Der Nikolaus von Steffeln

Christa Feltgen, Steffeln

Eigentlich dürfte man gar nichts davon erzählen, aber weil die kleinen Menschlein, die diese Geschichte angeht, alle noch nicht lesen können, wird es wohl nicht so schlimm sein, wenn man verrät, wer seit dreißig Jahren in Steffeln für die Kinder den Nikolaus spielt. Vor drei Jahrzehnten gab es in unserem Dorf gerade einmal keinen Nikolaus, weil der alte Darsteller sein Amt niedergelegt hatte. Und nun standen die Mütter und Väter da und wussten nicht 50 recht, wie sie die alte Tradition aufrecht erhalten sollten. Auch Johannes Pinn hatte damals einen kleinen Sohn, für den er dringend einen Nikolaus benötigt hätte. Wer eigentlich die Idee hatte, er selbst könne doch dieses Amt übernehmen, ist nicht mehr ganz auszumachen und auch wohl nicht so wichtig.

Aber was sollte der neuernannte Nikolaus zu seiner ersten Rundreise nun anziehen? In der Sakristei der Kirche hing noch ein ausrangiertes geistliches Gewand, das würde es wohl noch einmal tun, Frau Pinn besorgte weiße Handschuhe und bastelte aus Pappe eine Bischofsmütze, die sie mit Goldpapier beklebte. Aus zwei Spazierstöcken entstand ein langer Bischofsstab. Ein schneeweißer Wattebart machte das Kostüm komplett. So ging Herr Pinn das erste Mal die Runde durch die Häuser des Dorfes, in denen es kleinere Kinder gab. Auch im eigenen Heim ging alles auf Anhieb gut. Dem Kleinen dort wäre es nicht im Traum eingefallen, dass sein eigener Vater hinter dem Nikolauskostüm stecken könnte. Johannes Pinn hatte von vornherein einen kleinen Obolus bestimmt, den die Leute ihm für seine Unkosten zahlen sollten. Auch der beste Heiligendarsteller braucht Benzin für sein Auto, jedes Jahr neue Handschuhe und einen neuen Bart und was sonst noch zur Erneuerung der Ausrüstung angeschafft werden muss. Längst hat Frau Pinn ihrem Mann ein eigenes Nikolaus-Gewand geschneidert, das wird von ihr jedes Jahr wieder auf Hochglanz gebracht. Menschen, die das erste Mal vom Nikolaus besucht werden oder solche, die gerade einen Hausbau oder einen Umzug hinter sich gebracht haben, müssen dem Nikolaus noch nichts bezahlen. Ein paar Tage vor dem 5. Dezember kommen die Nachbarn ins Pinnsche Haus, um alles zu besprechen. Da stehen dann auch immer ein paar kleinere Sünden der Kinder auf den Zetteln, die Herr Pinn sich zur besseren Orientierung in ein altes Buch heftet. Daraus liest er dann am Nikolausabend vor. Unser Steffelner Nikolaus ist ein gütiger Heiligendarsteller, der ohne böse Begleiter auftaucht und auch die Kinder nur freundlich ermahnt. Allerdings hat er neuerdings den dummen Verdacht, dass die Kleinen nicht mehr so recht bei der Sache sind. Sie lassen mehr oder weniger geduldig seine Predigt über sich ergehen, als wollten sie ihm sagen: Nun red' mal nicht so lange und gib mir lieber schnell meine Geschenke!

Die Gaben, die er verteilt, stellt meist die jeweilige Mutter während seiner Ansprache bereit, und er holt sie dann mit ihrer Hilfe in die gute Stube, so dass die Kinder gar nicht merken, dass er die Geschenke nicht selbst mitgebracht hat. Die Einwohner von Steffeln wissen, dass das Amt des Nikolaus großen Spaß, aber auch viel Mühe macht. Deshalb sind sie ihrem Heiligendarsteller auch sehr dankbar und denken vorläufig an keine Ablösung. Dass allein das Nikolausgewand schon großen Eindruck machen kann, zeigt eine kleine Geschichte am Rande. Eine junge Frau aus Steffeln hatte sich vor einiger Zeit das Kostüm von Herrn Pinn ausgeliehen, um darin eine erkrankte Kollegin im Krankenhaus zu besuchen und sie zu beschenken. Auf dem Flur des Krankenhauses traf sie, schon wieder in Zivil, auf eine Frau, die sie händeringend bat, auch für ihre Mutter den Heiligen zu spielen. Die alte Dame hatte durch die plötzliche Einlieferung ins Krankenhaus irgendwie ihren eigenen Mittelpunkt verloren und war keiner Bitte oder Ermahnung ihrer Tochter mehr zugänglich. Aber dem Nikolaus gehorchte sie dann genau so brav wie in ihrer Jugendzeit. Nach dem Auftritt der jungen Frau im Nikolauskostüm war sie wie ausgewechselt und konnte mit ihrem Schicksal wieder bestens fertig werden.