Einblicke in das handwerkliche Fertigungsverfahren jener Bronzegefäße, Unversehens wurde darüber der Neufund von Gillenfeld Anlass, von der Eifel aus ein Stück antike Technikgeschichte aufzurollen und bis zu den Wurzeln im Süden der Alpen zu verfolgen.