»Ech j oahn zum Pies!«

Zur Erklärung eines eigentümlichen

Ausdruckes

Alois Mayer, Daun

Man fragt: »Wo gehst du hin?« Man hört: »Ech joahn zum Pies!« Man staunt: »He??«

Man erfährt: »Ei, zum Sänger nach Mückeln (oder zum KnochenflickerX«). Man grübelt: Wieso sagt der »zum Pies«, wenn der Knochenflicker doch einen bestimmten Namen hat? Warum lässt der »sich piesen«, wenn ihn Schmerzen quälen?

Die Erklärung: In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ließ sich ein kaiserlicher Regimentsfeldscher (Feldchirurgus) namens Diedrich Pies als Arzt und Heilkundiger in der Herrschaft der Grafen Boos von Waldeck im Hunsrück (bei Dorweiler) nieder. Er heiratete in die gräfliche Familie ein. Von seinen Kindern und Kindeskindern ergriffen sehr viele den ärztlichen Beruf, erlernten die Kunst des Knochenflickens und Einrenkens, verstanden sich auf Heilungen von Krankheiten bei Mensch und Tier, auf die Zubereitung von Salben, Pulver und anderer medizinischer Hilfsmittel. Diese Ärzte, Heilkundige, Knochenflicker, Geburtshelfer, alle mit dem Namen Pies, wohnten und praktizierten auf dem Vorderhunsrück, hauptsächlich im Bereich der heutigen Verbandsgemeinden Kastellaun und Emmelshausen. Die »Piese« gelangten zu Wohlstand, Macht und hohem Ansehen. Viele aus dieser weitverzweigten Familie stellten Schultheisse und Bürgermeister, Schöffen, Richter, Priester und Lehrer. Bis heute leben noch zahlreiche Bürger mit dem Familiennamen Pies im Hunsrück, an der Mosel und in der Eifel. Nachkommen verließen ihre engere Heimat, andere wanderten nach Übersee aus, so dass sich der Name Pies heute weltweit nachweisen lässt.

Von daher entsprach der Ausspruch: »Ich gehe zum Pies« der reinen Wahrheit, zumindest auf dem Vorderhunsrück, denn es gab durch Jahrhunderte dort nur Heilkundige mit diesem Familiennamen. Und alle genossen einen hervorragenden Ruf, waren weithin bekannt für ihre Kunst der Medizinzubereitung und Heilung. Von weither - auch aus der Eifel - zogen geplagte und kranke Menschen hin auf den Hunsrück »zum Pies«, um sich dort »piesen«, behandeln, heilen zu lassen.

Man versteht: Da das Knocheneinrenken, das Zahnziehen, die Behandlung von Brüchen, das Kurieren von großen und kleinen Wehwehchen bis heute noch schmerzhaft ist, - um wieviel mehr vor der Zeit der Betäubungsmittel -, verwundert nun auch nicht mehr der Ausspruch: »Ech woar beim Pies, um mich piesen zu lassen! Jung, wat hat der mich je-pies-ackt!«