Ein Männlein steht im Walde

Amanda Haagen, Salm

Meine Geschichte erzählt von einer Begebenheit aus der Nachkriegszeit, in die sich die heutige Generation gar nicht mehr hineindenken kann. Es war im Spätsommer 1945.

Als ausgebombte Städter wurden wir aufs Land evakuiert. Wir wohnten auf engstem Raum. Zusammen mit vier kleinen Kindern saßen wir um einen großen Tisch herum, aber der Koch hieß die meiste Zeit Schmalhans.

Die Feuerstelle zum Kochen und Wärmen heizten wir mit Kipphenscha. Das war ein gutes und kostenloses Heizmaterial. Eines Tages machten sich die Tante und der Onkel mit Fahrrädern wieder einmal auf den Weg, um im nahegelegenen Wald Nachschub an Heizmaterial zu sammeln. Zwei große Kartoffel sacke legten sie sich auf die Gepäcksländer.

Es dauerte gar nicht lange, da waren sie mit prall gefüllten Säcken wieder zurück. Die Kinder liefen ihnen aufgeregt entgegen und riefen: »Wo habt Ihr denn so viel Kipphenscha gesammelt?« Kindern gegenüber war der Onkel immer ein Schelm. Bevor die Säcke ausgeleert wurden, erzählte er erst einmal folgende Geschichte:

»Stellt euch nur vor, gerade, wie wir die vollen Säcke aufladen wollten, stand ein kleines Männlein da. Was wir denn gesammelt hätten, wollte es wissen, naja, sagten wir, wir sind recht arme Leute und haben Kipphenscha zum Heizen gesammelt. Und dann hat das Männlein gefragt, ob wir Kinder zu Hause hätten. Aber ja, haben wir geantwortet, natürlich haben wir Kinder zu Hause. Nun wollte das Männlein noch wissen, ob das auch ganz brave Kinder wären. Ja, selbstverständlich, versicherten wir, es sind ganz brave Kinder, auch wenn sie manchmal großen Hunger haben.

Jetzt drehte sich das Männlein dreimal im Kreis herum und meinte, -gut, wenn das stimmt, dann dürft Ihr euch etwas wünschen, das in Erfüllung geht, sobald Ihr zu Hause angekommen seid.' Was meint Ihr, was wir uns gewünscht haben? Das könnt Ihr nicht erraten.«

Die Kinderaugen glänzten vor Neugierde und Erwartung! Mit einem spitzbübischen Lächeln sprach der Onkel: »Wir haben uns gewünscht, wenn wir heim kommen, sollten sich die ganzen Kipphenscha in lauter Pilze verwandelt haben und nun wird sich gleich herausstellen, ob Ihr brave Kinder seid.« Voller Spannung standen die Kleinen um Onkel und Tante herum, ihre Augen wurden immer größer, schon waren die Säcke aufgebunden, da fielen doch tatsächlich die ersten Steinpilze aus dem Sack, es wurden immer mehr, ja, statt der Kipphenscha kamen doch tatsächlich lauter Steinpilze zum Vorschein. Manche waren suppentellergroß und kerngesund. Auch der zweite Sack, nichts wie wunderschöne Steinpilze.

Nun staunten wir aber auch alle über diesen Fund, so was hat noch kein Pilzsammler erlebt. Das war wie ein Wunder. »Ja ja«, erzählten Onkel und Tante, «wir trauten unseren Augen auch kaum, die Pilze standen auf einmal da, wie bestellt und nicht abgeholt, als hätten sie nur auf uns gewartet, wie im Schlaraffenland. Zuallererst gab's natürlich eine kräftige Pilzmahlzeit und alle konnten sich endlich mal wieder richtig satt essen. Hernach halfen wir, die Pilze in dünne Scheibchen zu schneiden, um sie als haltbaren Vorrat zu trocknen. In dieser lebensmittel-kargen Zeit war das eine große Hilfe.

Ich konnte diese sagenhafte Pilzernte bis heute nicht vergessen. Es klingt wie ein Märchen, aber es trug sich wirklich zu. Nur, das Männlein, das hat Onkel, der Witzbold, erfunden. Die Kinder aber ließen ihm keine Ruhe, sie brachten Bleistift und Papier, sie wollten unbedingt wissen, wie das Männlein aussah...

der Onkel konnte sehr gut zeichnen.