Werkstattplätze - grenzenlos

Hermann Dahin, Gerolstein

In der historischen Entwicklung der Psychiatrie unterlag die Bedeutung des Faktors »Arbeit« einem ständigen Wechsel. Gab es Jahre, in denen in psychiatrischen Anstalten die Arbeit gänzlich vergessen wurde, entdeckte man sie in einer anderen Zeit wieder neu.

Ende der 60er Jahre, und mehr noch in den 70er Jahren, gewann die "Arbeit und Beschäftigung« an Bedeutung und ist heute fester Bestandteil einer gesamtheitlichen Behandlung. Arbeit verschafft:

• ein Gefühl von persönlichem Erfolg und persönlicher Sicherheit durch gelungene Bewältigung von äußeren Anforderungen und die Erfüllung der Erwartungen anderer;

• eine Möglichkeit, sich in normalen sozialen Bollen (Nicht-Patienten-Rolle) zu engagieren und somit der chronischen Kranken-Rolle en tgegenzuwirken;

• ein leicht identifizierbares Kriterium für Genesung;

• ein Gefühl von Sozialstatus und Identität;

• soziale Kontakte und Unterstützung;

• ein Mittel zur Tagesstrukturierung;

• finanzielle Belohnung.

Shepherd, G.: Institutional Gare and Rehabilitation, London, Longmann 1984 Somit kann durch die Arbeit an geeigneten Stellen nicht nur die berufliche Rehabilitation erreicht werden, auch soziale, therapeutische und therapiesichernde Effekte können erzielt werden.

20 Jahre nach Abschluss der »Psychiatrie-Euquete (1977) und nahezu acht Jahre nach deren Fortschreibung, in den "Empfehlungen der Expertenkommission der Bundesregierung« (1988), hat sich die Versorgung von psychisch kranken Menschen in Deutschland hin zur gemeindenahen Struktur entwickelt. In einer gemeinsamen Besprechung am 30.11. 1994 zwischen dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit, den Stadt- und Kreisverwaltungen, dem Landesarbeitsamt Rheinland-Pfalz-Saarland, dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung sowie den Werkstatträgern und der LAG/WfB Rheinland-Pfalz wurden die Versorgungsaufträge und die Einzugsbereiche einvernehmlich festgelegt. Die Westeifel Werkstätten (WEW) haben dort den Versorgungsauftrag erhalten, im Flächengebiet der Landkreise Daun und Bitburg-Prüm, Arbeitsplätze für psychisch kranke Menschen zu schaffen und waren seither nicht untätig. Seit Mitte 1996 liegt der Landesregierung in Mainz eine umsetzungsfähige Konzeption vor, die ein Projekt umschreibt, welches sich durch eine Besonderheit auszeichnet: Es geht um Werkstätten für psychisch Behinderte in einem transnationalen, europäischen Projekt. Obgleich die Westeifel Werkstätten sicherlich von ihrer geografischen Lage her nicht gerade im Herzen von Rheinland-Pfalz liegen, so ist die Region doch eine Art "Mittelpunkt in Europa«, befindet sich die Eifel doch unmittelbar an der Grenze zu Belgien, Luxemburg und Frankreich. Auch aus dieser Tatsache heraus und weil die WEW schon lange Kooperationen mit dem benachbarten Ausland unterhalten, schloss man sich 1995 mit der "Christlichen Krankenkasse Belgiens" (CKK) zusammen und konzipierte eine gemeinsame grenzüberschreitende Einrichtung.

Der Partner, eine Krankenkasse in Belgien, hat dort weitaus mehr Aufgaben zu bewältigen als vergleichbare deutsche Krankenkassen, so neben der gesetzlichen Kranken Versorgung das Betreiben eigener Krankenhäuser, Kurkliniken, Apotheken ketten und Einrichtungen für Behinderte.

Geplant haben die beiden Träger, übrigens in einer paritätischen Konstellation, insgesamt fünf Werkstätten mit einer 60er Größe in den Einzugsgebieten der Westeifel Werkstätten, der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und den französisch sprächigen Gemeinden des Bezirkes Verviers. Drei solcher Einrichtungen werden auf der deutschen Seite und zwei Einrichtungen auf der belgischen Seite stehen, wobei die Umsetzung des Gesamtprojektes etappenweise und bedarfsorientiert vollzogen werden soll.

Innovation ist gefragt in einem zusammenwachsenden Europa, das nach Aussage vieler Politiker schon vereint ist - in der Praxis der Behindertenarbeit aber noch meilenweit davon entfernt.

Die beiden Träger möchten in dieser Richtung etwas bewegen - und auch innovativ ist das gesamte Projekt, beachtet man lediglich zwei Punkte:

• In Europa gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine vergleichbaren transnationalen Werkstätten für Behinderte. Die WEW und die CKK schaffen Einrichtungen, in denen es gleich ist, ob ein "belgischer behinderter Mensch« in eine "deutsche WfB» geht oder natürlich auch umgekehrt. Gerade die Eitel und die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens bietet hierfür idealen Raum aufgrund der räumlichen Nähe, gleichartigen Kulturen und sozialen Strukturen und auch noch weitgehendst gleicher Sprache.

• Die Konzeption, wird sie umgesetzt, bietet sich als Modellprojekt an, in dem die Länder

in einer Art Praxisstudie die Möglichkeit haben, nationale und regionale Unterschiede festzustellen, um so Strukturen und Gesetzgebungen im Rehabilitationsbereich anzugleichen.

Zwei Fakten, die übrigens schon häufig von der Politik in Abkommen niedergeschrieben oder in Reden angesprochen wurden, und nicht nur das, Träger sind aufgefordert, sich solchen Herausforderungen zu stellen.

Um so verwunderlicher ist es für die Westeifel Werkstätten und die Christliche Krankenkasse Belgiens, welch' langer Weg ein solches Projekt zurücklegen muss, um realisiert zu werden.

Das Vorhaben ist in schwierigen finanziellen Zeiten der Länder auf »Eis gelegt«, so könnte man vermuten - aber was ist mit einem ständig wachsenden Bedarf an Arbeitsplätzen, die von der Psychiatrie angemeldet werden?

Die Träger jedenfalls werden ehrgeizig am grenzüberschreitenden Projekt weiterarbeiten und haben ein Ziel: die persönliche Situation des einzelnen psychisch kranken Menschen zu verbessern.

 

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