Unser Wald

Heinz Hürth, Auel

Unser Wissen aus Büchern, Fernsehen und Tageszeitungen wächst ständig, aber nur noch Bruchteile werden davon verstanden. Bei all dem vielen Wissen, das fast täglich neu auf uns einströmt, haben wir die Fähigkeit verloren, uns eigene Gedanken zu machen, oder diese weiterzugeben. Wir müssen wieder lernen, unseren Kindern und Enkeln die Erfahrungen zu erzählen, so wie unsere Eltern und Großeltern uns die Natur mit Pflanzen und Tieren mit Wasser und Wind überlieferten. Genaue Beschreibung unseres Waldes, genaues Wissen um die darin ablaufenden Lebensgrundlagen und Wechselwirkungen sind Voraussetzung und Grundlage für unser Verstehen. Vogelgesang und die prächtigen Farben vieler Tier- und Pflanzenarten, die nur hier leben und gedeihen, erfreuen Auge und Ohr, sind Balsam für gestresste Menschen. Um den Wald mit all seinen Gerüchen, der sprichwörtlich guten Waldluft genießen zu können, sind alle Sinne gefragt. Zwischen Wald und Mensch bestand seit allen Zeiten eine sehr enge Beziehung. Der Wald war Zufluchtsort, Rohstofflieferant, aber auch ein Ort der Angst vor gefährlichen Tieren, die den Menschen auflauern konnten; ihre Existenz war in früheren Zeiten ein unerschöpfliches Märchen- und Sagenbuch. Pflanzen und Tiere sind an ganz bestimmte enge Umweltverhältnisse gebunden, alle Eigenschaften wie Körper, Sinne, Organe, Eigenarten und Lebensäußerungen, sind den klimatischen und organischen Verhältnissen angepasst. Die Natur hat Tieren und Pflanzen eine Umwelt geschaffen, in der sie sich ohne Mühe ernähren und wachsen können, es ist ihnen nicht möglich, ihre Lebensräume zu wechseln, aus ihrer Welt gerissen sind sie in den meisten Fällen verloren. Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren sind so miteinander verzahnt, dass einer ohne den anderen vergeht. Erst ab dem dreizehnten Jahrhundert sind Nutzungsrechte und damit verbunden Aufforstungsverpflichtungen für den Wald bekannt. Viele Prozesse wurden damals gegen Holzgroßverbraucher in ganz Europa geführt, meist gegen Betreiber von Großmeilern, Kalköfen, Schiffsbauern und der Hüttenindustrie. Holz war im Mittelalter der einzige verfügbare Brennstoff und das einzige Baumaterial für Häuser, wobei für ein Haus in der Regel zwölf Eichen nötig waren. Der Stammsitz der englischen Königsfamilie, Schloss Windsor, verbrauchte einige Eichen mehr, nämlich einen ganzen Wald von viertausend Stämmen. Zuletzt wurden die ausgedünnten Wälder auch noch vom Laub als Brennmaterial befreit. In diesem blankgefegten Wald war es für freilaufende Mastschweine leicht, Eicheln und Bucheckern restlos zu verzehren, wodurch dem Wald die Regenerationsfähigkeit genommen wurde. Durch diese Übernutzung entstand ein neues Waldbild, es gab vereinzelt noch alte Bäume, aber kaum Jungholz. Rehe und andere Pflanzenfresser des Waldes, die Jahrhunderte im Gleichgewicht gelebt hatten und eine untrennbare Einheit mit dem Wald bildeten, mussten nun zum Überleben das wenige Jungholz verzehren. Erst im neunzehnten Jahrhundert wurden planmäßig Waldflächen aufgeforstet, es entstand der Wirtschaftswald. Der Eifelwald ist in seiner Vielgestaltigkeit und in seinem Ausmaß als zusammenhängendes Waldgebiet eines der größten in Deutschland, Viele grasbewachsene Wege und Lichtungen, kleine Tümpel, freigestellte Bachufer sind bedeutende Oekotope mit einer großen Artenvielfalt. Hochmoore und Kalkmagerrasen mit reicher, teils seltenen Blumenflora, bilden die Nahrungsgrundlage für Insekten, Schmetterlinge und Käfer. Unser heutiger Eifelwald ist vielartig strukturiert, dies liegt .zum Teil an den großen Sturmschäden, zum anderen an der modernen Waldwirtschaft, die von den Forstämtern betrieben wird. Eine gute Mischstruktur bietet ideale Nistplätze sowie eine reiche Insektenwelt. Totholz als Wohnort für Käfer, Asseln und Spinnen sind wichtiges Bindeglied für eine neue Bodenkultur, ebenso nötig für Moose und Flechten, die für ihr Wachstum viele Jahre benötigen. Viele Kleinlebewesen würden ohne Totholz verloren gehen, Pilze sind ebenfalls unverzichtbar für den Kreislauf des Waldes, können aber ohne Totholz nicht leben. Es kann gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden, wie wichtig Totholz für die Tierwelt ist; das große Insektenleben ist mit dafür verantwortlich, dass wir in Naturwäldern einen solch großen Vogelreichtum haben. Ein Baum, mit Flechten bewachsen, zeigt feuchte und wenig belastete, also saubere Luftverhältnisse an, die Flechten fügen im Gegensatz zu Schmarotzern ihrem Träger keinen Schaden zu. In alten Eichen bestände n findet man öfter so starken Flechtenbesatz, dass man die Borke nicht mehr erkennen kann. Leider gibt es diese alten Eichen bestände sehr selten, aus dem einfachen Grund, weil früher auch der Eifelwald sogenannte Schälwälder hatte, wo die Rinde zum Gerben von Fellen genutzt wurde.

Der Buchenwaid ist ein gewaltiges Gewölbe. Wie Säulen ragen die starken, silbergrauen Stämme empor, ihre Wipfel schließen sich zu einem dichten Dach. Pflanzen, die unter Buchen gedeihen wollen, müssen die kurzen Vorfrühlingswochen vor der Belaubung nützen, wollen sie blühen, oder aber lernen, mit weniger Besonnung auszukommen, Begleitgehölze sind hier selten. Aus diesem Grund finden wir im Buchenwald so viele Frühlingsboten, wie Schneeglöckchen, Buschwindröschen, die Leberblume und das Lungenkraut, Waldveilchen und den Seidelbast. Vergebens werden wir hier nach Heidelbeeren, Himbeeren oder Preiselbeeren, wie auch Heidebewuchssuchen. Das Tierleben ist um so reicher, Insekten in vielen Arten, Vögel und Jagdwild in großer Anzahl; bei uns in der Eifel gibt es diese herrlichen Buchenwälder noch in großen Forsten. Nadelgehölze wie die Fichte sind schon nach der Eiszeit in Mitteleuropa eingewandert, noch bevor die Buche hier Fuß fassen konnte, aber erst seit etwa einhundertfünfzig Jahren werden Koniferenanpflanzungen in einem größeren Umfang betrieben. Diese genügsamen Baumarten gedeihen auch auf nährst off arme n Böden, und weil sie schnellwüchsig sind, wurde auch schlechtes Weideland durch sie einer neuen Nutzung zugeführt, dies besonders bei uns in der Eifel. Heute gehören Fichten zu den häufigsten Wald beständen gepflanzte r Nadelhölzer. Der Wuchs unserer Nadelbäume ist enger, als dies bei Laubbäumen die Regel ist, vor allem im angepflanzten Nutzforst. Die Verwendungsmöglichkeiten sind bei Nadelbäumen ganz anderer Art, wie bei Laubbäumen, dabei dürfen wir den Weihnachtsbaum nicht vergessen, der heute weltweit als immergrüner Baum in großen Kulturen nur zu diesem Zweck gepflanzt wird. Die Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren sind im reinen Nadelforst nicht so zahlreich wie in Laubwäldern, Naturgewalten und Schädlingsplagen

Ein seltener Anblick, dieser mehrere hundert Jahre alte Buchenstamm im Ormonter Wald, Totholz genannt, aber wieviel Insekten, Flechten, Algen, Moose und Pilze, Vögel und Kleinsäuger finden ihren Lebensraum darin. Totholz, stehend oder liegend von allen Baumarten ist unverzichtbar wegen seiner biologischen Vielfalt.

sind nicht selten. Die Lärche ist die einzige aller Koniferen, die im Herbst ihre Nadeln verliert, im Frühjahr erscheinen sie zartgrün in Büscheln. Unser Eifelwald vermittelt noch den Zauber einer unberührten Bach- und Flusslandschaft, wo Erlen, Weiden, Pappeln und Eschen, Eichen und Ulmen die Ufer säumen und Auwälder nicht selten sind. Dort spüren wir den erfrischenden Hauch dieser Lebensadern unserer Natur, mit ihrem Blühen und dem farbigen Leben an ihren Ufern, dort schöpfen wir auch die Hoffnung, dass die Zeit der Naturentfremdung unserer Gewässer der Vergangenheit angehört.

Im Wald finden wir viele Arten aus dem altehrwürdigen Geschlecht der Farne, die vor dreihundertfünfzigmillionen Jahren zusammen mit Bärlapp und dem Schachtelhalm als Pionierpflanzen den festen Erdboden dicht besiedelten. Natürlich sind sie nicht mit denen der Urzeit, die regelrechte Urwälder bildeten und durchschnittlich zehn Meter hoch waren, zu vergleichen, aber unser Adlerfarn wird immerhin auch noch zwei Meter hoch.

Der Mensch muss wieder lernen, im Rhythmus mit der Natur zu leben. Frühling ist's, wenn der Seidelbast blüht und der Kuckuck ruft, Sommer wenn die Früchte reifen, Herbst wenn die Vögel ziehen, Winter wenn Schnee und Kälte die Natur ruhen lässt.

Es bedarf auch heute noch »richtiger« Jahreszeiten, die ruhen, keimen, wachsen und reifen lassen, auch wenn es angesichts der Supermärkte scheinbar nicht mehr von Bedeutung ist, denn dort herrscht zwölf Monate Erntedankfest.

Die moderne Forstwirtschaft, die Einsicht der Kommunen, unseren Wald nicht durch Fremdenverkehr zu übernutzen, lassen hoffen, Pflanzen und Tiere in unserem schönen Eifelwald in ihrer Vielfalt zu erhalten. Der Schutz des Waldes sollte ein Anliegen aller sein, und dies nicht nur in Lippenbekenntnissen, sondern in Taten.

Glaube mir, du wirst mehr in Wäldern finden als in Büchern. Bäume und Sträucher werden dich lehren, was kein Lehrmeister dir zu hören gibt. (Bernhard von Clairvaux)