Wenn man es wagt

und seinem Vaterland entsagt

Auswanderer aus Bleckhausen

Matthias Meinen, Bleckhausen

Diese Zeile stammt aus einem Auswandererlied aus dem vorigen Jahrhundert. Obwohl die Verbreitung dieser Verse verboten war, folgten diesem Aufruf immerhin etwa sieben Millionen Deutsche, um mit Dampf- und Segelschiffen nach Amerika auszuwandern. Im Jahre 1843 setzte eine ganz massive Abwanderung von Menschen nach Amerika ein. Nun verließen jeweils mehrere Familien zusammen die Dörfer der Eifel. Sie wurden meist angelockt von bereits früher dort hingezogenen Verwandten oder Freunden, die in ausführlichen Briefen ihre nun gesunden Lebensverhältnisse schilderten. Sie teilten von ihren Reiseerfahrungen mit und stellten oft sogar das Reisegeld für Angehörige zur Verfügung. So folgten im Frühjahr 1843 gleich drei Familien aus Bleckhausen einem solchen Ruf, in der Hoffnung, drüben in Amerika ebenfalls bessere Lebensverhältnisse zu erlangen. Eine war die Familie von Johann Adam Meinen, auch oft nur Mein geschrieben. Er verließ die Heimat mit seiner Frau Maria Barbara Broos, die aus Meerfeld stammte, die er 1830 geheiratet hatte, und seinen vier Kindern. Johann Adam Hein/en wurde 1802 im "Deders Haus« (heute steht dort die Gemeindehalle} geboren. Er übte das Maurerhandwerk aus. Mit seiner Familiengründung verließ er das Elternhaus und bewohnte bis zu seiner Auswanderung das Haus, auf dessen Grundstück heule das 1920 erbaute neue Pfarrhaus steht. Bei Antritt der Reise war der Sohn Johann 12 Jahre, die Töchter Anna Maria 10 Jahre, Katharina sieben Jahre und Susanna fünf Jahre alt. Maria Barbara erwartete zu diesem Zeitpunkt ihr fünftes Kind. Dieses wurde während der Überfahrt am 17. 5.1843 auf dem Schiff vor Kuba geboren und Nikolaus genannt, ein sechstes Kind, Margaretha, folgte 1847 in Chicago/Illinois. Die Familie Hein hatte 449 Taler Reisegeld zur Verfügung. Wie es ihr in Amerika erging und was aus den Kindern dort wurde, wäre nie bekannt geworden, wenn mir im Frühjahr 1996 nicht ein Brief zugetragen worden wäre, in dem Nachkommen dieser Hein-Familie Auskünfte ihrer Vorfahren aus Bleckhausen erbaten. Janet und Roy Hayter hatten auf der Suche nach ihren Vorfahren erstaunlich viel zusammengetragen. Janet Hayter ist ein direkter Nachkömmling von dem auf dem Schiff vor Kuba geborenen Nrkolaus Hein. In diesen gesammelten Unterlagen hebt sich eine Person besonders hervor, und zwar John Hein (Johann), der älteste Sohn von Johann Adam und Maria Barbara.

Von diesem Sohn John, von dem sogar ein Tagebuch existiert, soll hier in diesem Bericht hauptsächlich erzählt werden. Dieses Tagebuch schrieb John Hein 1902, rückblickend auf sein Leben. Aus dem Tagebuch nun Auszüge: »Ich, John Hein, bin geboren im Ort Bleckhausen, im Kreis Daun, Reg. Bezirk Trier, Rheinprovinz, jetzt ein Teil des Deutschen Reiches (Preußen), am 6. 4.1831. Meine Eltern, ich und drei Schwestern wanderten im April 1843 nach Amerika aus. Wir kamen in New Orleans am 9. 6. des selben Jahres an ... So beginnen die Aufzeichnungen der Lebenserinnerungen von John Hein.

Die Reise begann also im April 1843 in Bleckhausen und ging von dort zuerst nach Bremen, wo sie das Schiff Agnes bestiegen, mit dem sie den letzten Hafen in Europa, Antwerpen, am 14. April anliefen. Ab Antwerpen ging es dann über den Atlantischen Ozean in einer etwa 55tägigen Seereise nach Amerika, wo sie am 9. Juni 1843 in New Orleans an Land gingen, um von dort über den Fluss Mississippi per Dampfer nach St. Louis zu kommen. Alles, was sie besaßen, wurde dort auf ein Boot gepackt und es ging auf dem Illinois River nach Peru, von wo aus sie mit zwei Pferdewagen den Rest der Reise bis nach Chicago schafften.

Hier siedelte und lebte die Familie Mein zwölf Jahre lang. John Mein verließ jedoch Chicago bereits nach 10 Jahren. Er hatte in der Zwischenzeit zwei Berufe erlernt, Haus-, Wagen-und Schildermaler und Blech-, Kupfer- und Eisenarbeiter (Klempner). 22jährig verließ er also 1853 seine Familie in Chicago und ging auf seine zweite große Reise in Richtung Californien, über New York und Panama nach San Francisco. Für diese 27tägige Reise auf dem Dampfer Tennessee zahlte er 160 S und erlebte Schiffbruch vor San Francisco (drei Meilen vor Golden Gate), wobei jedoch niemand sein Leben verlor.

Zu dieser Schiffsreise ist folgendes überliefert: Zu jener Zeit, als die Panama Eisenbahnlinie entlang der Landverengung noch nicht fertiggestellt war, mussten die Fahrgäste einen Teil des Weges, bis Gorgona oder Crues, mit dem Flussdampfer zurücklegen und den gesamten restlichen Weg nach Panama mit einem Maultier. Ein Teil des Weges führte durch Dschungel und so benötigte man einen einheimischen Führer, um mit Gepäck und Maultieren zurechtzukommen. Viele Reisende benutzten für die Fahrt noch immer Paddelboote und nahmen sich für die letzte Etappe einheimische Helfer.

Unter optimalen Begebenheiten dauerte die Reise zwei Tage, jedoch während der Regenperiode konnte sie auch viel länger dauern. 1853 konnte man ein Ticket erwerben, womit die gesamte Reise versichert war, das verminderte das Risiko, Schiffbruch zu erleiden und somit vom Gepäck getrennt zu werden. Die Schiffsverbindungen von der Westküste nach San Francisco waren noch im Anfangsstadium, wurden jedoch beschleunigt eingerichtet, nachdem 1849 dort Gold entdeckt wurde und die Notwendigkeit bestand, große Menschenmassen nach Californien zu transportieren. Es war nicht unüblich, dass lange Wartezeiten entstanden in diesem ungesunden Klima von Panama, bevor man diese Schiffsreise antreten konnte.

Die Reise, die John Hein buchte, brachte Probleme von Anfang an. Viele Passagiere wurden in das von Haifischen verseuchte Wasser von Panama gestoßen, als sie an Bord stürzen wollten. Sie wurden gerettet vom obersten Offizier. Viele der Passagiere hatten bereits Gelbsucht, die sie sich während der langen Wartezeit in Panama geholt hatten. Morgens, am 6. März 1853, fuhr die Tennessee neben den Farallane-lnseln in dichtem Nebel, mit Sichtweite von 60 Fuß. Als der Kapitän sich der Golden Gate näherte, schwangen die gegenwärtigen Flutwellen nordwärts in Richtung des Marin-Strandes. Ein Mitteldeckpassagier, der am Bug stand, warnte vor dem bevorstehenden Unglück, als er die nahenden Sturzwellen auf sich zukommen sah. Jetzt konnte nichts anderes mehr unternommen werden, als das Schiff in eine schmale Sandbucht zu steuern, damals Indian-Bucht genannt, heute jedoch umbenannt in Tennessee-Bucht. Nachdem die anfängliche Panik sich gelegt hatte, gelang es dem obersten Offizier, mit einem Seil an Land zu klettern, gefolgt von vielen Passagieren, einschließlich John Hein. Letztendlich waren alle Passagiere und die Besatzung sicher an Land gebracht und viel Gepäck wurde ebenfalls gerettet.

Nach seiner »glücklichen« Ankunft in Californien, schiief John Hein die erste Nacht am Strand ohne Decke.

John praktizierte seine beiden erlernten Gewerbe in den folgenden drei Jahren in San Francisco, Sacramento und Marysville. Im August 1856 kehrte er auf derselben Route zurück nach Carver, Minnesota, um seine Familie wiederzutreffen, die 1855 ebenfalls dort hingezogen war. Das war kurz nachdem das Land westlich vom Mississippi freigegeben wurde für weiße Siedler.

In St. Anthony arbeitete er wieder für sechs Monate im Eisenhandwerk und lernte dort seine erste Frau kennen, Gertrud Brück, die er am 20. April 1857 in St. Paul heiratete. Mit ihr zog John nach Carver, Minnesota, und eröffnete ein Geschäft für landwirtschaftliche Geräte, Eisenwaren und Brennöfen, welches er die folgenden neun Jahre betrieb. 1858 wurde John's erste Tochter Lizzie geboren, 1859 Sohn Hubert (verstarb 1866), 1861 Tochter Gertrud (verstarb 1862) und 1863 Sohn Peter Josef. Seine Frau Gertrud Brück verstarb am 3. April 1863 im Alter von 26 Jahren. Bereits fünf Monate später, am 10. September 1863, ging John seine zweite Ehe ein mit Sophia Facklum in St. Paul/Minnesota. Ihr erstes Kind, Georg A., wurde 1864, das zweite, Charles,1866 geboren, im gleichen Jahr verkaufte John für 10 000 $

John Mein und Kate Herkelrath

sein Eisenwarengeschäft in Carver, nahm seine Frau und Kinder und trat die vierte große Reise an, wiederum nach Californien, wo er im August 1866 in Napa City ankam. Diese Reise kostete ihn 1 225 $. Seine Hauseinrichtung in Carver übergab er an seinen jüngeren Bruder Nikolaus und erhielt von diesem dafür einen Schuldschein im Wert von 100 $, zahlbar 1867. Über seinen Bruder Nikolaus schrieb John Mein 1902 folgendes in sein Tagebuch: (wörtlich übersetzt) »28. July 1866 in Carver, Minnesota Ich verkaufte meine Hauseinrichtung, schätzungsweise 100 Dollar wert, an Nikolaus Hein, meinen Bruder. Ich nahm einen Schuldschein von ihm, zahlbar 1867. Ich gab ihm die Vollmacht, 80 Morgen Land zu verkaufen, gelegen eine Meile entfernt von Carver Stadt, Minnesota, wofür er 700 Dollar erhielt. Als ich 1869 zurück nach Carver ging, bezahlte ich den Fahrpreis für Nikolaus Hein, seine Frau und Kind nach Californien, Kosten 90 Dollar. Ich beschäftigte besagten Nikolaus Hein dreizehn Monate in meinem Eisenwarengeschäft in Napa. Für diese Zeit bezahlte ich seine Hausmiete, Verpflegung und Arztrechnungen. Das kostete mich 75 Dollar jeden Monat und nachdem die Konten aufgerechnet waren, verblieb eine Restschuld von 500 Dollar. Es sind jetzt 33 Jahre her, dass er mir das schuldet und er ist nie bereit gewesen, mir auch nur einen einzigen Dollar zu zahlen bis heute, 1902. So viel zu meinem Bruder.« 1867 überschattete ein großes Unglück die Familie. Sophia wollte abends ihr Kind Lizzie zu Bett bringen, verließ aus irgendwelchen Gründen den Raum, in dem sich das Kind befand und ließ eine Kohleöllampe in der Nähe des Kindes zurück. Wahrscheinlich durch eine Bewegung des Kindes wurde diese umgestoßen. Aufgeschreckt durch die Hilferufe der Tochter eilte die Mutter ins Zimmer zurück und sah das Kind in großer Gefahr. Beim Versuch, das Kind aus den Flammen zu retten, fing Sophias Kleidung sofort Feuer, nachdem die Öllampe explodiert war. Sophia erlitt so große Verbrennungen, dass sie tags darauf starb. Das Kind überlebte, hatte jedoch ebenfalls starke Verbrennungen erlitten.

Nach dem Tod von Sophia heiratet John 1868 Mary Jenkins in Californien. Diese Verbindung war nur von kurzer Dauer und endete durch Scheidung. Kinder gingen aus dieser Ehe nicht hervor. Im gleichen Jahr ging John wieder nach Minnesota. Dort heiratete er zum vierten Mal und zwar Kate Herkelrath, am 21. Oktober 1869 in Saint Peters. Kate war in Bayern geboren. Sie war Lehrerin. Aus dieser Ehe gingen nochmals neun Kinder hervor. John Hein verließ in diesem Jahr noch einmal Minnesota, um wiederum nach Napa, Californien zu reisen. Dieses Mal benutzte er die Eisenbahnverbindung, die eben erst fertiggestellt wurde. Sie verband Ost- und Westküste von Nordamerika und ersparte ihm den beschwerlichen Umweg über Panama. Bei dieser ersten Eisenbahnreise überlebte er ein Eisenbahnunglück in der Nähe von Ogden, Utah, wobei fünf Menschen den Tod fanden und viele verletzt wurden. Zu diesem Eisenbahnunglück steht im Tagebuch: »Ich hatte mein Leben auf dieser Reise für 8 000 $ versichert, so kam ich ohne Verletzung davon. Weil ich mich so hoch versichert hatte, konnten sie es sich nicht leisten, mich zu töten. Kapiert?«

Als er in Napa war, hatte er einen Besitz von 8000 Dollar, festgelegt in US Gold Pfandbriefen, die ihm Zinsen zu einer Rate von 6 % jährlich einbrachten. Um sich ein Haus kaufen zu können und um ins Geschäft zu kommen, musste er seine Wertpapiere in Bargeld umsetzen. Dabei büßte er 24 Cents pro Dollar ein, womit er einen Verlust von 1 920 Dollar machte. Dazu meinte John: »Das war meine Erfahrung mit der so populären Politik der Republikanischen Partei. Es kostete mich 1 920 Dollar, um zu erfahren, dass ich den sichersten Besitz in den USA hatte...

Er kaufte sich ein Haus in der Ecke von Union und Devision Street und baute zwei andere Gebäude zum Vermieten. Er kaufte eine Baustelle dort, wo jetzt die Oper steht und erbaute auf dieser sein eigenes Haus. Das Ofen- und Eisenwarengeschäft führte er an diesem Ort noch fünf Jahre weiter.

1871 kaufte er sich eine Ranch mit 370 Morgen Land in den sogenannten Napa Redwoods. Dort baute er wiederum ein Haus, Scheune und einen Weinkeller. Er pflanzte Obstbäume und baute Wein an. Außerdem schlug und verkaufte er Brennholz nach Napa. Er beförderte jedes Jahr zwei- bis dreihundert Klafter Brennholz nach Napa Stadt für 6 bis 6,5 Dollar je Klafter. Zeitweise hielt er drei bis vierhundert Stück Schafe. Bei dem dortigen milden Klima konnte er die Schafe das ganze Jahr über auf der Weide lassen, ohne dass er sie mit Heu oder Getreide füttern musste.

Nachdem jedoch die Regierung in den 80er Jahren hohe Steuern auf sämtliche Erzeugnisse erhob, warf die Ranch nicht mehr so viel ab, jedenfalls zu wenig in den Augen von John Hein. Er ließ die Weingärten brachliegen. Nachdem auch der Obstverkauf kaum noch Gewinn einbrachte, fällte er entmutigt seine Obstbäume und machte Feuerholz daraus. Im November 1898 vermietete er seine Ranch an seinen Sohn Bismarck aus vierter Ehe für eine Zeit von fünf Jahren und zu einer jährlichen Pacht von 150 Dollar. Ferner verpflichtete er seinen Sohn, ihm, John, für diese Zeit noch Kost und Logis zu geben. Mit 68 Jahren, nach einem Leben voller geschäftlicher Unternehmungen, entschloss sich John Hein, noch einmal den Ort seiner Geburt, seiner Kindheit und seiner Vorfahren wiederzusehen.

Über diese letzte Reise in seinem Leben schreibt er in seinen Erinnerungen: »1899 verließ ich Napa, um noch einmal nach Deutschland zu gehen. Ich kaufte in San Francisco ein Ticket nach London, über den Seattle Canadian Pacific nach Montreal. Ich nahm das Schiff Dominion nach Liverpool und reiste mit der Eisenbahn nach London. Danach besuchte ich Rotterdam und Utrecht in Holland, um dann nach Deutschland zu reisen. In den Städten, in denen es mir gefiel, verbrachte ich längere Zeit. Ich nahm ein Schiff und fuhr auf dem Rhein. Dann ging ich durch das Land und den Ort, in dem ich geboren war. Bleckhausen. Anschließend fuhr ich mit dem Zug nach Trier, Luxemburg, Metz, Nancy, Straßburg und Baden-Baden. Von dort aus wieder per Zug zurück nach Trier und dann mit einem Schiff über die Mosel nach Köln, über den Rhein nach Mannheim, dann wiederum mit dem Zug nach Stuttgart, Berlin und schließlich Hamburg. Ab Hamburg nahm ich ein Schiff nach Quimby, England und den Zug nach Liverpool, nahm ein Schiff nach New York, einen Zug nach Philadelphia, Baltimore, Chicago, Denver, Salt Lake, Ogden und letztendlich wieder nach San Francisco. Die Reise kostete mich 375 Dollar.« Am 29. März 1906 stirbt John Hein. Seine Frau lebte nach seinem Tode zuerst auf einer Ranch, 10 Meilen von Napa entfernt. Danach in Napa City, wo sie von ihren Kindern und vielen Freunden umgeben war. John Hein hatte es in Amerika zu etwas gebracht. Er war in Napa, Californien, eine angesehene Persönlichkeit. Das wird durch Zeitungsberichte und andere öffentliche Quellen belegt.

Unter anderem veröffentlichen 1912 Tom Gregory und andere namhafte Schriftsteller Geschichten von führenden Männern und Frauen aus Napa und Umgebung, die sich identifizierten mit dem Wachstum und der Geschichte des Landes von Anfang bis jetzt (1912). In diesem Bericht ist zu lesen: "Herr Hein war ein sozial gesinnter Mann, engagiert für solche Bewegungen, die Besserungen für die Allgemeinheit versprachen. Er war viele Jahre Seh u l verwalte r (Treuhänder). Politisch war er Mitglied der Demokratischen Partei, stark überzeugt von ihren Grundsätzen und Prinzipien.« Dieses Schriftstück befindet sich heute in der Bibliothek der Stadt Napa.