Nachtigall - Luscinia megarhynchos

Heinz Hürth, Steffeln-Auel

Durch schwärmerische Gedichte und Abhandlungen, die aus Zeiten stammen, in denen man für Poesie noch Muße hatte, genießt die Nachtigall den Vorzug, bekannter zu sein, als alle anderen gefiederten Sänger. Die Zahl der Menschen, die den Vogel aus der Natur kennen, ist wohl nicht allzugross. Wer will als Lauscher am Tage den Gesang der Nachtigall, von dem der Grasmücke (Sylvia-borin) unterscheiden? Wer macht sich die Mühe, zu später Abendstunde in die Natur zu wandern, um ihren Liedern zu lauschen? Nur wenige echte Naturfreunde die mit Interesse unsere gefierderten Freunde in Parks und auf großen Friedhöfen beobachten, haben die Sängerfürstin auch am Tage gehört, vielleicht auch gesehen.

Es gibt wohl kaum einen anderen Vogel, der einen so prachtvollen Gesang von solcher Reinheit vorträgt, wie dies unsere Nachtigall tut. Dieser »Schlag" ist die Krone aller Vogellieder, er besteht aus fest gegliederten Strophen, die in verschiedener, nicht festgelegter Reihenfolge und in unterschiedlichen Zeitabständen vorgetragen werden. Der Gesang ist so eigenartig, so voll angenehmer Abwechslung, von einer Fülle an Tönen und Innigkeit, daß er jeden Zuhörer begeistern muss. Mit anderem Vogelgesang ist er kaum zu vergleichen, nur die Singdrossel (Turdus-philomelos) mit ihrem Imitationsgesang, oder der Sprosser (Luscinia-luscinia], der auch äußerlich der Nachtigall sehr ähnelt, kommen ihr nahe. Wer kann wie die Nachtigall alle Stimmungen in einem Lied wiedergeben? Fröhlich jubelnd, wehmütig klagend, laut schmetternd oder sanft flötend. Leise setzen gezogene Töne ein, schwellen immer kräftiger an, und schließen plötzlich mit einer Schlussfigur ab. Manchmal sind mit den Flötentönen tiefe Roller und schmetternde Einlagen verbunden, die durch einen kurzen Schlag nach oben plötzlich abgebrochen werden. Laut und kräftig weithin schallend, besonders in stillen Mondnächten auf weite Strecken hörbar, tönt dies herrliche Lied an das Ohr des Menschen, der sich dem Zauber nicht entziehen kann, ja der nicht selten in eine andächtige Stimmung versetzt wird. In den Morgenstunden ist das Vogelkonzert viefältiger und übertrifft das der Abendstunden bei weitem. Wie bei allen Gesangskünstlern, so auch bei der Nachtigall, gibt es große Qualitätsunterschiede im Vortrag. Dies kann durch Imitationsgesang, der nichl in den Schlag passt, oder gar menschliche Laute verursacht werden.

Durch das Talent, Stimmen nachzuahmen, wird mancher Zuhörer zu einer falschen Zuordnung verleitet.

Leider ist der kräftige Schlag in all seiner Kraft und Reinheit nur kurze Zeit zu vernehmen, denn zu Johannes ist die Gesangsvorstellung der Künsterin beendet, oder nur in seltenen Fällen und dann nur verhalten zu vernehmen. So vollkommen der Gesang unserer Nachtigall, so schlicht ist ihr Federkleid. Oberseits rötlichbraun, Schwanz rotbraun, Kehle weißlichgrau, Unterseite blassgräulichbraun. Laut Dr. Einhard Bezzel waren in den achtziger Jahren in Deutschland noch rund Zwölftausend Brutpaare, davon sechshundert bis tausend in Rheinland-Pfalz im Bezirk Koblenz, Trier, auch in der Eifel ist an einigen Stellen der liebliche Gesang zu hören.

Der Lebensraum der Nachtigall ist ein holzreicher Laub- und Mischwald, in Ausnahmefällen auch auf Flächen ohne Bäume, aber mit Gebüsch und einer guten Krautschicht. Auf großen Friedhöfen in Städten, und Parkanlagen ist die Nachtigall nicht selten. Nachdem die Männchen Mitte April aus ihrem afrikanischen Winterquartier ins alte Brutrevier zurückgekehrt sind, beginnt der Standortkampf. Wenn nach vierzehn Tagen die Weibchen folgen, soll das Männchen soweit Herr über sein Revier sein, daß es sich nur um die Paarung mühen muss. Die Revierkämpfe der Nachtigall sind wie allgemein bei Insektenfressern sehr heftig und enden nicht selten mit dem Tod des Rivalen.

Während der Balz spreizt das Männchen den Schwanz und die Flügel, dabei zeigt es auch seinen gelblichen Rachen. Bei allen Bemühungen um das Weibchen wird immer wieder der Schwanz gestelzt, dies ist ein gutes Unterscheidungsmerkmal von dem äußerlich sehr ähnlichen Sprosser (Luscinia-luscinia), dieser dreht den Schwanz bei Erregung. Die Verpaarung erfolgt in der Mehrzahl mit dem Partner des Vorjahres, ob nun Revier oder Partnertreue der Grund sind, wer will das schon sagen, ohne farbliche Beringung ist dies schwerlich zu beweisen. In dieser Zeit erschallt der Nachtigallenschlag ununterbrochen bei Tag und Nacht, denn auch die unverpaarten Männchen versuchen noch, eine Partnerin im Sängerwettstreit zu erobern. Nach erfolgter Paarbildung beginnt das Männchen mit dem sogenannten Zeigen des Neststandortes, wobei das Weibchen das letzte Wort hat.

Das Nest wird am Boden oder dicht darüber angelegt, ist nicht besonders dauerhaft als lockerer Haufen gebaut. Nur der Innenteil, die eigentliche Nestmulde, ist fester. Es gibt in der Regel nur ein Gelege, für zwei normale Brüten würde die Verweilzeit bei uns kaum ausreichen. Ein zweites Gelege wird nur bei Verlust des ersten gemacht, und das nur, wenn noch genügend Brut- und Aufzugszeit zur Verfügung steht.

Vier bis sechs Eier die olivgrünbraun gefärbt sind, werden in vierzehn Tagen erbrütet, die Jungen danach von beiden Alttieren versorgt. Nach elf Tagen verlassen sie das Nest, werden aber noch weiter von den Eltern bis zu ihrer Selbständigkeit versorgt. Die Jungvögel unterscheiden sich deutlich durch ihr geschupptes Gefieder von den Altvögeln. Eine besondere Verhaltensweise zeigt die Nachtigall bei Störungen am Nest. Fast alle Vogelarten fliehen bei der Annäherung eines Feindes, nicht so unsere Nachtigall. Teils hüpfend, teils laufend mit vorgetäuschtem verletztem Flügel kommt sie dem Störenfried entgegen. Ist der Zweck des Fortlockens erreicht, verschwindet sie plötzlich.

Die Nahrung der Nachtigall besteht in den Sommermonaten aus Fliegen, Käfern und Ameisenlarven. Auch kleine Schnecken, die zum Teil den Kalkbedarf decken, werden in Gräsern und Moos eifrig gesucht. Im Herbst stehen allerlei Beeren auf ihrem Speiseplan. In Deutschland hat die Nachtigall zu allen Zeiten einen besonderen Schutz genossen. So musste noch bis Jahrhundertwende bei uns für eine gekäfigte Nachtigall eine verhältnismäßig hohe Steuer bezahlt werden. Schon im vierzehnten Jahrhundert stellten die Bamberger Fürstbischöfe die Nachtigall unter gesetzlichen Schutz und diese Verordnung wurde bis ins sechzehnte Jahrhundert über zwanzigmal erneuert.

Im frühen Herbst verlässt uns die Sängerkönigin und tritt ihren gefährlichen Flug in südliche Gefilde an, wo sie überwintert. Leider werden unsere Edelsänger im Süden Europas immer noch als Delikatesse gefangen, besonders auf Malta unter dem Namen Beccafichi als Leckerbissen angeboten.