Im Januar 1946 öffneten sie ihre Tore -Progymnasium Gerolstein und Albertinum

Josef Dissemond, Koblenz

Der unselige Zweite Weltkrieg fand mit der bedingungslosen Kapitulation im Mai 1945 ein Ende. Das total zerstörte Deutschland wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt, der Kreis Daun fiel in die französische. Schon sehr bald nach dem Zusammenbruch machten sich unsere Väter und Mütter Gedanken, um die Wiederaufnahme des Schulunterrichtes. Es gab Schwierigkeiten in Fülle. Viele Lehrer waren noch nicht aus dem Krieg zurück, die Schulgebäude waren zerstört oder nicht wieder funktionsfähig, die Lehrer mussten »entnazifiziert« werden, und es gab naturgemäß Kooperationsschwierigkeiten zwischen den Gemeinden, der Bezirksregierung in Trier und der Oberhoheit der französischen Besatzungsmacht. Aber trotz all dieser Nöte ordnete die Militärverwaltung im August 1945 an, dass alle schulpflichtigen Kinder des Regierungsbezirkes Trier ab 1. Oktober 1945 wieder Unterricht erhalten sollten. Einzige Neuerung gegenüber dem bisherigen Schulsystem war die Einführung der Simultanschule für alle Schulgattungen.

Das Progymnasium Gerolstein

Auch Amtsbürgermeister Recktenwald machte sich mit dem Stadtrat Gedanken, in Gerolstein wieder eine höhere Schule zu errichten. Auf Einzelheiten will ich hier verzichten, sie können nachgelesen werden in dem Buch: »75 Jahre Höhere Schule Gerolstein 1911-1986«, heraus-

Kapelle im Internat, vorher als Klassenraum genutzt.

Küche im Internat 1947 mit Waldbreitbacher Franziskanerinnen und Küchenmädchen.

gegeben vom Förderverein des St.-Matthias-Gymnasiums Gerolstein. Bei der Errichtung dieser höheren Schule in Gerolstein war man auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten. Gerolstein war zu 80 Prozent zerstört. Das Gebäude der ehemaligen Zubringerschule »Albert Leo Schlageter« war viel zu klein. Es musste vor allem bedacht werden, wie die Schüler und Schülerinnen aus dem weiteren Umkreis diese Schule erreichen sollten. Sämtliche Eisenbahnen waren zerstört, es gab keine Busse, die die Kinder täglich zur Schule bringen sollten. Ein Internat musste her. Diesbezüglich wurden sofort Verhandlungen mit dem Generalvikariat Trier aufgenommen. Nach langem Hin und Her fand man ein Haus für Schule und Internat; das Hotel DOLOMIT, das die Hoteliersfamiie EHSES gegen Miete zur Verfügung stellte.

Es war ein großes Haus, aber ob Schule UND Internat hineinpassten, war nun die Frage. Der Bischof von Trier, Dr. Franz Rudolf Bornewasser, beauftragte den Dauner Kaplan Karl Pfeiffer mit der geistlichen Leitung des Internates, das später den Namen ALBERTINUM trug. Ich möchte an dieser Stelle eine Aufzählung anfügen, wer alles in diesem Hotel Dolomit untergebracht war: Die Hoteliersfamilie Ehses, Direktor Karl Pfeiffer, Studienrat Enders, die Franziskanerinnen von Waldbreitbach, die die Haushaltsführung übernahmen, 79 Jungen und fünf Mädchen als Internatsbewohner, dazu 216 Schüler und Schülerinnen, die morgens die Studierräume der Internatler als ihre Klassenzimmer benutzten.

Diese unerwartet große Zahl von Anmeldungen für Schule und Internat bereitete dem Träger große Sorgen. Die Raumnot war gewaltig. Deshalb hat man gegen Ende des Jahres 1946 Baracken des ehemaligen Reichsarbeitsdienstes aufgestellt, in denen dann sämtliche Klassenzimmer der Schule eingerichtet wurden. Ein Brief vom 7. Januar 1946 an die Eltern kündigt die Wiedereröffnung der höheren Schule Gerolstein an:

»Am Dienstag, den 15. Januar 1946 beginnt der Unterricht in den Ersatzräumen im Hotel Dolomit in Gerolstein. Die katholischen Schüler

Oberpräfekt Arendt beim Mittagsstudium 1950

und Schülerinnen haben um neun Uhr einen feierlichen Gottesdienst zum Schulbeginn in der Pfarrkirche in Gerolstein, ebenso die evangelischen Kinder in der Erlöserkirche. Die Schule beginnt an diesem Tage um 10.45 Uhr. Die zuletzt und alle seit 1933 benutzten Schulbücher aller Fächer müssen auf Befehl der Militärregierung in der Schule abgeliefert und eingesammelt werden. Darüber hinaus bitten wir alle sehr darum, auch noch irgendwo vorhandene Lehrbücher aus der Zeit vor 1933 uns zu geben. Dadurch können manche Schwierigkeiten des Unterrichtes behoben werden.

Das Schulgeld beträgt an der höheren Schule jährlich 24 RM. Wenn mehrere Kinder derselben Familie gleichzeitig eine mittlere, höhere Fach- oder Hochschule besuchen, können auf Antrag Schulgeldermäßigungen gewährt werden, und zwar erhält dann das zweite Kind 25 Prozent, das dritte 50 Prozent Ermäßigung; das vierte Kind bleibt schulgeldfrei... Kinder, deren Betragen oder deren Leistungen nicht befriedigen, kann keine Ermäßigung gewährt werden. Alle Schüler und Schülerinnen sind nur unter der Bedingung der Bewährung aufgenommen.

Bei nicht ausreichenden Leistungen müssen sie zurückversetzt oder entlassen werden. Jeder muss sich durch gutes Betragen, ernsten Fleiß und rege Teilnahme bemühen, den nicht geringen Anforderungen zu entsprechen. 216 Kinder besuchten am 15. 1. 1946 diese Schule, davon 55 Mädchen; zehn Lehrkräfte standen bereit, dazu einige »Hilfslehrer«. Direktor Pfeifer und Pfarrer Wiebel erteilen den Religionsunterricht. In bester Erinnerung an meine Schulzeit blieben mir: Direktor Rahm und die Studienräte Bartmann, Enders, Novak und Wacht.

Am 17. Januar 1946 übergab Direktor Rahm dem Amtsbürgermeister Recktenwald von Gerolstein den Entwurf eines an die Bezirksregierung zu richtenden Antrag auf Umbenennung der bisherigen Oberschule: »Die Höhere Schule in Gerolstein führt noch die Bezeichnung >Oberschule Zubringerschule<, obschon sie zum Lehrplan des Gymnasiums zurückgekehrt ist, und außerdem die Untersekunda (6. Klasse) angegliedert ist. Die nicht mehr zutreffende frühere Bezeichnung ist irreführend und kann nicht beibehalten werden. Eine frühere Oberschule mit fünf Klassen hat bereits die Bezeichnung »Progymnasium" angenommen.

Ich bitte den Herrn Regierungspräsidenten anzuordnen, dass die sechsklassige höhere Schule in Gerolstein die Bezeichnung 'Progymnasium Gerötetem- führen soll." Dem Antrag wird entsprochen, ab 1. Oktober 1946 führt die Schule den neuen Namen.

Das Internat Albertinum

Bereits am Montag, den 14. Januar 1946 öffnet das Internat seine Tore für insgesamt 79 Jungen und neun Mädchen. Sie sollen alle im Hotel Dolomit wohnen und auch zur Schule gehen. Ein Brief an die Eltern der im Internat angemeldeten Kinder vom 27. 12. 1945 gibt Auskunft über die großen Sorgen der Unterbringung: "Wir müssen zur Ausstattung des Heimes Feldbetten verwenden, zu denen uns zum Teil die Matratzen fehlen. Darum ist es notwendig, dass von einer Anzahl von Heiminsassen die Einlegematratzen gestellt werden, Größe 190 x 80 cm, da wir sie zur Zeit nicht beschaffen können. Es ist gewiss, dass einzelne Familien solche Matratzen in entsprechender Größe besitzen oder sie aus vorhandenen geeigneten Stoffen sich herstellen können. Sie können mit Stroh oder anderen Stoffen gefüllt sein.« In einem zweiten Brief vom 7. Januar 1946 heißt es:

»Verpflegung für 14. 1. 1946 mitbringen. Im übrigen bitte Folgendes mitbringen: I. Abmeldung vom Wirtschaftsamt, und zwar

G-Schein mitbringen.

2. Für das Bett: Wenn möglich, Matratze oder Strohsack. Sonst: Bettwäsche, wenigstens vier Leinentücher, Kopfkissen und Bezug, Wolldecken, Plumeau, Schlafanzug, Nummernzeichen auf allen Gegenständen.

3.Toilette: Seife, Kamm, Zahnbürste, zwei Handtücher, Kleiderbürste, Schuhbürste, Schuhcreme. Wenn möglich, in einem Beutel.

4. Hauskleidung: Turnschuhe, Turnhose, Trainingsanzug wenn möglich.

5. Sonstiges: Instrumente, Geige, Flöte, Gelegenheit zum Instrumentalunterricht ist gegeben. Gesang- und Gebetbücher, Tasse, Untertasse, Teller, Löffel, Messer, Gabel, Briefumschläge, Schreibzeug.

Den Selbstversorgern ist zur Verbesserung der Verpflegung zu empfehlen, Lebensmittel ins Heim zu bringen. Diese werden sofort vergütet. Ja, wir lebten im ersten Jahr sehr arm. Die Zimmer waren alle mit Etagenbetten ausgerüstet.

So wohnte ich fast volle drei Jahre auf Zimmer 14 = »Im Hohen Olymp« mit wunderbarem Ausblick auf die Stadt Gerolstein. Wir schliefen zu acht Jungen auf engsten Raum. 1946 herrschte große Not. Wir bekamen Maisbrot zu essen. Das lag bleischwer im Magen, und es dauert" sehr lange, bis es verdaut war. Ich erinnere mich genau an einen Jungen, der bekam ständig von zu Hause ein »Freßpaket- Er stammte aus einem Bauembetrieb. deshalb erhielt er immer einen Laib Eifelerbrot, selbstgebacken. Und er teilte das Brot regelmäßig auf Zimmer 14. Ich schmecke noch heute, wie gut dieses Brot war und möchte ihm auf diesem Wege danken.

Meine Mutter selig kam alle 14 Tage per Rad von Bolsdorf bis nach Gerolstein ins Internat zu Besuch. Mein Vater war in russischer Kriegsgefangenschaft. Sie brachte mir Lebensmittel mit. die sie sich selbst am Mund abgespart holte Größte Mühe machte ihr immer der steile Bewinger Berg. Aber sie kam und brachte mir zusätzliches Essen. Dafür bin ich ihr heute noch dankbar.

Es war Mitte 1946. Der Direktor sah unseren Hunger, unsere Not. Aber wie sollte er helfen? Da kam der Priesterdirektor Karl Pfeiffer auf eine fabelhafte Idee. Er machte uns den Vorschlag: Wir spielen die Märchenoper -Hansel und Gretel« von E. Hurnperdinch. Gesagt, getan. Studienrat Enders war nicht nur Mathematiklehrer, er unterrichtete uns auch in Musik. Wir hatten ein Klavier im ! laus. So übten wir fleißig die Lieder und Texte. Im Kunstunterricht malten wir uns die Kulissen, zum Beispiel das Hexenhaus. Direktor Pfeiffer führte Regie. Mich wählte er aus für die Rolle der Mutter. Ich bin heute noch stolz darauf, dadurch wurde ich ein ganz neuer Mensch.

Zuerst spielten wir in der näheren Umgebung von Gerolstein. Mit dem Hand wägeichen schafften wir die Kulissen ins jeweilige Jugendheim. Und dann spielten wir jeden Samstag und Sonntag. Die Leute waren begeistert Und wir auch.

Wir spielten nicht um Geld, sondern für Lebensmittel. Die Bauern haben uns überreich beschenkt mit Kartoffeln. Weizen Hafer. Milch und in Ausnahmefällen auch Butter. Dazu jede Menge Brot, Mohren, Wirsing und die dicken, weißen Rüben, die man in der Eitel »Kohlrawen« nennt.

Viel Spaß gab es, wenn die Küchenschwester aus Waldbreitbach die berühmte »Spauz-Suppe« gekocht hatte. Das war gequetschter Hafer mit etwas Milch und Wasser und Zucker angesetzt. Die Splisse vom Hafer spuckten wir aus. So wurde unser Hunger mehr und mehr gestillt, zumal, wenn wir bei den Bauern von Samstag auf Sonntag einquartiert waren. Dann wurden wir Jungen fürstlich bedient. Wir hatten schon bald einen Lkw mit Holzvergaser als Transportmittel gemietet. Damit fuhren wir durch die ganze Eifel und überall, wo ein Jugendheim war, gastierten die Jungen vom Internat Gerolstein. Wir spielten sogar in Trier, Neuwied und Waldbreitbach und es hat sich bewahrheitet, was wir in der Oper gesungen haben: Wenn die Not am größten, ist Gott am nächsten.

Direktor Karl Pfeiffer hatte von Anfang an eine Kapelle im Hotel Dolomit eingerichtet. Es sollte ja ein katholisches Internat sein. Er als Priester wollte unser geistlicher Begleiter sein.

Hauptdarsteller der Märchenoper Hansel und Gretel, die Mutter Josef Dissemond, der Vater Josef Wiesen.

 

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