Morgen um zwei

Marianne Schönberg, Jünkerath

Seit es die neuen Häuser an der oberen Straße gibt, haben wir neue Nachbarn. So Zaun an Zaun ist das immer ein Abtasten, mag man sich oder nicht, sind's laute oder leise Anwohner, mit Kind, mit Hund, mögen sie den Garten oder mehr die starken Töne aus dem Radio - alles ist drin.

Nun also wieder mal NEUE, an einem Frühsommertag zogen sie ein, Frauen und Männer trugen Möbel, Kartons, Spielzeug - zwei Knaben waren da, ein blonder mit lustigen Sommersprossen, ein dunkelhaariger, leise, schüchtern, der deutschen Sprache nicht mächtig. Die junge Familie kam aus Russland, und später erfuhren wir vom Schwiegervater so »über den Zaun«, welchen Repressalien der ganze Verbund ausgesetzt war. Der Hausvater spricht so gut deutsch, als sei es seine Muttersprache. Seine Frau hat Probleme und deshalb ist sie meist still. Freundlich wirkt sie, hat wunderschöne dunkle Augen. Der Sommer ist da. Oben ums Mehrfamilienhaus sind die Gartenanlagen noch im Urzustand, kein Raum für Kinderspiele, und so kommen die Kleinen von der Straße ab und an auf unsre Wiese, sie bringen die NEUEN mit. Der Ältere, der Blonde, ist zutraulich und wissbegierig, sein Bruder bleibt erst mal am Gartentörchen stehen und beobachtet. Schlimm, wenn man sich nicht verständigen kann. Aber langsam, ganz langsam kommen Worte, Gebärden, alle Kinder spielen miteinander, und wir freuen uns am kunterbunten Völkchen. Dann ein Nachmittag, wieder ist das Kleinzeug hier versammelt, da sagt der Blonde zu uns ... »morgen um zwei hat unsre Mutter Geburtstag-..

Morgen um zwei?

Wir überlegen, da ist doch was zwischen den Zeilen, das uns ganz persönlich gilt. Ob da vielleicht die Gäste kommen und es Trubel gibt? Genau so war's.

Pünktlich um zwei trafen sie ein, Frauen, Männer, Kinder, Türen und Fenster standen offen, ein wunderschöner warmer Tag und die frohen Gespräche hallten über den Berg, es wurde Akkordeon gespielt. Glückwünsche ausgebracht, gesungen ... nein, wir hatten gar keine Mühe mit der ganz anderen Phonstärke aus der Nachbarschaft, wir freuten uns herzlich mit. Zwischendurch kam der Vater an den Zaun, meinte entschuldigend, wenn Geburtstag gefeiert wird, wird eben auch getrunken und dann gesungen ... ist das schlimm? Es ist schön, wunderschön. Am Abend - die ersten Fledermäuse zogen durch die Kirschbäume am Haus - zum Glockenschlag zehn gingen alle Lampen aus, die Gäste verabschiedeten sich, es wurde so still wie immer um diese Zeit an der oberen, der unteren Straße.

In den langen grauen Winterwochen blieb's einsam in unserm Garten, nur die Lichter in der Wohnung der Neuen signalisierten ihr DA-Sein. Heute nun ein erster Frühlingstag. Die junge Frau hängt Wäsche auf den Ständer an der Terrasse und ich winke ihr, sie gibt den Gruß zurück, herzlich und lange. Das hat mich froh gemacht. Mein Tag bekam spontan einen Silberstreifen, die Gedanken zogen voraus, und wenn wieder MORGEN UM ZWEI angesagt ist, geh' ich hin, gratuliere zum Geburtstag. Versprochen.