»Ist allen Menschen ein Wunder gewesen«

Vor 200 Jahren im Land zwischen Adenau und Daun

Thomas Romes, Nohn

Rinderseuchen, Klimakatastrophen, Kriege und Verbrechen bestimmen häufig die Nachrichten unserer Tage. Mit ähnlichen Schlagwörtern könnte man eine Chronik versehen, die der Landwirt und Winterschullehrer Nicolaus Conrats (* 1728 11803) aus Trierscheid gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts verfaßt hat.

Nicolaus Conrats, Untertan des letzten Trierer Kurfürsten

Zu Lebzeiten unseres Chronisten gehören die Orte Dankerath, Senscheid und Trierscheid zur kurtrierischen Zentenei Nohn, einem der sechs Gerichtsbezirke im Amte Daun. Die Steuerlisten weisen Nohn als eines der größten Dörfer dieses Amtes aus, nach den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges werden jedoch nur mehr 25 bewohnte Häuser angegeben, der Amtssitz Daun ist gar auf 20 zurückgesunken (1654). Die vier Orte zusammen zählen, wenige Jahre vor Conrats Geburt, 108 Familien und 402 Kommunikanten. (Leider sind, seit der Gebietsreform von 1970, die drei Filialorte vom Pfarrort Nohn durch die Kreisgrenze Ahrweiler/Daun getrennt, die Bindungen dennoch eng.) Conrats tagebuchartige Berichte beschränken sich nicht auf Geschehnisse diesseits oder jenseits heutiger beziehungsweise damaliger Grenzen. Von 1771 bis 1798 sind uns seine Aufzeichnungen überliefert, handeln also zur Zeit der Regentschaft des letzten »aufgeklärten« Trierer Landesherrn Clemens Wenzeslaus (1768-1803). Sie geben ein recht anschauliches Bild vom Alltag jener Zeit. Conrats ist in den Wintermonaten Wanderlehrer auf den Filialorten. Sein "Lehramt» ist kein Vollzeitjob, daher führt er Buch über Schulgelder. Pro Kind und Monat werden 6 Albus angerechnet. Wird ein Vater säumig, ist er nicht penibel: »Weil sie noch so klein sind,  2 Albus nachgelassen." Sein Nohner Kollege, als Schulmeister und Küster, ist mit einem phänomenalen Jahresgehalt von 71 Talern ausgestattet3; und kann in einem, bereits 1675 eigens erbauten, Schulhaus unterrichten. Im Amte Daun (vgl. A. Mayer, Die Volksschule im Umbruch, HJB 1983) und darüber hinaus ein außergewöhnlicher Umstand, ganz im Sinne des Kurfürsten.

Vom Dasein am »Vorabend« der Französischen Revolution

Conrats Annalen sind häufig mit kassenbuchartigen Eintragungen angefüllt. Er notiert Teuerungen von Lebensmittel- und Futterpreisen, verzeichnet Mühlenpacht sowie Fracht- und Fuhrlöhne. Beispielsweise werden zur Verpflegung kaiserlicher Truppen pro Pferd und Tag 3 Taler, manchem 2 Cronentaler, ausgezahlt. Dem Dorseler Gerichtsschöffen borgt er zwei Fass Korn für 2 Taler, 12 Albus. Nach Senscheid verkauft er ein Fass Erbsen: »7 Taler 6 Albus. Zu S. Martini selbigen Jahrs zu zahlen.« Die Maße waren uneinheitlich, das Getreidemaß zu Nohn betrug je Malter (244,8491) 12 Fass, 1 Fass somit fast 20 1/2 l (vgl. HJB 1995). 1776 läßt die Gemeinde Kohlen brennen, 73 Wagenladungen ergeben einen Erlös von 591 Talern, 4 Albus. Als einflussreicher Bürger verordnet er gar Frondienste für Pferde. Abwechslung bringen die Markttage, Conrats läßt uns auf verschiedenen heimischen Märkten über die Schulter schauen. Wir sehen ihn in Hillesheim einen sechszähnigen Ochsen verkaufen (7 Tlr. 38 Alb.}, in Uess auf dem Luzienmarkt frieren, oder an einem verregneten Märztag Anno 1791 über den "sehr dreckigen« Adenauer Markt daher stapfen. Im Gemeindewald, der erst 1777 endgültig unter den vier Orten aufgeteilt wird, geht's drunter und drüber. 1784, so hat es der Nohner Schultheiß Joes Schmitz im »geding-protocoll« festgehalten, erhält unser Wanderlehrer ein »Knöllchen« über 6 Albus, wegen unerlaubtem Holzeinschlag im Distrikt »Ameisen«. Ob er dies absichtlich seiner Chronik nicht anvertraute, oder sein Widerspruch Erfolg hatte? 1789 beklagt er sich über ein Haushaltsloch in der Trierscheider Gemeindekasse, wegen unordentlicher Forstwirtschaft. Die Gemeinde ist

Der heilige Rochus (* um 1295 f 1327), Figur auf dem Hochaltar der Nohner Pfarrkirche. Diese Darstellung aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigt den Heiligen in der zeitgenössischen Bekleidung, wie sie wohl noch zu Conrats Lebzeiten für die einfache Landbevölkerung üblich war. So konnten sich die Leidenden besser mit dem schmerzgeplagten Heiligen identifizieren. Gott sendet seinen Beistand in Gestalt eines - heutigen Schönheitsidealen kaum entsprechenden - Engelchens, das die Pestbeulen mit einem Tuch zu lindern scheint.

»aufrührerisch«. Gelder, etwa für den Verkauf einer 15 Taler teuren Eiche, fehlen. Der Schultheiß muss eine Untersuchung durchführen und für Trierscheid »ein neues Register zur Erhebung der Gemeindegelder« anlegen. Überhaupt gestaltete sich die Teilung des Waldes recht schwierig, es kommt zum Streit zwischen Trierscheid und den Dörfern Dankerath und Senscheid.

In diesem Zusammenhang erscheint Conrats am 11. März 1777 und am 7. Juli 1778 auf dem Amt in Daun. Er gehört zu den »Trierscheider gemeinds Deputierten«, die dem Amtskellner erklären, »dass es ihnen nicht länger dienlich sey in der gemeinschaft mit en beklagten (Dankerath u. Senscheid) zu bestehen«. Interessant ist auch die Schreibweise seines Namens; Amtskellner Bolen hält, in seiner schönen Handschrift, Nicolas Conrads fest, des Nohner Schultheisen Kiel kratz Nicolas Conraths aufs Papier, im Nohner Taufbuch6 tritt er, als Vater, Nicolaus Conraths auf, er selbst notiert Conrats und die Hand des ersten Pfarrers Hahn protokolliert schließlich, »Nicolaus Conerath« im Sterberegister.7 Selbst die Herkunft seines Federkiels hat unser Chronist überliefert: »Dieses Jahr 1783 haben wir Vögel auf der A(h)rbach geschossen (!), sind schwer gewesen 18 Pfund. Dieses Ist mit selbigem Vogels Feder geschrieben. Und es gab mächtig schöne Schreibfedern davon.« Neben diesen Alltagsszenen weiß er aber auch Schauriges zu berichten: am 4. Januar 1788 wird ein Mann zwischen Walsdorf und Rockeskyll erschlagen. Unter dem 12. Juli Anno 1789 erzählt er detailliert von einem Mord an einer alten Frau auf Schmidt bei Hämmerath (?). Beunruhigt und entsetzt ist er auch durch die Meldungen von der Französischen Revolution und den anschließenden Kriegsereignissen, wie wir noch sehen werden.

Vom kirchlichen Leben

Das Leben unserer Vorfahren war stark geprägt vom Kirchenjahr, religiösen Bräuchen und kirchlichen Ereignissen. Unser Chronist ist zu- gegen, als am 3. Mai 1780 der erste Stein zur neuen Nohner Kirche gelegt wird. Im Widerspruch zu Aussagen, die Kirche sei baufällig gewesen8, erwähnt er: »Die alte Kirche hat sich beim Abbrechen ohne Fehler befunden.« Hauptinitiator des Neubaues war Prior Wachendorf vom nahen Prämonstratenser-Kloster Niederehe. Er begünstige die Nohner Lösungsbestrebungen von der Pfarrei Üxheim und führte die Verhandlungen mit den kostentragenden Zehntherren. Es dürfte daher ein Schachzug des Priors gewesen sein, durch den Architekten Bruder Nick vom Kloster Steinfeld Baufälligkeit vorzuschieben. So war der Weg zum Bau einer neuen, großen Pfarrkirche frei. Conrats ist gut über Baukosten und Baumaterialien unterrichtet. Mühsam bezieht man 600 Fuder Kalk aus Büdesheim. Die erste Messe in der neuen Kirche feiert am 20. Juli 1783 «Johannes Dreimüllers (!) Sohn Anton". Dieser war von 1783 bis 1794 Seelsorger seines Heimatdorfes. Auch untergegangene Bräuche werden erwähnt, so im Mai 1791: "Wir haben in unserer Pfarrkirche schöne Maibäume aufgestellt und das 14stündige Gebet mit einer schönen Andacht gehalten." Am 31. Oktober 1791 Wsf unser Herr Pastor Leonardas Koller zu Üxheim entschlafen und war Freipastor zu Nohn. Diese zwei Pfarreien haben die Zeit seines Lebens in steter Ruhe (und) Frieden zugebracht und jeder Pfarrgenosse hat seinen Tod beweinet.« Anscheinend waren die Zeiten des »passiven Widerstandes« gegen den Üxheimer Pfarrer Georgy (1689-1710) einigermaßen überwunden, obwohl noch 1791 ein Dekret des Dauner Amtes erging, sich den Anordnungen des Üxheimer Pfarrers zu fügen.

Bei der Einführung des neuen Pastors am 11. Januar 1792 dürfen sich die Junggesellen freuen: Wsf der Herr Pastor Ridt (Ruth) eingesetzt worden mit großem Prunk und Herrlichkeit. Die Junggesellen zu Nohn und Üxheim haben ihn empfangen. Und alle haben 12 Cronentaler bekommen.« Seitenweise berichtet unser Zeitzeuge über Taufen, Hochzeiten und Sterbefälle.

Vom (Un-)Wetter

Für die damaligen Menschen unserer Dörfer hing das Überleben von guten Ernten ab, so ist es nicht verwunderlich, dass der Landwirt akribisch alle Wetterveränderungen festhält. Wie ein roter Faden ziehen sich seine Wetterberichte durch alle Jahre. Eine frühe Notiz von 1771: "den 3. bis 6. August ist es also kalt gewesen, dass man hat die Hände zusammengeschlagen, um sich zu erwärmen. Und ist allen Menschen ein Wunder gewesen.« Hochwasser meldet er 1775, 1783 und 1795. Das »Land unter., am 22. und 23. 6.1788 scheint besonders verheerend gewesen zu sein: "Auf Nohner Bach, an der Schafbrücke, ist ein Fuhrmann von Bodenbach verunglückt. Das Wasser hat ihm die Karre umgeschlagen, und das Pferd ist ersoffen auf der Stelle. Zu Müllenbach ist selbig Dato eine Magd im Wasser ertrunken." Auch verzeichnet er kalte oder schneereiche Winter: am 19. u. 20. April 1772 liegt der Schnee so hoch, "dass ein herzhafter Mann sich gefürchtet hat, denselben zu überreisen." Ende März 1782 ist es noch so kalt, dass »viele junge Kälber und Lämmer wie auch Schaf damiedergerissen" wurden. Durch den langanhaltenden Winter ziehen 1782 auch die Futterpreise an. 1788 erfrieren ihm die »Grundbimen« im Keller. Keine Mühle konnte gehen und »auf dem Ößer Markt (in Uess wurde bis 1912 Luzienmarkt gehalten) sind ein Pferd und zwei Schweine vor Kälte krepiert, was ich selbst gesehen habe.« Aber auch Angenehmes weiß er zu berichten, so sei der Mai 1791 sehr warm gewesen, dass die Alten sich gewundert hätten, und 1796 stellt er zufrieden fest: «Man kann wahrlig sagen, dass es die 1748er Jahre übertraf. Denn dieses Jahr  1796 ist sehr reich an Körnern, und der Hafer mit aller Sommerluft ist vollkommen geraten."

Die Pestilenz

Machtlos standen unsere Vorfahren den Seuchen gegenüber. Von Oktober bis Dezember 1777 wütete eine Seuche in Trierscheid und hat 250 Stück Hornvieh an die Erde gerissen:«... ist so stark, dass kein natürlich Mittel zu Hilfe dienen kann. Und sie wird von allen, die Verstand haben, als eine Pestilenz gehalten. (...) Und es kann nicht anders gesagt werden, das Nachlassen sei geschehen durch Anrufen des Heiligen Gottes.« Aus Dankbarkeit geloben die Trierscheider »11 Jahre nacheinander mit der Prozession nach Eberhard-Klausen zu gehen«. 1796 ängstigt er sich wieder: "den 20. Juni hat sich eine Seuche oder Krankheit an dem Hornvieh gefunden in allen Gegenden. In vielen Orten sind ganze Herden krepiert. In unserer Gegend ist gottlob an obigem Datum keine Krankheit einkommen. Viele Bittgänge und viele hl. Messen sind gelesen worden, um Gott zu besänftigen und dieses Übel von uns abzunehmen und von aller Gegend." Noch heute erinnert die schöne barocke Darstellung des hl. Rochus (des Pestheiligen) in der Nohner Pfarrkirche an die häufig grassierenden Seuchen und die Angst vor der Pest.

Die Revolution bricht aus

Nicht genug mit Tierseuchen und Unwettern, nun brechen auch noch unruhige Zeiten an. Rebellen nennt Conrats die Revolutionäre in Frankreich. Er sympathisiert nicht mit ihnen, vielmehr hält er es mit der alten Ordnung. Man gewinnt den Eindruck, dass die hiesige Bevölkerung mit der Regentschaft der letzten Trierer Kurfürsten recht zufrieden war. Es galt die »Polizey Ordnung der Zenteney Nohn«10 von 1753 des Franz Georg von Schönborn, und obwohl sich darin »Ihro Churfürstlichen Gnaden« ausdrücklich vorbehielt, diese nach »gnädigstem gut befinden zu mehren und zu mindern, darin nach Wohlgefallen (heute würde man wohl Willkür sagen) zu dispensieren, oder Sie gar aufheben ...«, machte man keine Anstalten, diesem »Gottesgnadentum" der letzten absoluten Fürsten, den Garaus zu machen. Hören wir, welche Nachrichten des Weltgeschehens in unsere Heimat drangen: »Im Jahre 1789 sind viele Unstimmigkeiten entstanden zwischen den Fürsten und Aufständigen wie folgt: Der König von Frankreich (Ludwig XVI.) mit der Stadt Paris. Daselbst sind viele Mordtaten geschehen, die ich nicht alle beschreiben kann. Der Herzog von Aremberg ist mit dem Kaiser und seiner Schwester sehr zerfallen (gemeint sind cffg Truppen), welche in Brabant sind, daß der Herzog sich geflüchtet hat, und ganz Brabant ist aufrührisch geworden. (...) Der König von Preußen sollte die Brabanter züchtigen. Und viel» sind abgezogen im September. Der Kurfürst (Clemens Wenzeslaus) von Trier ist mit der Stadt Trier in Streit, der Fürst von Köln mit der Stadt Bonn und Köln, und er hat die Pforten besetzt mit den Husaren und hat nichts in die Stadt gehen lassen von Lebensrnitteln.« Die Nachricht vom Tod des »römischen" Kaisers Josef II., Sohn Maria Theresias, datiert er auf den 15. Februar 1790 und ist damit seiner Zeit voraus, da der Habsburger Monarch erst fünf Tage später stirbt. Wien ist weit entfernt und die Nachrichtenübermittlung vage. Nachtrag: Im Ausbruch der Revolution sieht er die Bestätigung der hl. Schrift (Nr. 10 u. 24): die Ankündigung des Weltendes.

Von den Schrecken des Krieges

1792 erklärt der französische König Österreich den Krieg und unser Chronist meldet Truppenbewegungen der kaiserlichen Einheiten unter Generalfeldmarschall Bruder (?), von Brüssel nach »Lützenburg«. Im Sommer lagern die Preußen auf der Hatzenporter Heide und ziehen weiter nach Paris, »Der Preuße ist mit seiner Armee in Frankreich eingezogen bis auf acht Stunden nächst Paris. Da ist er aber zurückgeschlagen worden, und die Kaiserlichen sind ihm zu Hilfe gekommen, sonst hafte er keinen Mann mehr. Und er ist damals abgezogen mit aller Eile bis Koblenz und dieselbige Gegend. Den Winter hat er wieder in Frankreich gelegen, und er hat seine Völker, die nicht gut marschieren konnten, auf den Straßen liegen lassen wie das Vieh. Und die meisten hatten keine Schuhe und Strümpfe an und waren erbärmlich anzusehen." Die Ereignisse überschlagen sich: "Anno 1793, den 20. Januar ist der König von Frankreich geköpft worden, so ist die Nachricht.« Tatsächlich durfte Ludwig XVI. seinen Kopf noch einen Tag länger behalten, das Fallbeil fiel am 21. um 10 Uhr früh. Die kaiserlichen Soldaten ziehen am 12. und 13. März in die spanischen Niederlande (das heutige Belgien). »Es ;st eine große Blutvergießung entstanden zwischen den Kaiserlichen und den Franzosen.« Hoffnung scheint er in den Prinzen von »Kuhburg« (Coburg!) zu setzen: «Der Kaiser hat ihm alle Gewalt erteilt, zu schlagen, wenn's gefällt, und er hat viele Manntaten ausgeübt. Die Franzosen haben mit 1000 Mann Toten auf der Erde gelegen. Im April hatten wir Zeitung (Nachricht), dass das spanische Niederland und ganz Flandern von Franzosen gereinigt sind. Und die zwei Armeen, die Franzosen und die Kaiserlichen, zögen der Maas entlang.« Es folgt ein Gerücht: »Den 19. April haben wir wieder Zeitung erhalten, dass die königliche Familie, alle sollen umgebracht worden sein." Die tapfere Königin Marie Antoinette starb »erst« am Morgen des 19. Oktobers unter der Guillotine. - Bald kommt der Krieg in die Heimat: "Peter Ratemacher von Barweiler hat sich geirret und Ist von seiner T(o)ur gekommen und hat sich geschützt des Nachts hinter einer Gartenmauer. Als der Tag ist angebrochen, da hat er zu Tritlingen (Drillinge^Gewehre oder Drilliche-Uniformen 7) gestanden und hat nichts gesehen als tote Franzosen, auch viele Kaiserliche, doch aber viel mehr Franzosen. Und er sagte; er hätte nicht gewusst, wie er aus den Toten kommen sollte und den Kugeln, 3/4 über eine Stunde dauerte es, bis er aus den Gewehr und Toten war. Ein Soldat hat ihm weitergeholfen, dass er wieder auf den rechten Weg gekommen ist. Und 1 1/2 Tag nach der T(o)ur ist er wieder heimgekommen." Am 3. August 1794 befiehlt der Zehntherr, dass jeden Tag vier Mann (aus Trierscheid) auf Fronarbeit im Senscheider Wald zu schicken seien. «Da haben die Preußen eine Schanze gemacht und ist zu Senscheid im Gange. Haben Bäume umgehauen und viel Schaden gemacht." Diese Verteidigungsanlage soll auf dem »alten Burg Berg« gewesen sein, vielleicht nutzten die Preußen Reste einer alten Wehranlage auf diesem Berg zwischen Mohn und Senscheid. Die Franzosen rücken näher, Conrats meldet eine Schlacht bei Trier, bei der die Preußen »viel Volck verloren«. - Jetzt geht auch hier die Angst um, die arme Landmiliz steht auf verlorenem Posten und ist nicht zu beneiden: »unsere Landmiliz ist am 14. August desertiert von seinem Posten. Dann sind sie nach Daun gegangen und haben ihre Gewehre in das Pfarrhaus gesetzt und (sind) nach Haus gegangen. Obige Miliz hat den 19. wieder, unter Verfall ihres Vermögens, ins Hauptquartier zu Kaisersesch erscheinen müssen...«. Doch alle Schanzarbeit war vergebens, lakonisch und resigniert muß er feststellen: »die Franzosen haben die Kaiserlichen doch daraus vertrieben." Conrats Angaben decken sich mit einem Bericht aus Kelberg, wonach im Oktober 1794 ein französisches Corps hier lagert und »manche Plünderungen und Räubereyen ausführte«.

Von Repressalien und Tumulten

Als die Kämpfe vorüber sind, geht's den armen Leuten ans »Eingemachte«. Im März 1795 "haben alle Ämter den Franzosen müssen Pferde liefern.« Die Untertanen - im Ausland - der Grafschaft Kerpen "haben allen Hausrat nach Kerben (=Kerpen) liefern müssen: Töpfe, Kesseln, Kupfer, Zinn und Bettlaken." Anfang April «haben die Franzosen angefangen, selbst zu fordern, haben an keine Obrigkeit mehr geschrieben. Dann sind sie selbst auf die Ortschaftengeritten. (...) Was selbige gefordert haben, das hat müssen gegeben werden. So aber nicht, dann haben sie Gewalt gebraucht. (...) Sie haben mir selbst 10 Fass Hafer geholt.« Es verwundert nicht, dass Empörung und Wut der geschröpften Menschen eskalieren, so kommt es auf dem Kerpener Markt, am 17. Mai Anno 1795, zum Eklat. An diesem Tag herrscht reges Treiben auf dem Kram- und Viehmarkt des Burgfleckens, unser fast siebzigjähriger Chronist mittendrin. Da entsteht Aufruhr. Conrats hat es seinem Tagebuch anvertraut: "Da ist ein großer Tumult entstanden zwischen einem Franzosen und einem Krämer von Prüm, folgender Gestalt: Der Franzose hat gekauft 3 bis 4 seidene Halstücher, und der Krämer hat klingende Münze ausbehalten. Als es aber ans Zahlen kam, hat der Franzose Papiergeld" gezogen und zahlte, da ging der Handel an. Der Franzosen waren viele da. Sechzig Zeugen sahen zu. Da haben die Leute auf den Franzosen geschlagen und mit Steinen geworfen, und der ganze Markt ist aufgebrochen. Die Krämer haben ihre Waren eingepackt, die Stände abgebrochen. Alles Vieh wurde abgetrieben bis auf die Schweine; das war ein Tumult. Die meisten Leute waren der Meinung, die Franzosen wollten das Vieh wegnehmen. Denn der Streit war unweit der Pferde. Und ein starker und herzhafter Mann ist nachgegangen und hat die Franzosen erstaunlich zerschlagen. Da hieb ein Franzose dem Menschen den Daumen und den Finger bei dem Daumen ab. Der Auflauf war so groß, dass ich es selber nicht beschreiben kann." Der 20. April 1796 ist ein schwarzer Tag für Nicolaus Conrats, die Franzosen requirieren ihm auf dem Speicher 16 Fass Hafer »auf Geheiß des Bürgermeisters Johannes Schwirtzheim. Johann Eich war sein Sackträger.« Ganz bewusst hält er für uns heutige Leser fest: »Die Nachwelt oder meine Nachfahren sollen noch daran gedenken, wenn sie selber dieses finden oder lesen, wie sich mich verraten haben und mir meine Nahrung geholt, oder will sagen gestohlen haben. Denn der Verräter ist so gut wie der Stehler." Seine letzten erhaltenen Zeilen sind sehr geprägt von Ohnmacht und Verbitterung über die Willkür der Besatzer. Vor nunmehr zweihundert Jahren, am 6. Juni 1798, schließen die Franzosen die Nohner Kirche und verbieten, diese zu betreten. Fassungslos trägt er das Verbot der Fronleichnamsprozession in seine Annalen ein, und vermerkt eine besonders inhumane Anordnung: "... wenn einer gestorben ist, dann haben die Leute den Verstorbenen selber begraben. Keiner hat dürfen mitgehen, nur allein die zwei Mann, die ihn begraben haben (!). Keine Glocken sind geläutet worden, alles ist still geschehen.« Still wird es auch um unseren Chronisten. Als Witwer stirbt Nicolaus Conrats am 2. November 1803 im Alter von fünfundsiebzig Jahren. Aber er hat uns einen bemerkenswerten Einblick in das Leben und die Mentalität unserer Vorfahren hinterlassen, die keinesfalls einfältige Analphabeten waren, sondern aufmerksam das Geschehen der Welt verfolgten und ihr Dasein im Vertrauen auf Gott annahmen. 1777 wurde der Gemeindewald der Orte Nohn, Dankerath, Senscheid und Trierscheid untereinander aufgeteilt. In der Folge kam es zu Streitigkeiten zwischen der Gemeinde Trierscheid einerseits und den Gemeinden Dankerath und Senscheid andererseits. In diesem Zusammenhang erscheint Nikolaus Conrats (der Amtsschreiber schreibt: Nicolas Conrads, der Schultheis: Conraths) als Gemeindedeputierter am 11. März 1777 und am 7. Juli 1778 im Dauner Amtshaus, wie der »Extractus Dauner Amts Protocolli« in den Teilungsakten belegt. Trotzdem scheint der neue Grenzverlauf unklar gewesen zu sein, wenn wir Conrats nicht Vorsatz unterstellen wollen. Die Bestrafung erfolgte gemäß § 25 der »Polizey Ordnung derZenteney Nohn«: »weilen mehrmalen Klagen gewesen, dass es in denen Gemeinden Waldungen sehr unordentlich hergehe, als solle derjenige so etwas schädliches und verbotenes abhauet, nach der Forstordnung, wobey er sein verbleiben hat, bestraft werden.« Widerspruch konnte eingelegt werden s. o.

Ausschnitt aus LHA Ko. Abt. 1 C Nr. 3038 Ein »Knöllchen« für unseren Chronisten, ausgestellt vom Nohner Schultheisen, wegen »hauen auf den ahmeissen« (Ameisen!). Dieser Ausschnitt aus dem Gedingprotokoll lautet: 1784 ist Nicolas Conraths auff obiger platz deß-gleichen bestraft worden 6 alb (albus=Silber-münze) welche aber der schoffen (Schöffe) Backes widersprochen hat extract (Auszug) Nohner geding protocoll Nohn den 23 ten Jol 1785 Joes (Johannes) Schmitz Schultheiß

Quellen/Anmerkungen

Mein Dank gilt Herrn Hermann-Josef Fabritius aus Trierscheid, der die handschriftliche Kopie der Chronik zur Verfügung stellte. Sie trägt den Titel: »Aus der Chronik des Wanderlehrers Nikolaus Conrat's aus Trierscheid«, Abschrift von »Hilfslehrer Ernst Wölbert im Februar 1936«.

1 Matthias Reuter, Beiträge zur Geschichte der Hocheifel, Wimbach 1978, Landeshauptarchiv Koblenz (LHA Ko.) Abt. 1 C Nr. 3013

3 K. L. Kaufmann, Aus Geschichte und Kultur der Eifel, 1926, Nachdruck Aachen 1991, vgl. S. 64

4 P. Schug, Geschichte der zum ehemaligen kölnischen Eifelgaudekanat gehörenden Pfarreien der Dekanate Adenau, Daun, Gerol-stein, Hillesheim und Kelberg, Trier 1956

5 LHA. Ko. Abt. 1 C Nr. 3038, Teilungsakte Zentenei-Waldungen Nohn (ab 1760), Zum Holzwert, bes. auch zum knappen Eichenholzbestand, vgl.: Christiane Hicking, die Adenauer Holzverordnungen und der Bau von Fachwerkhäusern im 17. und 18. Jahrhundert, HJB Kr. Ahrweiler, 1993,5. 195-198

6 + 7 Diözesanarchiv (D. A.) Trier, Kirchenbuch Nohn 1, Taufen 1663-1795 Sterbefälle 1801-1935

8 De Lorenzi, Beiträge zur Geschichte der Pfarreien der Diözese Trier, Trier 1886, Clemen, Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Düsseldorf 1938, Kr. Ahrweiler, S. 448, »Baufälligkeit« wird auch übernommen in: Matthias Thömmes, HJB Daun, 1995, S. 226

9 M. Reuter, a. a. O., S. 30, 31

10 »Arbeitskreis Heimatgeschichte« der Stadt Daun, Polizey Ordnung der Zenteney Nohn, Ehrenbreitstein 1753, Abdruck in Vulkaneifel Nord, 1981

11 Hans Kleinpass, Sinzig in den Jahren 1794 bis 1819, HJB Kr. Ahrweiler 1993, Zum Papiergeld der franz. Besatzungssoldaten erwähnt er: »Jeder Soldat war reichlich mit dem neuen französischen Papiergeld, den sogenannten »Assignaten« versehen. Wem hier sein Leben lieb war, der machte keinen Unterschied zur klingenden Münze und nahm das wertlose Papiergeld als gleichwertig hin.«