Neues Bauen in unseren Dörfern -Einheitsbrei oder landschaftsgerecht?

Karl-Heinz Böffgen, Gerolstein

"Den Erker wollen wir auf jeden Fall haben, den hat man doch heute, unser Nachbar auch. Das rot eingedeckte Krüppelwalmdach mit der großen, seitlich abgerundeten Gaube und dem großen D ach überstand finden wir schon, das haben wir im Urlaub gesehen. Ja, und die Kunststoffenster sollen im Glas liegende Sprossen erhalten, damit sie besser geputzt werden können. Ringsum wird alles ordentlich gepflastert und die Böschung fangen wir mit braunen Betonpflanzkübeln ab. Wir haben noch einen alten Pflug, der im Vorgarten aufgestellt wird. Und hier, ja hier hängen wir ein altes Wagenrad an die Wand.» Das junge Ehepaar plant in einer Dorferneuerungsgemeinde ein Wohnhaus zu bauen. Der Dorferneuerungsbeauftragte des Kreises versucht, das Dorferneuerungskonzept der Gemeinde, insbesondere die darin beschlossenen Gestaltungsmerkmale und -hinweise näherzubringen, das an dieser Stelle erforderliche landschaftsgerechte, eingepasste Bauen zu erklären.

Der Versuch, Bauherrin und Bauherrn umzustimmen, scheitert kläglich. »Das Dorferneuerungskonzept hat doch keine Rechtskraft. Wir bauen wie wir wollen! Die Gemeinde hat keine Einwände und überhaupt ist das alles Geschmackssache! Wir haben doch Baufreiheit - was wollen Sie denn«?!

Auch der Hinweis des Beraters, Freiheit stehe immer im Zusammenhang mit der Verantwortung, die Einheit »Dorf" zu beachten, sich in diese einzuordnen, geht ins Leere. Die allerletzte Anmerkung des Beraters war, bevor das Ehepaar leicht brüskiert das Büro verließ: »Es gibt nur zwei Arten von Geschmack, die richtige und die falsche!«

Und so bauten die jungen Leute ihr Haus, modisch, rücksichts- und beziehungslos, pflegeleicht, außerdem zu groß und mit schlechter Grundrisslösung, zu teuer, mit Vor- und Rücksprüngen in den Fassaden, mit bauphysikalischen Problembereichen in einer nichtssagen- den Architektur: Alles, »was man heute so hat« ist drin, dran und drumherum. So entstehen in allen Regionen Deutschlands hunderttausende von Wohnhäusern, austauschbar und ohne regionalen Bezug, sich an nichts anderem orientierend als an den zur Zeit gängigen Modetrends und am falschen Geschmack der Bauherrschaft. Wohnhäuser, die unsere Dorfer verpfuschen, die sich wie ein Einheitsbrei die deutschen Landschaften erobern, sich irgendwie alle gleichen und die die Identität unserer Dörfer bis zur Unkenntlichkeit zerstören werden.

Dabei haben doch gerade die Dorferneuerungsgemeinden in ihrem Konzept beschlossen, dem entgegenzutreten, das Dorfbild zu erhalten.

Viele Architekten - sagen wir besser »Planer« -prostituieren sich, leisten kaum Überzeugungsarbeit und fettigen resigniert die gewünschten Pläne. Die Kundschaft könnte ja sonst verlorengehen. Auch (Fertig-)Haushersteller leisten ihren Anteil am regional untypischen Bauen. So werden in der Eifel zum Beispiel Tiroler Wohnhäuser und finnische Blockholz-Häuser angepriesen, verkauft und auch gebaut. Es ist in der Tat so, wie M. L. Niewodniczanska schreibt: »Ein schwieriges Thema -Neu zu Alts oder die Integration von >Neu und Alt«; die wichtigste Architekltraufgabe der Gegenwart und Zukunft!" Wer wachen Auges durch unsere Landschaft fährt, sieht ganz selten gute Gebäude, die nicht verheimlichen, aus unserer Zeit zu stammen und sich dennoch gestalterisch einfügen. Diese (Bau-)Kunst scheint vielen Architekten abhanden gekommen zu sein. Es sind aber vor allem die Bauherrschaft und die Gemeinden, die allzuoft gedankenlos der »Baufreiheit« freien Lauf lassen: »Egal wie, Hauptsache es wird im Dorf gebaut!« Oft hört man, die Baugenehmigungsbehörden müssten doch eingreifen. Tatsache ist aber, dass mit der Landesbauordnung die Gestaltung so gut wie nicht zu beeinflussen ist. Nur die Gestaltungssatzung ist geeignet, rechtlich bindende Vorschriften für das Bauen im Dorf zu schaffen. Als Beispiel wird die Ortsgemeinde Kerpen, Landkreis Daun angeführt, die zusammen mit der Dorferneuerung eine Gestaltungssatzung erlassen hat. Kerpen wurde nicht von ungefähr Siegerin in allen Wettbewerben «Unser Dorf soll schöner werden«, sogar Bundessiegerin 1993 und 1994 Preisträgerin im »Europäischen Dorfwettbewerb«. Warum landschaftsgerecht, regionaltypisch bauen? Zunächst muss klargestellt werden: Landschaftsgerechtes Bauen hat nichts mit Historismus, mit Nachahmen zu tun. Gemeint sind weder aufgesetztes Fachwerk, Sprossenfenster, noch andere Versatzstücke und Imtnitate der Baugeschichte, schon gar nicht importierte Ailerweltselemente. Es geht schlicht und einfach um den Erhalt der Identität unserer Dörfer. Unsere Umwelt, von den meisten nur unbewußt wahrgenommen, wird im besonderen Maße von der baulichen Substanz geprägt. Gerät diese durch modisches Einerlei, durch das momentan Übliche, durch das Geschmäcklerische in Unordnung, geht auch ein Teil unserer Lebensqualität verloren. Jeder egoistische, rücksichtslos gestaltete Neubau bestimmt das nahe Umfeld, das Dorfbild einer Gemeinschaft negativ mit. Und das für viele Jahre! Keiner baut für sich allein! Im Bauen drückt sich auch aus, wie wir miteinander umgehen, spiegelt sich unsere Gesellschaft wider: rücksichtsvoll, bescheiden, eingebunden in die Dorfgestalt oder auffallen wollend, protzend, rücksichtslos, sich aussondernd.

Neues Bauen im Dorf heißt: klare einfache Grundrisse, Konstruktionen und Gestaltungselemente, Aufnahme des Dorfgrundrisses, Räume bildend, Bescheidenheit bei der Wahl der Materialien. Der Architektur muss man ansehen, dass sie der heutigen Zeit entstammt und sich gleichzeitig einfügt in das bebaute, tradierte Umfeld. Das ist Baukunst! Heute traut sich fast jeder nach eingehendem Studium von Katalogen, Bauzeitungen und nach Besichtigungen zu, sein Haus selbst zu entwerfen. Wer das nicht will, kauft sich ein Haus »von der Stange«. »Freies Bauen für freie Bürger!?" Ade, Eifeldorf, bald kennt Dich keiner mehr wieder! Wollen Sie das; wir, die Gemeinschaft?