Der Martinszug

Thekla Heinzen. Feusdorf

Die schönste Zeit des Jahres, wenn die Natur sich zur Ruhe begibt, wenn durch die grauen, nebelverhangenen Novembertage schon das erste Leuchten von Weihnachten zu ahnen ist, diese Zeit begann für mich eigentlich immer schon arn Martinstag. Bis heute kann ich mich dem stillen Zauber dieses kleinen Festes nicht entziehen, und so versäume ich es auch selten, den Martinszug zu begleiten. Dann kehren meine Gedanken zurück in die Kinderzeit. Wie habe ich das alles damals erlebt? Schon einige Wochen vorher wurde damit begonnen, die Martinsfackeln, wie wir sie nannten, zu basteln. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, eine fertige zu kaufen. Die konnte man doch viel schöner und billiger selber machen, und jedes Kind hatte so seine eigene und unverwechselbare. Da gab es ganz einfache aus Pappe, die ausgeschnittenen Ornamente mit buntem Papier hinterlegt. Es gab wunderschöne Laubsägearbeiten darunter und schließlich die Rübenfackeln, Dazu wurden möglichst gleichmäßige Rüben ausgehöhlt, Mund, Nase und Augen ausgeschnitten und wenn dann darin eine Kerze leuchtete, waren es schaurigschöne Gespensterköpfe. Nur das Martinsfeuer, nein, das war nicht so groß wie heute. Jetzt wird so vieles verbrannt, was nicht mehr gebraucht wird. Als ich Kind war, wurde noch nicht einmal ein Stück Holz weggeworfen. Für das Martinsfeuer waren bei uns die großen Jungs zuständig. Unter Aufsicht des Lehrers zogen sie in den Wald, ausgestattet mit zwei Handwägelchen, mit Axt und Säge; sie sammelten Reisig und was da so zu finden war. Auf einer kleinen Anhöhe oberhalb des Dorfes wurde alles aufgeschichtet. Wir standen dann am Martinsabend da oben, von der Wärme und dem Glanz des Feuers angestrahlt, solange, bis es fast abgebrannt war und gingen mit einem Weckmann im Arm nach Haus. Und dieser Weckmann, auch er hatte eine Vorgeschichte. Die größeren Mädchen gingen etwa eine Woche vor Martin mit ein paar Tüten durchs Dorf in jedes Haus, in dem Kinder waren und sammelten für jedes Kind etwas Mehl und Zucker, das zum Bäcker gebracht wurde. Der buk dann zum Martinstag so richtig schöne Weckmänner mit süßen Rosinenaugen und einer weißen Tonpfeife im Mund. Ja, diese Tonpfeife, sehr genau, aber ungern, erinnere ich mich daran, sie wurde aufbewahrt und später gebraucht für die ersten Rauchversuche. Tabak hatten wir natürlich nicht, dafür aber im Herbst genug dürres Buchenlaub. Was das für Folgen hatte, weiß jeder, der es allen Verboten zum Trotz einmal ausprobiert hat. So standen wir also am Martinsfeuer mit dem duftenden Weckmann. Ihn sofort aufzuessen, das wäre gierig und unanständig gewesen. Probeweise wurden ihm nur ein Arm oder Bein abgebissen, denn man wollte ja möglichst lange etwas davon haben.

So, nun werde ich meinen Stift hinlegen, um heute den Martinszug zu begleiten. Und beim Anblick der fröhlich singenden Kinder mit ihren bunten Laternen werde ich dankbar der Zeit gedenken, in der ich so arm schien und doch so reich war.