Die Küche als häuslicher Sozialraum

Werner Schönhofen, Leutesdorf

In früheren Zeiten hatte die Küche eine wesentlich stärkere soziale Funktion als heute. Damals war sie meistens der einzige Raum des Hauses, der im Winter durch das Holzfeuer im Herd durchgängig geheizt war. In ihr traf man sich nicht nur zum Essen; sie war der Aufenthaltsraum schlechthin. Hier spielte sich fast das gesamte häusliche Leben ab, sofern das Vieh nicht sein Recht verlangte und man daher zeitweise in Stall und Scheune arbeiten musste. In der Küche wurde nicht nur das Essen zubereitet und verzehrt, hier wurden auch manche handwerkliche Tätigkeiten verrichtet. Bei der bis in unser Jahrhundert hinein üblichen »Spinnstube« handelt es sich um die Zusammenkunft der Nachbarn zur Verrichtung kleinerer Arbeiten und zum Erzählen in der geheizten Küche, wenn draußen winterlich kalte Temperaturen herrschten. In der Küche wurde auch der oft gar nicht so kurze Besuch unter Nachbarn abgewickelt, bei dem auch mehr oder weniger belanglose Neuigkeiten ausgetauscht wurden. Das geschah häufig in einer dämmerigen bis dunklen Küche, die nur durch das flackernde Herdfeuer bei offener Ofentür erleuchtet war. Gab es denn wirklich einmal Wichtiges zu besprechen, dann wurde die "gut Stuff« geheizt, die man vielleicht nur dreimal im Jahr an hohen Feiertagen oder zu anderen wichtigen Anlässen aufsuchte. Beim bollernden Herdfeuer in der dämmerigen Küche, wenn die Flammen ihre gespenstisch züngelnden Schatten auf die Wände warfen, ließ es sich viel besser erzählen. So war denn die Küche auch der Ort, in der die alten Sagen und Gespenstergeschichten weitergegeben wurden. Wie sah nun damals eine Küche in der Eifel aus? Sie wird sich nicht sehr von einer solchen in den anderen ländlichen Teilen des Rheinlandes unterschieden haben! Noch bis in unser Jahrhundert hinein kannten viele Häuser keinen Flur. Man öffnete die Haustüre und stand mitten in der Küche. Der Boden einer solchen »offenen Küche« mag ursprünglich aus Steinplatten bestanden haben und die Herdslelle eine offene gewesen sein, über der an einem sägeblattartigen Gehänge - der Hai - der Kessel auf- und niedergehangen werden konnte, je nachdem wieviel Hitze man zum Kochen brauchte. Aber das ist Nostalgie! In die Eifeler Küchen unseres Jahrhunderts zog sehr schnell der Fortschritt ein in Form einer neumodischen »Kochmaschine». Im neuen Herd wurde bevorzugt Holz verbrannt. An der der Feuerung gegenüberliegenden Herdseite gab es ein messingnes Wasserschiff, einen Behälter, der mehrere Liter warmes Wasser bevorratete. Die Herdringe über der Feuerstelle konnten, je nach Größe des aufzusetzenden Topfes oder der Pfanne, weggenommen und diese so dem direkten Feuer ausgesetzt werden. Neben der Feuerung befand sich ein Backofen. Wurde er nicht als solcher genutzt, gab er doch bei geöffneten Türen seine Hitze ab. Natürlich musste ein solcher Herd auch gescheuert werden.

Überhaupt war das Reinigen eine Sache für sich. Der Aschenkasten unter der Feuerstelle musste regelmäßig geleert werden; im Sommer konnte man die Asche als Dünger in den Garten kippen, im Winter stumpfte sie die schneeglatte Straße ab. Hin und wieder musste auch das Ofenrohr vom Ruß befreit werden, damit der Herd wieder »ziehen« konnte. Mag in früherer Zeit der Küchenboden mit Steinplatten belegt gewesen sein, so war er in neuerer Zeit mit Brettern gebünnt. Diese mussten regelmäßig nass gewischt werden. Sollten sie einen gewissen Glanz erhalten, geschah dies mit Magermilch. Gelegentlich verlangten die Bretter auch nach Leinöl. Das Herrichten der Küche war dann für die Hausfrau die letzte Arbeit am Samstagabend. Als in den 50er Jahren Linoleum aufkam, wurde das als großer Fortschritt gepriesen. Aber damit war ein weiteres Stück Küchenkultur dahin!

Mittelpunkt jeder Küche ist der Tisch, um den sich die Hausgemeinschaft zur gemeinsamen Mahlzeit, aber auch zum Gespräch versammelt. Eifeler Küchentische hatten oft eine »Mol«; die Tischplatte konnte man abheben. Sie lag auf der Mol, einer Mulde, dem Backtrog.

In ihm bereitete die Hausfrau den Brotteig zu, bevor gebacken wurde. In keiner Küche durfte am entsprechend großen Tisch die Bank fehlen. Sie hat mit unseren heutigen kastigen Eckbänken nur den Namen gerneinsam. Ihr Rückenteil bestand aus einem Rahmen, ausgefüllt mit Stäben oder gebuchteten Brettern. Natürlich fehlte eine entsprechende Polsterung. Auf dieser Bank gab es, wie auch am Tisch, eine gewisse Sitzordnung. Man setzte sich als Fremder, der in die Küche eintrat, auch nicht irgendwohin; man wartete, bis man den entsprechenden Platz zugewiesen bekam, was meistens recht schnell geschah bei der vorherrschenden allgemeinen Gastfreundschaft. Natürlich nahm ein zweiteiliger Schrank mit Schubladen und Türen, häufig Glastüren im Oberteil, die Küchengerätschaften und das Geschirr auf. Heute sind solche Schränke - entsprechend aufgemöbelt - bei jungen Leuten wieder sehr begehrt, ebenso wie die früher oft anzutreffenden Geschirrborde. In einfachen Haushalten fand sich auf ihnen wohl kaum teures Porzellan. Steingut wurde von reisenden Händlern aus Speicher und Niederkai l vertrieben. Der bekannteste dieser reisenden Steinguthändler war der Eifeldichter Peter Zirbes aus Niederkail.

Noch etwas zur »Küchentapete«. Die Küchenwände waren mit einem Ölfarbensockel mehr als meterhoch versehen und darüber geweißt. Ein Muster wurde mit einem in eine andere Farbe getauchten Lappen aufgetupft; solche eis-blumenartigen Gebilde sind heute unbekannt - auch eine Handwerkskunst! Küche früher war also - stärker noch als heute - der Ort der häuslichen Gemeinschaft. Wo solche gemeinschaftsstiftenden Orte im Haus fehlen bzw. nicht zur Auswirkung kommen, wie z. B. durch das Fernsehen, ist der Familienzusammenhalt gefährdet. Für den Zerfall vieler Familien ist nicht nur die fehlende religiöse Grundlegung und die materialistische Umwelt ausschlaggebend.