»Segen und Gnade können wir dort gewinnen«

Zur Entstehung der Marienkapelle auf Wahlhausen

Werner Grasedieck, Steffeln/Trier

••Jeder, der in unser Dorf kommt und die anderen Dörfer gesehen (hat) und die Kriegslage damals kennt, sagt: Was habt ihr "Glück" gehabt! Wir wissen, was das für ein Glück war. Wenn wir auch im Krieg viele Opfer bringen mussten mit der hohen Zahl der Gefallenen und auch der Toten der letzten Tage des Krieges, so haben wir doch eine fast unversehrte Heimat behalten.« Deutlicher konnte der Vergleich nicht ausfallen, den im Juli 1947 Pfarrer Franz Brühl den Steffelnern vor Augen führte. Denn ringsum waren die Dörfer, besonders in der westlich angrenzenden "Roten Zone« im unmittelbaren Hinterland des Westwalls, auch zwei Jahre nach Kriegsende noch immer von den Spuren der furchtbaren Kämpfe des letzten Kriegswinters 1944/45 schwer gezeichnet: Trümmer und die Ruinen zerschossener Bauernhöfe und Kirchen bestimmten das Bild. Viele hatten alles Hab und Gut verloren, auch das Vieh, das vor der Evakuierung weggetrieben worden war. Hinzu kam das um ein Vielfaches schwerer wiegende menschliche Leid: Fast jede Familie hatte Gefallene zu beklagen, viele Vermisstenschicksale waren ungeklärt. Im Sommer 1944 waren die Menschen in der Eifel voll banger Erwartung all der Schrecknisse des Krieges, der bald auch ihre Heimat erreichen würde. Die Niederlage zeichnete sich immer deutlicher ab. Mit dem Näherrücken der Westfront nahmen die Luftangriffe zu; immer häufiger tauchten die gefürchteten Jabos (Jagdbomber) am Himmel auf, griffen Eisenbahnlinien. Brücken, Bahnhöfe und Industrieanlagen an und stürzten sich auf jede Ansammlung von Militär.

»Als der Krieg hart an unser Dorf herankam und wir in dauernder Gefahr der Evakuation und nachher in größter Lebensgefahr waren, haben die Leute immer gesagt, wenn Maria uns hilft, werden wir ihr ein Kapellchen bauen«, erinnert

sich Pfarrer Brühl. Am 2. Juli 1944. dem Fest Mariae Heimsuchung, rief Pfarrer Brühl seine Pfarrgemeinde in der St.-Michaels-Kirche zusammen. Hier legten die Steffelner das Gelübde ab, der Gottesmutter Maria ein Kapellchen zu errichten, wenn der Krieg ihre Heimat verschone.

Die schlimmsten Kriegsmonate standen aber erst bevor. Mitte September 1944 hatten die Amerikaner den Westwall erreicht. Man war ständig in Gefahr durch die Jabos, die wahllos Menschen, Soldaten wie Zivilisten, Fahrzeuge, sogar die Bauern auf dem Feld, unter Feuer nahmen. Die Bewohner in den Dörfern mussten Schutz in den Kellern der Häuser suchen oder sie bauten sich Unterstände in den Wäldern. Bereits Ende August 1944 halte die Räumung der >>Roten Zone« begonnen. Aus diesem mehrere Kilometer breiten Streifen entlang der Reichsgrenze wurden die Bewohner evakuiert. In den Dörfern verblieben nur wenige Männer für die restlichen Erntearbeiten. Als die deutsche Wehrmacht am 16. Dezember 1944 einen zunächst erfolgreichen Gegenangriff unternahm - als Ardennen- oder Rundstedtoffensive bekannt - begann die wohl schlimmste Zeit des Krieges für die Eifel. Den deutschen Vorstoß beantworteten die Amerikaner mit pausenlosen Luftangriffen auf das Hinterland, auf die Nachschublinien der Wehrmacht, auf Straßen, Eisenbahnstrecken, Bahnhöfe. Die deutsche Offensive scheiterte bereits nach wenigen Wochen, und Anfang Februar 1945 standen die Amerikaner wieder in der Schneeifel am Westwall. Fast täglich blieben nun die frontnahen Ortschaften dem Beschüss durch die Artillerie sowie den Bombenabwürfen und dem Bordwaffenbeschuss durch die Jabos ausgesetzt, mehr als vier Wochen lang. Steffeln, das nicht evakuiert war und wo deutsches Militär in Quartier lag, entging nur mit knapper Not den Angriffen. Rings um das Dorf fielen Bomben.

Die Amerikaner setzten ihren Vormarsch fort, und nachdem bereits seit dem 9. Februar die westlichen Nachbarorte Neuendorf und Olzheim in ihrer Hand waren, entbrannten um die bewaldeten Bergrücken westlich und nördlich von Steffeln heftige Kämpfe. Kleinlangenfeld eroberten die Amerikaner am 28. Februar, Reuth und Schönfeld am 4. März. Am Morgen des 6. März erreichten amerikanische Panzer den Ortseingang von Steffeln. Da sich tags zuvor die deutschen Soldaten hinter die Kyll abgesetzt hatten, konnten die Amerikaner den Ort kampflos einnehmen. Für die Steffelner, die nicht geflohen waren, sondern in den Hauskellern Schutz gesucht hatten, war der Krieg vorbei. Ihre Wohnstätten waren weitgehend Ltnzerstört geblieben. Die einzigen Opfer unter der Zivilbevölkerung waren eine junge Frau und ihr Säugling, die wenige Tage vor dem amerikanischen Einmarsch durch Granatsplittertödlich verletzt worden waren. Zwar wies nahezu jedes Gebäude Beschädigungen durch Granattreffer oder -Splitter auf, die Dächer zeigten klaffende Löcher, aber nur zwei Wohnhäuser waren unbewohnbar geworden. Wie anders erging es da doch den Evakuierten aus der »Roten Zone«, die oftmals bei der Rückkehr in ihre Dörfer nur noch ausgebrannte Ruinen vorfanden.

Pfarrer Brühl, dessen Pfarrhaus ebenfalls durch deutsche und amerikanische Granattreffer schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, hielt den Gedanken an das Gelübde wach, das er in den allabendlichen Marie n an dachte n stets erwähnte. Und die Steffelner beeilten sich, es einzulösen. Gerade ein Jahr nach dem Einmarsch der Amerikaner in Steffeln, am 17.2. 1946, fasste der Kirchenvorstand den Beschluss: "Das Dankkapellchen zu Ehren Marias... soll auf Wahlhausen seinen Platz erhalten.« Diese Anhöhe nordöstlich von Steffeln war der rechte Ort für ein Kapellchen. Mit 560 Meter ü. d. M. eine der höchsten Erhebungen in der Umgebung ist fast von jedem Haus in Steffeln das Kapellchen zu sehen und erinnert damit tagtäglich die Einwohner des Ortes an ihr glückliches Geschick in dem schrecklichen Krieg. Mit der Planung wurde der Trierer Architekt Professor Fritz Thoma beauftragt. Er entwarf auf ovalem Grundriss ein in schlichten Formen gehaltenes Bauwerk mit zwei rundbogigen Fenstern an der Nord- und Südseite, einem breiten Portal auf der Ostseite und darüber fünf Okulus-Fensterchen. Fenster- und Türgewände sind in ortsüblicher Weise aus rotem Sandstein. Mit dem Plan von Prof. Thoma war der Kirchenvorstand zwar im großen und ganzen einverstanden, allerdings erschienen ihm die Maße der Kapelle zu klein, und so beschloss man kurzerhand, dass die bisherigen Außenmaße die Innenmaße werden sollten, wodurch die Kapelle nach allen Seiten um 60 cm größer wurde. Außerdem sollte dem Dach ein Türmchen aufgesetzt werden, das ursprünglich gar nicht vorgesehen war.

Trotz der allgemeinen Notlage war das Kapital für den Bau schnell zusammen: Neben 1.000 Mark an Spendengeldern - den Grundstock hatten Flüchtlinge aus der "Roten Zone" mit ein paar hundert Reichsmark gelegt, ehe sie in ihre zerschossenen Dörfer zurückkehrten - waren 4.500 Reichsmark in den Gottesdiensten für die Gefallenen und Vermissten geopfert worden. Geschenkt waren auch der Bauplatz und die Bausteine. Diese wurden in einer Steingrube unmittelbar neben der Baustelle aus dem anstehenden Tuffstein gebrochen. Um mit dem Bau beginnen zu können, benötigte man natürlich noch die Baugenehmigung. Diese besorgte sich der Pastor umgehend beim französischen Kreiskommandanten in Schönecken, dem obersten Vertreter der Besatzungsmacht. Ordnungsgemäß teilte dies Pastor Brühl dem Bischöflichen Generalvikariat mit, das seinerseits durch Domkapitular Prof. Dr. Nikolaus Irsch die kirchliche Genehmigung zur Errichtung der Votivkapelle aussprach. Soweit so gut, denkt man. Aber weit gefehlt. Die deutsche Bürokratie schaltete sich ein, wies auf ein offensichtliches Versäumnis hin, gab sich dann aber großzügig. Knapp zwei Jahre nach der Grundsteinlegung und ein Jahr nach der Fertigsteftting teilte das Regierungshochbauami Kyllburg dem Katholischen Pfarramt Steffeln mit, dass man »auf Grund einer örtlichen Besichtigung... dem Herrn Landrat in Prüm vorschlagen (werde), auf die nachträgliche Vorlage von Unterlagen zur baupolizeilichen Genehmigung zu verzichten, da die Anlage bereits ausgeführt ist und konstruktive Bedenken wegen der Geringfügigkeit des Objektes nicht bestehen.«

Im Sommer 1946 begann man mit dem Bau, am 5. August 1946, am Fest Maria Schnee fand die Grundsteinlegung statt. Die Errichtung der Kapelle war ein echtes Gemeinschaftswerk der Dorfbewohner, die das Baumaterial nach Wahlhausen hochfuhren und durch Handlangerdienste die Arbeit der Steinbrecher. Maurer, Schreiner, Maler und Dachdecker unterstützten. Jugendliche und Kinder trugen aus dem Dorf das Essen für die Bauarbeiter hoch. Von den Handwerkern seien besonders erwähnt die beiden Schreinermeister Georg Finken sen. und Michel Juchems, die die Bänke und den Altartisch fertigten. Die Bauausführung stand unter Leitung von Maurermeister Johann Klöckner; die Dacheindeckung mit Schiefer nahm Josef Schilli vor.

Wohl kaum ein anderes Bild vermag das Motiv zur Errichtung der Kapelle so zum Ausdruck zu bringen, wie das der Gottesmutter Maria mit dem Schutzmantel. Aus hellem Tuffstein in naturalistischen Formen gestaltet, prägt das Relief der Schutzmantelmadonna den schlichten Innenraum. Auf einem hölzernen Altartisch stehend zeigt es die Gottesmutter, die mit ihrem von den Schultern herabfallenden Mantel eine um Hilfe flehende Familie, Vater und Mutter mit ihrem Kind, schützend bedeckt. Auf dem linken Arm trägt Maria das Jesuskind mit Segensgestus der rechten Hand. Zu der sie an Größe erheblich überragenden Gottesmutter mit dem Jesuskind schauen die Schutzflehenden empor: links eine kniende Frau, die ihr Kind hochhält, rechts mit gefalteten Händen ein kniender Mann, bekleidet mit einem Bauernkittel. Auf dem unteren, vorspringenden Teil des Reliefs windet sich die Schlange, das Symbol des Bösen. Kurios anmutende Details »schmücken« die Schlange: An ihrem Leib ist ein Messer festgeschnallt, auf dem Kopf trägt sie eine Art Schiebermütze. Der Anfang des alten Prozessionsliedes »MARIA/BREIT/DEN/MANTEL/AVS/ MACH/SCHIRM/V.SCHUTZ/FÜR VNS/DA/ RAVS« füllt die rechteckig auslaufenden Felder des Reliefs.

Die am Socket angebrachten Initialen AB sowie die Inschrift »ars liturgica/Mana Laach« bezeichnen Steinmetz und Werkstätte. AB steht für Alfons Biermann; dieser war jahrzehntelang leitender Bildhauer der Maria Laacher Kunstwerkstatt »ars liturgica«. Mit dem Bildnis der Madonna, die unter ihrem weit ausgebreiteten Mantel die Menschen, die sich zu ihr geflüchtet haben, birgt, wurde ein vom Spätmittel alter bis ins 16. Jahrhundert beliebtes Thema der kirchlichen Kunst aufgegriffen. »Der Mantel war fast bei allen Völkern Herrschaftszeichen, damit im Rechtsleben Symbol der Schutzgewährung." (A. Thomas, S. 234] Dem Mantel Marias wurde die Kraft zugesprochen, unverletzlich und undurchdringlich zu sein. Die Weite des Mantels drückt die Fähigkeit aus, alle Flüchtlinge zu bergen. Im Bild der Schutzmantelmadonna mit dem segnenden Jesuskind, das außerdem den Mantel mit aufhält, tritt der Gedanke der Erlösung und Erbarmung in den Vordergrund. »Es ist ein Bild des Volkes, das Hilfe sucht, ein verständliches trostspendendes Bild." (V. Süssmann, S. 311 f) Auf den Tag genau drei Jahre nach der Ablegung des Gelübdes, am 2. Juli 1947, konnte Pastor Brühl die Votivkapelle feierlich einweihen. Wenig später war dann auch der neue Kreuzweg nach Wahl hausen vollendet, der zum größten Teil an derselben Stelle des alten, verschwundenen Kreuzweges steht. Die aus heimischem Oberbettinger Sandstein gefertigten Bildstöcke des Kreuzweges, der von der Pfarrkirche zur Kapelle hinaufführt, sind vor einigen Jahren neugestaltet worden. Viele Steffelner und sicher noch mehr Besucher haben den Wunsch Pastor Brühls wahrgemacht, den er anlässlich der Einweihungsfeier aussprach: »Möge dieser Weg nach Wahlhausen, der Kreuzweg und das Verweilen im Kapellchen Euch ein lieber und oft genutzter Gang werden..." Nicht nur die Einheimischen lieben die Kapelle, auch aus der Umgebung suchen zahlreiche Menschen diese Stätte der Hoffnung auf, um in einem Anliegen die Hilfe der Gottesmutter zu erflehen. Die an der linken Innenwand angebrachten steinernen Danktäfelchen künden von der Erhörung zahlreicher Bitten.

An zwei Tagen im Jahr ist das ansonsten einsame Plateau mit der Kapelle erfüllt von Menschen. Traditionell zieht am Karfreitag morgen die Kreuz weg prozession von der Kirche aus an den Stationen vorbei hinauf nach Wahlhausen. Im Sommer, am Jahrestag der Einweihung, geht eine große Prozession zur Schutzmantelmadonna. Auf der Anhöhe angekommen, wird ein Gottesdienst für die Anliegen der Pfarrei gefeiert.

Der Weg nach Wahlhausen lohnt aber allein schon wegen des wunderbaren Ausblickes über die Eifellandschaft. Bei klarer Sicht sind von hier oben elf Dörfer zu sehen. Im Osten kann man den Aremberg, die Nürburg und sogar die Hohe Acht erkennen - immerhin rund 30 km Luftlinie entfernt.

Quellen und Literatur

Bistumsarchiv Trier Abt. 70, Nr. 5994. Nr. 5995, Abt. 71, Nr. 203

Gedenkblatt anlässlich der Einweihung der Kapelle Wahlhausen am 2. 7.1947, verfasst von Pfr. Franz Brühl (im Besitz d. Verf.) Schriftliche Mitteilung v. P. Drutmar Cremer SDB (Abtei Maria Laach) an Verf. v. 30. 9.1993

CHRISTOFFEL, E.: Krieg am Westwall 1944/45. Das Grenzland im Westen zwischen Aachen und Saarbrücken in den letzten Kriegsmonaten. Trier 1989.

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Notjahre der Eifel. Hg. v. Arbeitskreis Eifeler Museen. Meckenheim

1983.

PINN, M.-A.: In seinen Werken lebt er weiter. Erinnerungen an Pastor

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SEIBERT, J.: Artikel Schutzmantelschaft. In: Lexikon der christlichen

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Zone Frangaise. Das Prümer Land in der französischen Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg. Hg. v. Geschichtsverein »Prümer Land«. Prüm 1995.