Tonindustrie in Jünkerath eine kurze Episode

Erwin Hölzer. Feusdorf

Wer weiß heute noch, dass Jünkerath nach dem Zweiten Weltkrieg für einige Jahre Sitz einer eigenen Keramikfabrik und Tonproduktion war? Selbst Alteingesessene erinnern sich kaum noch an die »Tonindustrie Jünkerath E. C. Jurisch«-. Spuren sind bis auf wenige noch verbliebene Produkte aus dieser Fabrik nicht mehr vorhanden. Trotzdem (oder gerade deshalb) lohnt es sich, diese flüchtige Episode der Ortsgeschichte zu dokumentieren. Anlass für die Gründung der Jünkerather Tonindustrie war die besondere Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. Es fehlte an allem, so auch an Gebrauchsgegenständen aus Ton und Keramik. Die Herstellung in den traditionellen Produktionsgebieten wie etwa dem Westerwald kam erst langsam wieder in Gang. So bot sich hier eine Marktlücke, die auch der Gründer der Jünkerather Tonindustrie, der gerade ins Zivilleben zurückgekehrte ehemalige Offizier E. C. Jurisch als Chance nutzen wollte, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Jurisch, von Beruf Kaufmann, war während des Krieges im Westerwald, einem traditionellen Schwerpunkt der Tonindustrie, bei dem Ransbacher Keramikfabrikanten Knötgen einquartiert und hatte auch nach dem Krieg bei ihm gewohnt. So mit der Keramikproduktion in Berührung gekommen, sah Jurisch in diesem Gewerbe eine Möglichkeit, nach der Entlassung aus dem Militär sein Brot zu verdienen. Er suchte deshalb einen geeigneten Platz, um einen eigenen Betrieb aufzubauen. In Jünkerath fand er einen Ort, der günstige Voraussetzungen zu bieten schien: Hier war heller und grauer Ton vorhanden, und es gab geeignete Arbeitskräfte, zum Beispiel Former der von den Kriegswirren ebenfalls betroffenen örtlichen Demag-Fabrik.

1946 pachtete Junsch den großen Saal der Gaststätte Schmengler, heute Bohlen, und ließ diesen zunächst umbauen und für die Produktion von Tonwaren herrichten. Eine Baracke und ein Schuppen zur Lagerung des Tons wurden angebaut. Im Sommer 1946 begannen fünf Arbeiter in der Grube Feusdorf mit der Tonförderung für Jurisch. Der dort gewonnene weiße und graue Ton wurde nach Jünkerath gebracht und für die weitere Verarbeitung aufbereitet; wenn nötig geknetet und durch Beimischung von Sand »gemagert«, wenn er für eine unmittelbare Verarbeitung zu »fett« war. Im Winter, wenn bei starkem Frost die Arbeit in der Tongrube ruhen musste, wurden die Grubenarbeiter im Jünkerather Betrieb beschäftigt.

Nachdem so die Vorarbeiten für die Produktionsaufnahme erledigt waren, tat sich für Jurisch ein Problem auf: In Jünkerath und Umgebung gab es keine gelernten Keramikfacharbeiter. Er wandte sich deshalb an seinen alten Bekannten Knötgen in Ransbach, der ihm schon mit der Bereitstellung von Material wie zum Beispiel Gipsformen behilflich gewesen war. Knötgen vermittelte ihm den jungen Keramiker Albert Haubrich, der 1946 aus dem Westerwald nach Jünkerath kam und die technische Leitung des Betriebs übernahm. Weiteres Personal wurde aus den Formern der Gießerei Jünkerath rekrutiert. Im November 1946 lief schließlich die Produktion an, es wurde mit etwa zehn Leuten getöpfert und modelliert. Die Keramikteile wurden bei 1.200 Grad in einem elektrischen Ofen gebrannt, der wegen der noch schlechten Stromversorgung zunächst nur nachts betrieben werden durfte. Man produzierte anfangs vor allem einfache Gebrauchsgüler wie Tassen, Teller, Milchkännchen, Kaffeekannen, Aschenbecher und kleine Vasen, die teilweise auch dekoriert, von Frauen • bemalt, dann durch Spritzen oder Tauchen glasiert und schließlich gebrannt wurden.

Die Jünkerather Produkte kamen zunächst gut an. Bereits 1947 war die Belegschaft auf 22 Personen angewachsen. Es wurden sogar Lehrlinge ausgebildet. Zur Erweiterung der Produktionsmöglichkeiten musste ein zweiter Brennofen installiert werden. Das Produktsortiment wurde ebenfalls anspruchsvoller. Größere Blumenvasen bis 70 cm Höhe konnte man herstellen, Bierbecher, Obstschalen, Krüge, Tier- und Krippenfiguren. Den Höhepunkt bildeten Madonnenfiguren von 1,40 m Höhe. Die Nachfrage wurde so groß, dass eine Stanzmaschine für die Serienproduktion angeschafft werden musste. Der Platz im Saal Schmengler reichte schließlich nicht mehr aus, deshalb mietete Jurisch zusätzliche Räume im damaligen Haus Leuwer an. Dort wurde eine Modellwerkstatt eingerichtet, in der nun alle benötigten Formen hergestellt werden konnten.

Bis 1948 wuchs die Beschäftigten zäh l weiter auf 32 Personen. Damit war aber auch der Höhepunkt der Jünkerather Tonindustrie erreicht, in der Folge ging es rasch bergab. Durch die wieder anlaufende Produktion in den traditionellen Gebieten der Porzellan- und Keramikverarbeitung wurde es immer schwerer, die qualitativ vergleichsweise schlechteren Erzeugnisse aus Jünkerath abzusetzen. So war es bald nur noch eine Frage der Zeit, bis der junge und noch nicht gefestigte Betrieb in Jünkerath der Konkurrenz alteingesessener und erfahrener Unternehmen erliegen würde. Das Ende kam schnell. Bereits im Dezember 1948 musste die Produktion Gingestellt werden. Die Geräte wurden verkauft, die Mitarbeiter entlassen, die Tongruben stillgelegt. So endete das so hoffnungsvoll begonnene Experiment einer Jünkerather Tonindustrie schon nach weniger als drei Jahren. Der Firmengründer Jurisch verließ Jünkerath. Die entlassenen Mitarbeiter, so auch der Westerwälder Haubrich, kamen beim Werk der Demag unter, dessen Produktion gut lief.

So blieb die Jünkerather Tonindustrie eine kurze Episode, die vergangen ist, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen. Die örtlichen Tonvorkommen wurden übrigens in den siebziger Jahren, als die Furcht vor einer baldigen Erschöpfung der traditionellen Rohstoffquellen umging, nochmals erforscht. Es bestätigte sich aber, dass sich eine Ausbeute, jedenfalls zur Zeit, nicht lohnt.