Kindheitserinnerungen

Martha Roos, Trittscheid

Kartoffelernte

Das Kartoffel ausgrabe n machte uns Kindern riesigen Spaß. Zweimal täglich fuhr Vater mit der Pferdefuhre eine Ladung nach Daun, um seine Stammkunden zu beliefern. Während er unterwegs war, sorgten wir Kinder wieder emsig für Nachschub. Wir spornten uns gegenseitig an, um nur ja wieder viele Säcke in Reih und Glied auf dem abgeernteten Acker stehen zu haben, wenn Vater zu uns zurückkehrte. Wir nahmen uns immer breite »Gange" vor und gruben mit dem Karst querfeldein die abgestorbenen Kartoffelstauden aus den angehäufelten Furchen. Drei von Vaters selbst geflochtenen Weidekörben standen etwa anderthalb Meter weit vor uns, so dass ich meine liebe Not hatte, die Kartoffeln dort hinein zu kriegen. Jeder Korb hatte seine extra Funktion. In den zur linken Seite, wurden die kleinen und zerschlagenen Kartoffeln geworfen. Der mittlere und größte war für die dicken Esskartoffeln zuständig. Der dritte fing die neue Saat auf, also die Setzkartoffeln. Beim Ausschütten der Körbe musste ich den Sack aufhalten. Diese Prozedur lag mir immer schwer auf dem Magen. Das sollte möglichst schnell gehen. O weh, wenn es nicht auf Anhieb klappte, dass ich nicht flink genug zupackte und dadurch der halbe Korb Kartoffeln auf die Erde kullerte, statt in den Sack. Diese musste ich alleine wieder auflesen. Mir schoben sie immer die Schuld in die Schuhe, wenn etwas quer ging und es machte ihnen einen Heidenspaß, mich die Kleinste, zu ärgern und aufzuregen.

Zur Mittagszeit brachte Vater uns das Essen mit aufs Feld. Das schmeckte lecker. Sogar die Bohnensuppe, die mir sonst ein Greuel war, mundete hier im Kartoffelfeld wie eine Delikatesse. Als Nachtisch aßen wir die schwarzgebratenen Kartoffeln aus dem Feuer. Nachmittags gab's meist zum Kaffee frischen, selbstgebackenen Zwetschgenkuchen. Vater wechselte von Jahr zu Jahr den Kartoffelacker, denn es war nicht gut, wenn die Kartoffeln stets im gleichen Feld angepflanzt wurden. Auch achtete er vor allen Dingen darauf, dass der Acker nicht zu nah am Wald lag, damit das Wild nicht allzu viel Schaden anrichten konnte. Besonders die Wildschweine wühlten mit Vorliebe die Felder nach Kartoffeln durch. Unser Acker- und Wiesenland lag ziemlich verstreut ums Dorf herum. Einige sogar zwei, drei Kilometer von unserem Gehöft entfernt, so dass wir einen langen Weg dorthin zurücklegen mussten, bevor wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen konnten. Da war man schon müde, wenn man ankam.

Einmal passierte Vater und mir mit dem vollgeladenen Wagen, auf dem Heimweg vom Feld, ein Mißgeschick. Meine anderen Geschwister waren schon nach Hause und ich sollte die »Kaneck« (Bremse) am Fuhrwagen bedienen. Leider konnte ich mir nie richtig merken, wie die Bremse auf und zu gedreht wurde, ob rechtsherum zu und linksherum auf, oder linksherum zu und rechtsherum auf. Das Gelände und die Anwand von diesem Feld war sehr abschüssig und Vater sagte ausdrücklich, als die Pferde den Wagen anzogen: -Dreh die Kaneck feste zu!« Doch in meiner Dusseligkeil drehte ich auf, statt zu. Es ging im Höllengalopp den Berg hinunter. Die Pferde konnten den Druck des Wagens nicht mehr aufhalten. Sie warfen die Kopfe in die Luft und wieherten ganz erbärmlich in ihrer Not. Geistesgegenwärtig lenkte Vater sie nach rechts in Nachbars Acker. Durch das Herumlenken kippte der Wagen um und die ganze Ladung lag auf der Erde. Zum Glück war das Zaumzeug der Pferde beweglich, so dass sie sich nicht allzu sehr verheddert hatten und mit dem Schrecken davon kamen. Sonst war weiter nichts passiert. Vater war im ersten Moment sprachlos. Ich stand zitternd und weinend neben der traurigen Bescherung. Als er mich so wie ein Häufchen Elend da stehen sah, konnte er nicht mit mir schimpfen, sondern sagte: »Komm, fass an, die Säcke müssen wieder aufgeladen werden!« Flink stellte ich ihm die Säcke zum Anheben parat und im Handumdrehen war der Wagen voll geladen. Nun gab Vater mir die Zügel in die Hand und er selbst blieb vorsichtshalber an der Bremse. Durch diesen Zwischenfall hatten wir uns etwas verspätet. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen und wir wurden zu Hause mit Sorge erwartet. Noch bevor zu Abend gegessen wurde, brachten die Männer die Kartoffeln in den Keller, damit der Wagen für den kommenden Tag gerüstet war. Hundemüde von der frischen Luft und von des Tages Last und Mühen krochen wir dann nach einer gründlichen Waschung zufrieden in unsere Betten.

Angst vorm Gewitter

Im Laufe des Sommers musste ich oft das Vieh hüten, was ich ganz gerne machte, nur wenn ein Gewitter aufzog, oder sich für kurze Zeit eine dunkle Wolke vor die Sonne drängte, geriet ich in Panik. Dann lief ich eilig hinter den Kühen her, trieb sie mit List und Tücke zusammen, indem ich mit dem Mund das Singen oder Brummen einer Hornisse nachmachte, so dass die Kühe vor Schreck die Schwänze in die Luft stellten und fluchtartig auf dem schnellsten Weg querfeldein nach Hause liefen. Vor Bremsen und Hornissen hatten die Tiere panische Angst, genau wie ich vor dem Gewitter. Das kam mir genau so grausam vor, wie ein Fliegerangriff. Als kleines Kind halte ich einmal ein schlimmes Gewitter miterlebt und gesehen, wie ein greller Blitzstrahl in die Kirchturmspitze einschlug, dort eine Schieferplatte löste und diese laut polternd übers Dach herunter auf den Friedhof fiel. Das anschließende fürchterliche Donnern und Grollen ging uns durch Mark und Bein.

Starr zusammengekauert saßen wir Kinder damals mit Oma zu Hause im kleinen Stübchen und beteten den Rosenkranz, damit das Unwetter nichts Schlimmeres anrichten und bald vorüberziehen möge. Diese Furcht halte sich so tief bei mir eingenistet, dass ich bei der geringsten, düsteren Wolkenwand, die sich gelegentlich am Himmel zeigte, vor Schreck und Angst fast verging. Oft war diese Angst unbegründet, und wenn ich dann zu früh mit dem Vieh zu Hause eintraf, schickte Vater mich auf den »Stockdrees«, eine Wiese unterhalb vom Dorf nahe bei den ersten Häusern, wo ich mich etwas geborgener fühlte. Nur, dieser »Stockdrees« besaß auch seine Tücken. Die erste Hälfte der Wiese war durch eine kohlensäurehaltige Quelle, »Drees« genannt, tief in der Erde versumpft. Mitten in diesem Sumpfgebiet befand sich die eigentliche Quelle, ein heimtückisches, mit Binsen zugewachsenes Loch. Es hatte etwa einen Durchmesser von fünfzig Zentimetern und war auch ebenso tief. Man musste höllisch aufpassen, dass die Kühe und Rinder nicht bis zum Bauch darin versanken. Eines unserer Pferde hatte sich einmal zu nahe herangewagt und sackte tatsächlich bis zum Rumpfe ein. Durch mein erbärmliches Rufen und Schreien nahm es alle Kraft zusammen und schleppte sich, auf allen Vieren kriechend, aus dem moorigen Schlamm. Wir Kinder und auch die Erwachsenen tranken gerne aus dieser Quelle. Wenn wir keinen Becher dabei hatten, was meistens der Fall war, nahmen wir einen hohlen Halm und krochen dann bäuchlings zum brubbelnden »Drees«, verscheuchten erst sämtliches Ungeziefer, das sich auf dem Wasser tummelte und tranken dann begierig von dem köstlichen Nass. Danach musste man sich vorsichtig zurückrobben, denn stehenden Fußes wäre man gewiss im Morast eingesackt.

Das Hasenbrot

Vater vergaß uns Kinder nie. Wenn er im Jahr über von der anstrengenden Feldarbeit nach Hause kam, sei es im Frühling, Sommer oder Herbst, immer brachte er uns eine kleine Überraschung mit, so, wie die Jahreszeit es gerade bot. Entweder ein Sträußchen Wilderdbeeren, Himbeeren, Brombeeren oder auch Mohren und Kohlrabi. Am meisten freuten wir uns über die Hasenbrote, die er dann ganz verstohlen aus seiner Jackentasche herauszauberte. Das waren Butterbrote, die er sich vom Munde absparte, wenn er sich und den Pferden während der Arbeit eine Ruhepause gönnte und dabei neue Kraft für den nächsten Ansturm tankte. Er erzählte sehr spannend, welche Mühe es ihn gekostet habe, den Hasen das Brot (Hasenbrot) abzujagen. Diese Brote waren von uns Kindern heiß begehrt. Schon alleine durch die phantasievolle Vorstellung, dass Vater darum gekämpft oder vielleicht einen Wettlauf mit dem Hasen veranstaltet hatte, aßen wir Kinder diese leckeren Happen mit gutem Appetit, wenn auch manchmal der komische herbe Geschmack von Zeitungsdruck, Schmieröl oder Tabak dominierte. Während ich genüsslich den Leckerbissen verdrückte, träumte ich diese schöne Geschichte in Gedanken weiter und schmückte sie in den tollsten Varianten aus, obwohl wir in Wahrheit wussten, was es mit dem Hasenbrot auf sich hatte. Vater steckte, ehe er aufs Feld fuhr, einige Butterbrote in seine Jackentasche. Seine Pferde vergaß er dabei auch nicht. Die bekamen während der Arbeitspausen ihre verdiente Portion Hafer, oder eine dicke, vertrocknete Kruste Brot zum Knabbern, worauf sie besonders gierig waren. Ganz versessen waren sie auf Zuckerklümpchen, die er auch in der Jackentasche mittrug. Diese Tasche beinhaltete viele nützliche Dinge, wie zum Beispiel Pfeife, Tabak, Nägel, ein Stück Draht, Schrauben, Zeitungspapier, Butterbrot, Seil, Zuckersteinchen und noch einiges mehr. Alles wichtige Sachen, die ihm bei der Arbeit auf dem Feld eine Hilfe sein konnten.

Gemütliches Beisammensein

An den langen Winterabenden kamen oft die Freunde meiner Brüder zu uns, und wir saßen dann gemütlich in unserem kleinen Stübchen zusammen, spielten »Schlapp hat den Hut verloren" oder »Ein Jäger ging in den grünen Wald-. Bei diesen Spielen durften wir Mädchen auch mithelfen. Unser Albert spielte leidenschaftlich gern Schach und weil er immer so lange überlegte und ich, während wir spielten, dauernd drängelte, doch endlich seinen nächsten Zug zu tun, und ich das Spiel nicht so wie er, so tierisch ernst nahm, kam ich für ihn als Gegenkandidatin nicht oft in Frage. Ich weiß, es ist ein Geduldsspiel. Mir war es eben zu langweilig und es störte mich überhaupt nicht, wenn ich immer verlor. Aber bei den Brettspielen, Mühle, Dame oder Halma, da war ich immer mit von der Partie und voller Konzentration. Dabei hatten wir einen Riesenspaß. Vater saß dann in einer Ecke des Stübchens, flocht Weidenkörbe oder band Ginsterbesen, manchmal aber auch Birkenbesen. Er musste immer etwas zu tun haben und freute sich, dass wir Kinder uns so lustig und fröhlich die Zeit vertrieben. In dem heimeligen Gussofen prasselte das Feuer und strahlte eine angenehme Wärme in den Raum. Oben auf der Platte brutzelten leckere Bratäpfel. Daneben lagen Ziegelsteine zum Aufladen der Wärme, die wir dann später mit in unsere eiskalten Betten nahmen. Die Schlafzimmer wurden nie geheizt und deshalb waren sie im Winter feucht und kalt. Oft glitzerte es an den mit Kalk getünchten Wänden und die Fenster waren bis obenhin zugefroren. Das Mauerwerk bestand überwiegend aus Natursteinen, »Haßelsteinen«, die sich als richtige Wetterpropheten verhielten. Je nach Wetterlage waren sie feucht und trocken. Wenn Großmutters Gesundheitszustand es zuließ, gesellte sie sich gerne zu uns ins Stübchen mit ihrem Spinnrad. Damit sie sich nicht so sehr anstrengen musste, zupften wir Mädchen ihr die Wolle fein säuberlich zurecht, so dass ihr das Spinnen leicht von der Hand ging und die Spule ruck-zuck voll war.

Im Handumdrehen hatte sie einen Strang Wollgarn gesponnen. Mir übertrug man die Bedienung der Haspel. Auf einer Stange zwischen zwei Stuhllehnen dicht neben dem Ofen hingen die frisch gewaschenen Wollstränge und sobald einer davon trocken war, wurde er zu einem Knäuel aufgewickelt. Irgend jemand aus der Runde musste dann seine Arme für diese anstrengende Arbeit ausbreiten, um den Strang bis zum Ende festzuhalten und acht zugeben, dass sich der Faden nicht verwirrte. Lisbeth hatte jede freie Minute ihren Strickstrumpf in den Fingern und sorgte so für die Weiterverarbeitung der Wolle. Unsere Männer brauchten jede Menge Socken. Auch ich wollte nicht müßig dabei sitzen, sondern versuchte mich in der Spinn- und Strickkunst. Nach einigen Fehlschlägen konnte auch ich meinen Anteil leisten und dazu beitragen. Es machte mir einen Riesenspaß, einen Gebrauchsartikel nach eigener Fantasie selbst herzustellen. Im Stricken entwickelte ich eine beneidenswerte Schnelligkeit, so dass Vater mir des öfteren das Strickzeug mit Gewalt aus der Hand nahm und Ruhe gebot. Am meisten freute ich mich über das gemütliche Beisammensein an den langen Winterabenden. Damals schien mir der Winter viel kälter gewesen zu sein, mit mehr Schnee- und Eisfreuden. Eine schöne, herrliche Zeit, trotz Krieg, Hunger und Not.