Heimat und Literatur

Der neue Hahn

Irmlinde Meyer-Etringer. Duppach

Es war einmal ein Bauer, der hatte 20 Hühner, aber keinen Hahn. Der alte Hahn war von einem Auto überfahren worden. Seit einiger Zeit hatte der Bauer beobachtet, dass die Hühner sich immerzu zankten und über gar nichts einig wurden. Da beschloss er, einen neuen Hahn zu kaufen. Im Nachbardorf bekam er einen schönen bunten Hahn, der auch noch sehr jung war. Abends als es schon dunkel war, brachte er den Hahn zu den Hühnern. Diese hatten schon die Köpfe unter die Flügel gesteckt und gar nichts bemerkt. Der Hahn kauerte sich ängstlich in eine Ecke am Boden, und als alles schlief und ruhig blieb, schlief auch er ein. Morgens um vier Uhr wurde er sich seiner Pflicht bewusst und krähte seine Stellung als Oberhaupt mit einem kräftigen "Kikeriki» hinaus. Die Hühner waren sehr erstaunt darüber und schreckten auf. Sie sahen sich gegenseitig an und dachten, wer von uns kann denn neuerdings krähen? Da krähte der Hahn zum zweiten Mal, und die Hühner entdeckten den neuen Hahn am Boden. Als er zum dritten Mal krähte, da wussten sie genau, was sie zu tun hatten. Runter von der Stange und frühstücken, denn der neue Chef ließ ihnen doch keine Ruhe. Aber da ging die Zankerei schon wieder los. Ein Huhn schubste das andere zur Seite, um besser an das Futter zu kommen. Da kam der neue Hahn und zupfte sie an ihren Kämmen. Eines der Hühner widersetzte sich dem Hahn und wollte nicht parieren. Der Hahn lief ihm nach und scheuchte es in eine Ecke, dort musste es bleiben bis die anderen fertig waren. Das nächste Mal würde ihm das nicht mehr passieren, dachte das Huhn. Als die Hühner satt waren, liefen sie durch die kleine Tür ins Freie. Es hatte nachts geregnet, und überall kamen Würmer aus der Erde. Sie schmeckten auch noch, wenn man schon satt war. Sie scharrten eifrig und pickten hier was und da was. Auf der anderen Straßenseite waren auch Hühner mit einem weißen Hahn. Als dieser den bunten Hahn sah. wollte er sein Revier anzeigen und fing kräftig an zu krähen. Er krähte so laut und spöttisch und meinte: »Was will dieser affige Gockel?« Der aber ließ nicht lange auf sich warten und krähte stolz zurück: er war sich seiner Schönheit voll bewusst. Der neidvolle weiße Gockel gab lauthals Antwort und wurde vor Neid noch weißer. Sieh' mal einer an, da lief doch das Huhn, welches er am Morgen bestraft hatte, auf und davon, zu dem weißen Hahn. Der bunte scheuchte es ganz schnell wieder zu seiner Hühnerschar zurück, der weiße vom Nachbarhof ärgerte sich, dass der Neue auf seine Wiese kam und forderte ihn zu einem Hahnenkampf auf. Beide plusterten sich gewaltig auf, rannten aufeinander los, pickten und hackten sich die Kämme blutig. Am Ende war der bunte Hahn der Sieger. Er war jünger und kräftiger als der Hahn von nebenan. Seine Hühner hatten alles beobachtet und waren sehr stolz auf ihren neuen Chef. Nun musste er sich neuen Aufgaben widmen. Er wollte ein guter Familienvater sein. Es wurden neue Futterstellen gesucht und die Glucke mit ihren Küken warfroh um seine Hilfe. Wenn er etwas besonders Gutes gefunden hatte, krähte er sie herbei und überließ ihr und den Küken den fetten Brocken. Überhaupt dachte er immer zuerst an die anderen. Im Stall hörte er schon wieder Gezanke. Es ging um die Hühnernester, mehrere Hühner wollten zur gleichen Zeit ins gleiche Nest ihre Eier legen. Also musste er mal wieder beschwichtigen und eingreifen. Neben dem Nest sitzend, lockte er eins nach dem anderen ins eigene Nest.

 

Als die Hühner nun am Drucksen waren, um ihre Eier los zu werden, erzählte der Hahn ihnen von seiner ersten Stelle im Nachbardorf. Dort hatten die Hühner es nicht so gut, denn sie saßen oft zu dritt in einem Käfig und kamen nie heraus. Zu fressen bekamen sie immer dasselbe. Trockenfutter aus Fischmehl, Scharren auf der Wiese durften sie nie. Die Hühner in ihren Eiernestern waren froh, dass sie es besser hatten. Mit lautem Gackern verkündeten sie ihre Eiablage. Erst als der Durst sie plagte, gab es Ruhe. Im Wassergraben gab es genügend Wasser für alle.

Als sie dann den anderen Hühnern sagten, dass der Hahn ihnen beim Eierlegen Geschichten erzähle, wollten alle von ihm im Nest unterhalten werden. Sie waren nun so froh mit ihrem neuen Hahn, dass kein Huhn mehr in die Hecke ging, um sein Ei zu verstecken. Darüber freute der Hahn sich besonders und erzählte ihnen auch warum. »Der Bauer gibt soviel Geld aus für euer Futter, da müsst ihr ihm dankbar sein. Wenn er merkt, dass ihr eure Eier woanders legt, wird er euch nicht lange leben lassen und ihr wandert in den Kochtopf." Die Hühner waren froh, einen so schlauen Chef zu haben und hörten gerne auf ihn.

Gegen Abend kam der Bauer und sammelte die Eier ein. Es waren viel mehr als sonst, und der Bauer glaubte zu wissen warum. »Der neue Hahn macht sich bezahlt", sprach er leise zu sich selbst. Doch der Hahn hatte ihn verstanden und freute sich. Zufrieden kletterte er mit den Hühnern auf die Stange und schlief ein.