Gedanken zur Dorferneuerung

Nikolaus Ratz, Kerpen/Loogh

Unser Dorf soll schöner werden - Dorferneuerung und damit einhergehender Wettbewerb darf zeitlich nicht begrenzt sein. Es ist ein ständiges Bemühen der Dorfgemeinschaft, dem Heimatort eine lebenswerte Wohnqualität zu verleihen, eine fortlaufende Anstrengung, dem Dorf im Wandel der Zeit seine soziale Struktur und seine Geschichte zu bewahren. Mit den strukturellen Verbesserungen des ländlichen Raumes in allen Bereichen wurden unsere Dörfer in den vergangenen Jahrzehnten vor eine neue Herausforderung gestellt. Dies war uns im Anfang dieser Veränderungen nicht bewusst und unsere Reaktionen blieben oft zögerlich und stümperhaft.

Infolge steigenden Freizeitangebots, durch geregelte Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten im außerlandwirtschaftlichen Bereich verloren die Menschen immer mehr die Lust an schwerer und schmutziger landwirtschaftlicher Arbeit. Dies um so mehr, als auch die Frauen in außerlandwirtschaftliche Arbeitsverhältnisse drängten; sie waren es ja die das Schwerste im landwirtschaftlichen Nebenerwerb zu tragen hatten.

Die aufstockungswilligen landwirtschaftlichen Betriebe siedelten in die Feldflur oder an den Ortsrand. Die Dorfschulen wurden aufgelöst. Das soziale Gefüge des Dorfes, in das sich der Einzelne zunehmend weniger eingebunden fühlte, drohte zu zerbrechen. Die Gemeinden wiesen neue Baugebiete aus, die Ortskerne entleerten sich. Zurück blieben ungenutzte Ökonomiegebäude und leerstehende Häuser. Ein Bewusstsein für historische Bausubstanz war nicht vorhanden, und so setzte die Verschandelung der noch intakten ein. Vorhandene Misthaufen störten den Besucher ebenso, wie die verbliebenen Dorfbewohner. Das austretende Sickerwasser war Wasserwerken und Umweltschutz ein Dorn im Auge. Man gab sich daran, das Dorf umzugestalten. Leerstehende Häuser wurden verkauft. Oft genug stellte der Käufer beim Renovierungsversuch fest, dass das Vorhaben gar nicht durchzuführen war; man hatte ein altes Haus gekauft und hinterließ eine Ruine. Schließlich war man dann froh, wenn überhaupt jemand sein Vorhaben durchführte, auch wenn das alte »Trierer" Haus ein weit überstehendes Dach erhielt, einscheibige Kunst st offenster, eine Haustür aus Aluminium und äs best v erkleidete Fassaden. Dergestalt wurde vor Jahren in den Dörfern meist »umgebaut-, auch von den wenigen Einheimischen, die in ihren angestammten Häusern wohnen blieben; die einen, weil ihnen das Geld für einen Neubau fehlte, andere, weil sie das Stammhaus der Vorfahren nicht aufgeben wollten. In den ausgewiesenen Neubaugebieten wurde jegliche Tradition dörflichen Bauens über den Haufen geworfen; ein Trend, der auch heule noch vielfach anhält. Jedes Haus steht hier für sich allein, säuberlich getrennt von Nachbar und Gemeinschaft. Alte Baustoffe sind verpönt, Dachformen in allen Variationen feiern fröhliche Urständ,

Das äußere Erscheinungsbild des Dorfes veränderte sich auch auf manch anderem Gebiet. War es vorher so, dass der Zustand der Straßen und Höfe es nicht erlaubte, mit sauberem Schuhwerk zur Kirche oder Bahnstation zu gelangen, mussten andererseits oftmals alte und gute, mit Kopf Steinpflaster versehene Verkehrsflächen dem leichter zu pflegenden Teerbelag weichen - das Dorf wurde sauber. Als Kerpen 1975 und 76 dritter Landessieger im Wettbewerb »Unser Dorf soll schöner werden" wurde, war das eben genannte Kriterium ausschlaggebend für den Preis. Die wenigen Laub- und Obstbäume, die bisher zur Prägung des Dorfbildes beigetragen hatten, verschwanden. Der alte Birnbaum im Garten, der stets den Brot- und Tortenbelag geliefert hatte, fiel der Säge zum Opfer. Birnen und Apfel, schön anzusehen, kann man zu jeder Jahreszeit im Supermarkt kaufen; warum sich dann noch mit den eigenen hutzeligen und faulenden Früchten herumärgern! Laub wurde als »Schmutz« deklariert, darum hielt das Nadelholz seinen Einzug, vom Exoten bis zur heimischen Fichte. Erst Ende der siebziger Jahre setzte ein allmähliches Umdenken ein. In das ZIP (Zukunftsinvestitionsprograinm) von 1978 bis 1980 wurden nur solche Gemeinden aufgenommen, die in den Jahren zuvor am Dorfwettbewerb teilgenommen hatten. Diese Bedingung wurde später leider fallengelassen. Die »Dorferneuerung«, wie wir sie heute verstehen, nahm ihren Anfang. Hatte eine Gemeinde den Sprung ins 2IP geschafft, so wurden zum erstenmal Fachleute zu Rate gezogen. Auf diese Weise entdeckte man allmählich auch das Schöne und Erhaltenswerte an der dörflichen Bausubstanz. Gebäude, die bis dahin noch nicht renoviert waren, wurden jetzt restauriert. Leerstehende Ökonomiegebäude, die verkauft werden konnten, wurden gemäß dem Dorferneuerungsgedanken zu Wohnungen umgestaltet. Auch manches junge Paar aus dem Ort folgte diesem Beispiel.

Oft genug geriet man bei Anträgen zu Bauvorhaben in Schwierigkeiten oder war überfordert. So reifte allmählich der Gedanke, allen Grenzfällen mit einer Gestaltungssatzung zu begegnen. Es wurde genügend Raum für Kreativität einerseits gelassen, andererseits wurden Wege aufgezeigt, historische Bausubstanz über die Gegenwart in die Zukunft hinüberzuretten. Erfolg dieser Bemühungen ist bei uns, dass die Mehrzahl der jungen Familien im Ortskern zu Hause sind und nicht, wie üblicherweise, am Ortsrand oder im Neubaugebiet. Ich denke, es ist immer noch besser, ein altes Haus »modern renoviert" und bewohnt vorzufinden, als ein neues im Baugebiet und eine Ruine im Ortskern. Auch das sollten die Kommissionen zur Bewertung der Dorfwettbewerbe bedenken. Die Begrünung in Dorf und Flur ist zu einem wesentlichen Bestandteil der Dorferneuerung und des Wettbewerbs geworden. In diesem Bereich sind wir seit 1960 bemüht, die bis dahin gemachten Fehler zu korrigieren. In den Flurbereinigungen der Wachkriegszeit war es üblich, die Flur auszuräumen, Bäche zu begradigen, Hecken zu roden, Raine einzuebnen und Straßenbäume zu entfernen. Horst Bürgel, Förster i. R. hat viele positive Veränderungen im Ort aufgezeigt. So wurden bei uns die ersten Windschutzhecken angelegt, das Heranwachsenlassen von Erlen an Bachläufen gehörte in den Plan, genauso wie der natürliche Bewuchs an Wegen und Rainen. Seit 1980 bemühen wir uns in Kerpen, die Dorfeingänge zu bepflanzen und haben das nach der letzten Dorferneuerungsmaßnahme erheblich ergänzt. Sachbearbeiter K. H. Böffgen von der Kreis Verwaltung gab uns den Rat, innerhalb der Verkehrsflächen im Ortsbereich Beete anzulegen, Blumen und Sträucher anzupflanzen. Mit erheblichen Kosten waren gut zehn Jahre vorher diese Flächen versiegelt worden und damals wurden hierfür überregionale Preise erzielt, auf die der Ort und seine Bewohner stolz waren. Die Zeiten ändern sich.

In unserer Kerpener Satzung zur Dorferneuerung heißt es: "Am Erscheinungsbild des Dorfes, an seinen Freiflächen, an den öffentlichen Gebäuden, an Hof an lagen, an Straßen und Gärten erkennen wir den Charakter des Dorfes, erkennen wir eine über Jahrhunderte entwickelte Sozialstruktur. Demnach ist das Bemühen, auf eine Veränderung der Dorfgestalt hinzuwirken eine Einflussnahme auf das Sozialgefüge der Dorfbewohner. Die Dorfentwicklungsplanung kann und darf kein Diktat sein. Ihre Verwirklichung geschieht durch die Bereitschaft des Dorfbewohners, den Empfehlungen und Anregungen der Planung zu folgen. Diese Bereitschaft, an einer positiven Veränderung der Dorfgestalt mitzuarbeiten, wird nicht zuletzt das Zusammengehörigkeitsgefühl der Einwohner stärken.»

Ich kann dem nichts hinzufügen; ich möchte lediglich feststellen: Nur das Gefühl des Eingebundenseins in eine festgefügte Gemeinschaft und die Gewissheit einer Perspektive für die Zukunft sind in der Lage, unsere Dörfer am Leben zu erhalten!