Waldesfrust

Hans-Martin St über, Gerolstein

Vom raschen Anstieg etwas atemlos stehe ich auf der Dietzenley und lasse meinen Blick schweifen. Unter den gemächlich dahin ziehenden Wolken liegt vor mir ausgebreitet das schöne Eifelland. Vom Vulkan Kalem über den Schwarzen Mann der fernen Schneifeil wandern meine Blicke den Horizont entlang, der heute klare Fernsicht erlaubt. Der charakteristische Kegel des Arembergs ist zu sehen, weiter rechts die gar nicht so imposant wirkende Hohe Acht, daneben als kleine schwarze Spitze der Bergfried der Ruine Nürburg, schließlich -etwas näher - Döhm-Berg, Ernstberg und Scharteberg. Wer kennt und nennt all diese Namen! Weit unten im Tal liegt zu Füßen von Munterley und Auberg die Stadt Gerolstein. Vielleicht regt sich jetzt in mir eine verschüttet geglaubte »romantische Ader«, denn Josef von Eichendorffs Lied kommt mir in den Sinn: »O Täler weit, o Höhen, o schöner, grüner Wald, du meiner Lust und Wehen andächtiger Aufenthalt! Da draußen, stets betrogen, saust die geschäft'ge Welt, schlag noch einmal die Bogen um mich, du grünes Zelt!" Ich weiß, dass auf Gerolsteins »So n n enterrasse« zwischen Munterley und Kasselburg das »Sausen der geschäft'gen Welt" sehr wohl zu hören ist. Um so mehr genieße ich hier oben die Stille. Nur der Wind braust in den kahlen Laubbäumen und dem Nadelwald (im Sommer würden hier Insekten summen). Unser Dackel buddelt an der Stelle der abgerissenen Schutzhütte - emsig und vergeblich - nach Mäusen. Nun ja, den Düsenlärm hätte ich fast vergessen, aber der ist ja nach der Schließung der Air-Base Bitburg wirklich geringer geworden. Plötzlich dringt ein hässliches Geräusch an mein Ohr. Das darf doch nicht wahr sein! Mofa-, Moped- oder Motorradfahrer mit »geländegängigen" Vehikeln gehen ihrem hier wahrlich nicht erlaubten »Off-Road-Vergnügen« nach. Die Barrieren der Forstverwaltung umfahren sie geschickt.

Wenn es ihnen gefällt, fahren sie sogar - wie die Spuren zeigen - quer durch den Wald und schädigen damit den komplizierten Lebensraum Waldboden. Bei meinem Rückweg Richtung Heiligenslein sehe ich weitere Spuren ihres Tuns: der Wanderweg 13 aus Richtung Königsfichte diente ihnen als »Moto-Cross-Strecke", und unter der Überlandleitung des RWE haben sie mit ihren grobstolligen Reifen durch rasantes Kurvenfahren die Grasnarbe aufgepflügt.

Zorn regt sich in mir. Da wird doch so viel über die Umwelt und das Waldsterben geredet, auch in den Schulen, aber einige dieser »Experten« fühlen sich offenbar nicht betroffen. Ich sorge angesichts der Schilder »Wanderer, hier ist die Kinderstube des Wildes!" dafür, dass mein Hund das Wild nicht vergrämen kann. Aber die motorisierten ^Wanderer«, die sich an den steilsten und abgelegensten Waldwegen versuchen, interessiert das alles nicht. Mir fällt ein, dass die Straße zur Papenkaule für den Verkehr gesperrt ist. Die Verwaltung drückt allerdings beide Augen zu, um älteren und behinderten Menschen den Zugang zu Papenkaule und Buchenloch zu ermöglichen. Doch meist sind es junge und mittelalte Leute, die dort oben ihre Fahrzeuge auf der Wiese abstellen und nicht einmal darauf achten, ob Öl auf den Boden heruntertropft. Schlimmer noch sind die Reifenspuren in der naturgeschützten Papenkaule! An ihren Hängen erproben stolze Besitzer von allradgetriebenen Autos die Geländegängigkeit ihrer Statussymbole. Vielleicht sollte man das Naturschutzgebiet völlig aufheben und Motocross-Rennen veranstalten. »Trockenmaar-Rallye«, das wäre doch eine neue Fremdenverkehrsattraktion für Gerolstein!

Aber man ist - wie schon erwähnt - im Gerolsteiner Stadtwald unterhalb der Dietzenley, aber auch westlich der Büscheicher Straße vor solchen »Naturfreunden" nicht sicher. Es reicht nicht, dass die Baumbestände schon erkennbar geschädigt sind. Es reicht auch nicht, dass der Borkenkäfer dort reiche Nahrung gefunden hat. Es muss noch mehr kaputtgehen! Da wurde vor Jahren mit viel Mühe ein Waldlehrpfad rund um die Büschkapelle eingerichtet. Auf großen Schautafeln werden wichtige Informationen auch über das Waldsterben gegeben. Ein »Knigge« für Waldbesucher am Fußweg zur Büschkapelle wirbt für schonenden Umgang mit der Natur. Junge Moped- und Mofabesitzer aber fahren achtlos daran vorüber, auf dem Fußweg, statt die feste Straße zu benutzen. Vor allem bei Schnee und Eis mussten sie da ihr Können ausprobieren. Sie dachten nicht darüber nach, dass sie die Fussgänger gefährden.

Nach der "Hexennacht« 1996 war es besonders schlimm: der kleine Knüppelsteg am Brandweiher ist zerstört. Die eine Hälfte schwimmt im Wasser. Im Quellgebiet unterhalb der Büschkapelle steht ein blaues Hinweisschild für Hydranten oder Schieber mit einem Rest des Betonsockels nutz- und sinnlos im Wald. Erläuternde Tafeln am Waldlehrpfad wurden aus dem Boden herausgerissen und weggeworfen. Von unterhalb des Heiligensteins war ein geschnitzter Wegweiser nach Pelm bis fast zur Lehnenbachtalstraße geschleppt und ins Gebüsch geworfen worden. Seltsame Scherze!

Auch im Bereich Buchenloch sind solche Wegweiser demoliert worden. An der Munterley selbst wurde eine Steinplatte mit eingravierter Windrose abgerissen und die Felsen hinunter geworfen. Sitzbänke sind auseinander gerissen und zertreten. Ratlos, kopfschüttelnd und zornig muss man solche Spuren der Zerstörungswut ansehen.

Und wenn man einen Zweiradfahrer anzeigen will, der den Fußweg zur Buschkapelle benutzt, fragt die Polizei, ob der Betreffende einen Helm getragen habe. Wenn ja, dann sei vor Gericht nicht viel zu machen. Wirklich? Seit einiger Zeit gilt doch meines Wissens für Kraftfahrer die »Halterhaftung", das heißt, man muss nicht mehr beweisen, wer am Steuer saß: selbst wer ein Fahrzeug verliehen hat, muss für die Fehler des Fahrers gerade stehen. Oder gilt das doch nicht?

Ich sehe in meiner Erinnerung vor mir die kahlen, zerklüfteten Felswände bei Decimomannu auf Sardinien - ein Ergebnis der totalen Waldzerstörung durch die alten Römer. Sie hatten von dem Holz ihre Flotte gebaut. Die Wälder sind für immer verschwunden. Inzwischen hat man in den sechziger Jahren angefangen, Löcher in die Felswände zu sprengen, diese mit Erde aufzufüllen und mühsam wieder Bäumchen zu pflanzen mit der vagen Hoffnung auf Erfolg und ein Ende der Erosion. Ob auch die Zukunft der Eifelberge so trostlos aussieht, wie viele Mittelgebirge im ehemaligen Imperium Romanum?

Nein, die Zeit von Josef von Eichendorff ist wohl unwiederbringlich vorbei. Und es sind vielleicht nur noch wenige Menschen, die mit ihm sagen können:

»Da steht im Wald geschrieben ein stilles, ernstes Wort von rechtem Tun und Lieben, und was des Menschen Hort. Ich habe treu gelesen die Worte, schlicht und wahr, und durch mein ganzes Wesen ward's unaussprechlich klar.«