Kometen über der Eifel

Prof. Wilhelm Seggewiß, Daun

Kometenforschung in der Eifel

Das Kometenfieber grassierte im Frühjahr 1997 auch in der Eifel. Fasziniert schauten groß und klein in den abendlichen Nordwesthimmel, wann immer der Wolkenvorhang sich hob, um den Kometen Hale-Bopp zu bestaunen. Selbst die Alten erinnerten sich nicht, Zeit ihres Lebens je solch eine prächtige Kometenerscheinung gesehen zu haben. Ein wahrhafter Jahrhundertkomet!

Die Eifel war aber auch das Land, in dem Wissenschaftler den Kometen beobachteten und erforschten. In der Nordeifel bei Effelsberg steht das Radioteleskop des Max-Planck-lnstituts für Radioastronomie, Bonn. Mit diesem Riesenspiegel von 100 m Durchmesser entdeckten die Bonner Forscher Radiostrahlung von Ammoniak in der Koma des Kometen. Nur 40 km weiter südlich, auf dem Hohen List bei Schalkenmehren im Kreis Daun liegt die Sternwarte der Universität Bonn. Hier wurde Hale-Bopp im sichtbaren Bereich des Spektrums, also im unseren Augen vertrauten Licht beobachtet. - Die erste Sternwarte der Universität wurde in den Jahren 1839-1845 am Stadtrand Bonns erbaut, aber im Laufe der Zeit immer stärker von der rasch wachsenden Stadt eingeschlossen. Durch den Dunst der Abgase und die »Lichtverschmutzung" der Beleuchtung wurden die astronomischen Beobachtungsmöglichkeiten schließlich zu stark beeinträchtigt, so dass man sich nach dem II. Weltkrieg endgültig entschloss, außerhalb Bonns eine große Außenstation zu bauen. Die Wahl fiel nach sorgfältiger Prüfung durch den damaligen Assistenten und späteren Direktor Prof. Hans Schmidt auf den 551 m hohen Schlackenkegel »Hoher List« oberhalb des Schalkenmehrener Maares. Zwischen 1952 und 1954 wurde das Hauptgebäude mit drei Kuppeln errichtet, 1964/65 wurde die Anlage wesentlich erweitert. Heute verfügt das Observatorium in sechs Kuppeln über ganz verschiedene Teleskope, die für unterschiedliche wissenschaftliche Aufgaben eingesetzt werden. Die Erforschung von Sternen, Sternhaufen und neuerdings auch von Galaxien bildet das Hauptarbeitsgebiet der Astronomen auf dem Hohen List. Aber das Faszinosum der Kometen hat auch immer wieder den Hohen List erfasst; einfach nur schauen und staunen, dann die Erscheinung festhalten auf Film oder im Rechner, schließlich sich beteiligen an den internationalen Kampagnen zur Erforschung des vielfältigen und immer noch nicht ausgeloteten Phänomens "Komet«.

Höhepunkte am Kometenhimmel über der Eifel waren

• der Gegenschweif-Komet Arend-Roland des Jahres 1957 (Abb. 1),

• die von der Öffentlichkeit kaum beachteten, aber dennoch hellen Kometen Ikeya-Seki, Bennet und West (1965-1970-1976),

•der berühmteHalleysche Komet 1986, •der Überraschungskomet Hyakutake 1996 (Abb. 2) und

• Jahrhundertkomet Hale-Bopp 1997 (Abb. 3).

Die Natur der Kometen

Was sind eigentlich Kometen? Diese Frage wird immer wieder von den Besuchern des Observatoriums gestellt. Ja, eigentlich, im »Kern" sind Kometen sehr bescheidene Himmelskörper. Ihr Durchmesser beträgt etwa 10 bis 20 km. Sie gleichen schmutzigen Schneebällen, zusammengesetzt aus Wassereis mit Einschlüssen von Gasen, wie Methan, Kohlenmonoxid oder Ammoniak, und aus Staub, der im wesentlichen aus Silikaten, vergleichbar dem Sand der Meeresstrände, besteht.

Im Jahre 1705 hat der englische Astronom Edmond Halley erkannt, dass die Kometen mit den kleinen und großen Planeten zum Sonnensystem gehören. Aber im Unterschied zu den Planeten bewegen sich die Kometen auf sehr, sehr langgestreckten, elliptischen Bahnen um die Sonne. Planeten bevorzugen nahezu kreisförmige enge Bahnen. Zumeist halten sich die Kometen fern von der Sonne auf und sind für uns gar nicht zu entdecken. Ihre Bahnen führen sie

Abb. 1. Der Komet Arend-Roland 1957. Aufnahme Obs. Hoher List, 25. April 1957, K.W. Schrick. Während der 30minütigen Aufnahme wurde das Teleskop der Bewegung des Kometen nachgeführt, so dass die Sterne als Strichspuren erscheinen, die die relative Bewegung des Kometen zu den Sternen angeben. (Einige dunkle Kratzer und helle Staubflusen auf der Platte ließen sich nicht vermeiden.)

aber immer wieder in das Innere des Sonnensystems und in die Nähe der Sonne. In den letzten Jahren waren es durchschnittlich 20 Kometen, die pro Jahr sich der Sonne näherten, darunter solche, die in kürzeren Perioden (zum Beispiel Komet Encke alle 3,3 Jahre, Komet Halley in 76jährigen Rhythmus) immer wieder sichtbar werden und »neue« Kometen, die auf der Erde zum erstenmal beobachtet werden. Doch selten wird einer so hell, dass er auch mit dem bloßen Auge wahrgenommen werden kann.

In Sonnennähe vollziehen die Kometen einen fulminanten Gestaltswandel: Die zunehmende Sonneneinstrahlung verdampft einen Teil des Eises. Gase und Staub treten aus dem Kern aus und sammeln sich in einer leuchtenden Hülle um den Kern, in der sogenannten »Koma«. Je näher der Komet an die Sonne heraneilt, um so mehr Gas und Staub wird befreit, um so heller leuchtet die Koma. Der Staub reflektiert schlicht das Sonnenlicht, während die Gase von der solaren Strahlung zum Eigenleuchten angeregt werden. Dabei gibt die Wellenlänge der Strahlung eindeutige Hinweise auf die chemische Zusammensetzung der kometaren Materie. Beim Kometen Halley 1986 konnte zum Zeitpunkt seiner geringsten Annäherung an die Sonne eine Koma von 850.000 km Durchmesser (von mehr als 66 Erddurchmessern!) gemessen werden.

Die Sonne heizt aber nicht nur den Kometen auf, sie treibt auch Gas und Staub aus der Koma heraus. Es entstehen die Schweife, die bei allen Kometen, die genügend nahe an die Sonne herankommen, beobachtet werden. Häufig erkennt man zwei Schweife (siehe Abb. 1 und 3), den Staubschweif und den Plasmaschweif. Der Staubschweif erscheint meist diffus, breit

Abb. 2. Der Komet Hyakutake 1996 mit einem Teil seines extrem langen Plasmaschweifes. Aufnahme Obs. Hoher List, 25. März 1996, T. CrednerundJ. Schmoll

und gekrümmt, wie man bei Hale-Bopp mit bloßem Auge beobachten konnte (vgl. Abb. 3). Der Plasmaschweif ist meist stark verwirbelt (vgl. Abb. 2 und 3); er besteht aus Plasma, einer Mischung aus ionisierten Gasmolekülen und Elektronen. Kometenschweife können viele Millionen Kilometer (Mio. km) lang werden. Beim Kometen Hyakutake maß die Schweiflänge mehr als 20 Mio. km, beim hellen Kometen des Jahres 1843, dem sogenannten Tageskometen, sollen es sogar 250 Mio. km gewesen sein.

Die elliptische Bahn führt jeden Kometen auch wieder weg von der Sonne. Mit abnehmender Sonneneinstrahlung verringert sich die Gas- und Staubproduktion, Koma und Schweife werden kleiner und verschwinden schließlich ganz. Zurück bleibt der Kern, allerdings um viele Millionen Tonnen Materie ärmer, denn er hat sie ja mit Hilfe der Sonne weggeblasen. Bis zu einem Prozent ihrer Masse können Kometen bei jeder Annäherung an die Sonne verlieren.

Bedeutende Kometen am Eifelhimmel

In den Jahren 1956 und 1957 konnte am Eifelhimmel die höchst verwunderliche Erscheinung des von den Belgiern Arend und Roland entdeckten Kometen bestaunt werden, zumal er seit dem Januarkometen des Jahres 1910 der nächste wirklich helle Komet war. Er zeigte zwei Schweife, die im April 1957 sogar in genau entgegengesetzte Himmelsrichtungen wiesen (Abb. 1). In jenen Tagen war die Erde durch die Bahnebene des Kometen gelaufen, so dass die beiden Schweife, die eigentlich schräg zur Bildebene nach hinten gebogen sind, scheinbar gegenüber auftreten. Einen Fortschritt in der Kometenbeobachtung brachte die Entwicklung des Fokalreduktors durch Prof. E. H. Geyer, dem Nachfolger von Prof. H. Schmidt in der Leitung des Observatoriums, für das 1m-Teleskop. Denn nun war es möglich, mit verkürzter Brennweite auch Weitwinkelaufnahmen zu machen. In Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-lnstitut für Aeronomie in Lindau/Harz wurden detaillierte Untersuchungen von Plasmaschweifen, ihrer chemischen Zusammensetzung und Bewegungsstruktur, durchgeführt. Besonders die Häufigkeit der Elemente in den Kometen verdient aufmerksame Erforschung. Glaubt man doch, dass die Kometen Überbleibsel aus der Frühzeit der Bildung des Planetensystems vor etwa 4,5 Milliarden Jahren sind und noch die ursprüngliche Elementmischung des Sonnensystems repräsentieren.

Im Jahre 1976 konnte am Hohen List das besondere Schicksal des Kometen West beobachtet werden. Als Prof. Geyer und Dr. Martin Hoffmann am frühen Morgen des 5. März 1976 den Kometen ins Visier nahmen, staunten sie nicht schlecht: Der Kern des Kometen war in zwei Teile zerbrochen. Sie gaben die Kunde sofort an die internationale Astronomengemeinschaft weiter, und bald wurde gemeldet, dass sich die Teile in vier Brocken aufgespalten

Abb. 3. Der Jahrhundertkomet Hale-Bopp 1997 mit breitem Plasma- und verwirbeltem Staubschweif. Aufnahme Obs. Hoher List, 4. April 1997, Bochumer Arbeitsgemeinschaft für Astrofotografie

haben. - Noch spektakulärer freilich war das Zerbrechen des Kometen Shoemaker-Levy 9 in mehr als 20 Bruchstücke, die in der 2. Julihälfte 1994 in den Planeten Jupiter stürzten. Zwanzig Jahre lang, von 1976 bis 1996, gab es keine strahlend hellen Kometen am Eifelhimmel. Dann wurde am 22. Juli 1995 von den amerikanischen Amateurastronomen Alan Haie und Thomas Bopp unabhängig voneinander der nach ihnen benannte Komet entdeckt (offizielle Bezeichnung: C1995 O1). Zu jener Zeit befand sich Hale-Bopp noch weit von der Sonne entfernt, mehr als 1 Milliarde krn, war aber schon beträchtlich hell, so daß man auf einen besonders großen Kern von etwa 40 km Durchmesser und eine große Helligkeit zur Zeit des geringsten Sonnenabstands im April 1997 schließen konnte. Während sich die Astronomen noch auf diesen Termin vorbereiteten, entdeckte der Japaner Yuji Hyakutake Ende Januar 1996 einen Kometen, der ebenfalls sehr hell zu werden versprach - und das schon innerhalb der nächsten zwei Monate. In der Tat, Ende März 1996 imponierte Komet Hyakutake, hoch am Himmel stehend, mit einem besonders hellen und langen Plasmaschweif (Abb. 2). Hyakutakes »Vorteil* war es, dass er in -nur- 15 Mio. km an der Erde vorbeilief. Das war zwar immer noch weiter als die 5 Mio. krn Abstand des Kometen IRAS-Araki-Alcock im Mai 1983 (entsprechend 13mal Mondentfernung) aber doch so nah, dass der kleine Komet uns als ein helles Objekt erscheinen konnte. Im März 1996 drängten sich Presse, Funk und Fernsehen am Hohen List, um von Hyakutake zu berichten, und sie erhielten bereitwillig Auskunft - wie auch ein Jahr später, als Komet Hale-Bopp sich seinem Maximum näherte. Zu Beginn des Jahres 1997 trat dann Komet Hale-Bopp voll ins Licht der Off entlich keil. Ab Mitte März war der Komet auch am Abendhimmel im Nordwesten zu sehen, ja kaum noch zu übersehen, und die Begeisterung sprengte bald alle Grenzen. Am 23. März erreichte Hale-Bopp mit immerhin etwa 200 Mio. km seinen erdnächsten Bahnpunkt. Er lief durch die Sternbilder Eidechse und Andromeda und ging am 1. April 1997 durch das »Perihel«, den sonnennächslen Punkt. Die Nächte Anfang April waren klar und mondlos; dem »unbewaffneten" Auge zeigte der Komet die Koma und den breiten, leicht gekrümmten Staubschweif, mit einem guten Fernglas wurde auch der bläulich schimmernde Plasmaschweif sichtbar (Abb. 3). Die Gesamthelligkeit erreichte die Größenklasse -1, das heißt, der Komet war so hell wie Sirius, der hellste Fixstern. Für die Fachastronomen hatte Komet Hale-Bopp viele Überraschungen zu bieten: Beispielsweise traten Ende 1996 aus dem Kern sieben helle Strahlen hervor, die darauf hindeuteten, dass an sieben Stellen die Kruste des Kometen aufgeplatzt war und dort besonders viel Gas und Staub freigesetzt wurde. Aber im März 1997 änderte sich das Bild völlig: Jetzt trat nur noch an einer aktiven Stelle verstärkt Gas und Staub aus und auch nur dann, wenn diese Stelle zur Sonne zeigte. Dabei drehte sich der Komet in etwa 12 Stunden einmal um eine seiner Achsen, so dass das verdampfte Material in mehreren aufeinanderfolgenden Halbschalen den Kern umgab. In vier aufeinanderfolgenden Nächten konnten am Hohen List mit einer elektronen-optischen Kamera mehr als 250 Aufnahmen gewonnen werden, die eindrucksvoll das wundersame Spiel von Fontänenbildung und Schalenausformung dokumentieren. Etwa 300 to Wasser verdampfte in den Apriltagen pro Sekunde (!) aus der aktiven Fontäne.

Aber auch der schönste Komet entfernt sich wieder von der Sonne, die ihn so herrlich zum Leuchten angeregt hat: Im April und Mai 1997 wurde Hale-Bopp deutlich schwächer. Außerdem wandte er sich dem Südhimmel zu und entzog sich so den Blicken der Eifelbewohner. Aber Hale-Bopp wird wiederkehren. Es gibt jedoch einen Wermutstropfen bei dieser Vorstellung: Der Komet Hale-Bopp hat eine Umlaufszeit von etwa 2600 Jahren!