Chronik der Dauner Jugendherberge

Hans-Joachim Golly, Daun

Ende der fünfziger Jahre befand sich auf dem Dreesberg in Daun eine Zelt Jugendherberge. Es war ein Provisorium und sollte Fußwanderern eine Übernachtung zwischen den Jugendherbergen Gerolstein und Manderscheid bieten. An Stelle von Komfort wurde Romantik geboten. Wie zu Füßen liegend, bot die Stadt Daun ein einladendes Panoramabild. Fast jeden Abend veranstalteten die Gäste ihr Lagerfeuer, das von Gesang und Gitarrenklänge n begleitet wurde. Auch in einer Zeltjugendherberge galt die Herbergsordnung. Am schwersten fiel es einigen Gästen, die Nachtruhe von 22.00 Uhr einzuhalten. Nachts huschten Eichhörnchen über die Zelte und Vogelgezwitscher war der morgendliche Weckruf. Die Zeltjugendherberge war nur vom 15. Mai bis 15. Oktober geöffnet. Zuletzt waren die Übernachtungszahlen auf 5000 gestiegen. So wurde das Jugendherbergswerk Landesverband Rhld. Pfalz ein massiver Neubau mit 195 Betten geplant und gebaut.

Eines Tages besprachen wir mit dem Vorsitzenden des DJ H-Landesverbandes Dr. Faßbinder die Ausstattung der einzelnen Räume, als ein eleganter Wagen vor den Haupteingang fuhr. Ein ebenso eleganter, unbekannter Herr entstieg diesem und sah sich sehr interessiert um. Das Bonner Autokennzeichen, der Herr und der Wagen könnten vielleicht auf eine höhere Persönlichkeit hinweisen. Daher baten wir ihn hinein, stellten uns namentlich vor. Bei der Begehung des gesamten Rohbaues, stellte der Herr laufend Fragen über die künftige Jugendherberge. Irgendwie wurde dann Dr. Faßbinder allmählich ungeduldig und fragte seinerseits frontal: "Mit wem haben wir es eigentlich zu tun?«. »Ach Pardon, beinahe hätte ich es

Die 1952 aufgestellten Baracken auf dem »Dreesberg«, Zelt-Herberge (Verbandsgemeindearchiv).

vergessen; ich bin Generalvertreter und biete Eis am Stiel für die Kantine der neuen Jugendherberge an.« Ich fiel wie in ein tiefes Loch, Dr. Faßbinder rollte mit den Augen und schrie: »In die hiesige Kantine kommt mir kein Eis am Stiel.« Der elegante Herr verließ wortlos das Haus, schneller als er es betreten hatte. Einige Wochen später betrat wieder ein sehr modern gekleiderter Herr mit einem etwa achtjährigen Knaben das Haus. Auch er schien sehr interessiert, dabei musste ich an den Eismann von damals denken und forderte ihn auf, das Gebäude sofort zu verlassen. Er aber lachte und ging ruhig weiter. Ich wurde wütend und rief energischer: »Verlassen Sie sofort das Grundstück! Wer sind Sie denn überhaupt?«. Jetzt lachte er noch mehr, sagte aber dann: »Mein Name ist Urbanus, ich bin der hiesige Landrat.« Meine Entschuldigung kam fast stotternd. Ich erzählte die Geschichte vom Eismann. Am 1. Juli 1961 fand die langersehnte Einweihung des neuen Hauses statt. Der 1. Vorsitzende des DJH Landesverbandes Rhld. Pfalz Dr. Faßbinder dankte besonders Landesregierung, Kreis- und Stadtbehörde für die wohlwollende Unterstützung und Hilfe. Zahlreiche Ehrengäste nahmen an der Eröffnungsfeier teil, u. a. Sozialminister a. D. Junglas, Landrat Urbanus, Bürgermeister Saxler, Stadtbeigeordneter Jobelius, Amtmann Schmilz. Der Männergesangverein und ein Kinderchor der Volksschule umrahmten die Eröffnungsfeierlichkeiten. Bereits am nächsten Tag zogen die ersten Wandergruppen ein. Das tägliche Herbergsleben begann. Die Übernachtungszahlen wuchsen ständig. Die Besucher gehörten meist folgenden Kreisen an: Einzelwanderer, Familien, Wandergruppen, Schulklassen (auch als Schullandheimaufenthalte), Studenten (Geologie-Exkursionen), Erholungskindern, Vereinen.

Bevorzugt besucht wurden natürlich die Maare, die Glockengießerei in Brockscheid, die Sternwarte, die damalige Heimweberei in Schalkenmehren, die Einrichtung des Dauner Sprudels und natürlich nicht zu vergessen der Dauner Burgberg mit seiner altertümlichen Burgmauer, dem Eingangstor sowie dem imposanten Rundblick auf die Stadt mit den umliegenden Bergen und Wäldern. Besonderen Eindruck machte auch das Holzkreuz aus dem 16. Jahrhundert in der St. Nikolauskirche. An zwei Aufenthalte erinnern wir uns besonders. Für zehn Tage waren die Schüler der Europaschule

Jugendherberge Daun, Tuschezeichnung.

aus Brüssel unter der Leitung von Prof. Hachgenei als Gäste hier. Obgleich bereits eine größere Zahl an Ausländerübernachtungen zu verzeichnen war, hatte es niemals mehr einen derartigen »Fremdsprachenplausch« im Haus gegeben. Es war einer der interessantesten und angenehmsten Besuche. Ähnlich war dies der Fall bei einem organisierten Jugendlager der zionistischen Jugend Deutschlands. An dem Winterlager 1961 nahmen 110 junge Juden teil. Es sollte der rituellen und religiösen Aufrüstung dienen. Meine Frau musste sich mit dem Küchenpersonal bei der Speisezubereitung umstellen, denn es wurde »koscher« gekocht, das heißt Milch- und Fleischprodukte waren streng getrennt. Seinerzeit besaß Daun noch nicht die entsprechenden Tagungsräume und so fanden diese oft in der hiesigen Jugendherberge statt. Dechant Feldt und Kaplan Wacker veranstalteten Einkehrtage für entsprechende religiöse Einrichtungen.

Ein vielleicht für manche Gäste unangenehmes Thema wollen wir nicht aussparen, nämlich die erforderliche Herbergsordnung. Anfangs wurden sogar Autofahrer nicht aufgenommen. Es bestand Alkohol- und Rauchverbot. Die Nachtruhe mit Nachtbeleuchtung begann um 22.00 Uhr, Schließzeit war bereits um 21.30 Uhr. Von Gruppen wurde der Tag meist mit einem Abendlied und Gitarrenmusik beendet. Für forsches Wecken sorgte ein Trompetensolo oder Schallplattenmusik. Über manche unruhigen Nächte wollen wir lieber schweigen. Budenzauber und Kissenschlachten waren eben sehr beliebt. Man gewöhnte sich aber auch an dies. Ebenfalls war die damalige Mithilfe der Gäste im Haus anders als heute. Es konnte nicht darauf verzichtet werden, es war auch alte Herbergstradition. Begrüßt wurden auch die niedrigen Preise, die seinerzeit fast auf Selbstkostenbasis beruhten. Bei der damals herrschenden Personalknappheit war die Mithilfe von Studenten in der semesterfreien Zeit sehr willkommen. Später, und dies ist bis heute so geblieben, konnten Zivil-dienstleistende ihren Ersatzdienst in Jugendherbergen ableisten. Stolz erfüllte uns, als nach einiger Zeit erstmals die jährliche Übernachtungszahl von 30000 überschritten wurde. Vor dem Eingangstor zur Jugendherberge begrüßt den Gast eine festgemauerte Kirchenglocke. Diese war während des Krieges beschädigt worden und uns auf Wunsch vom Glockengießer Marck aus Brockscheid geschenkt. Innerhalb dieser Glocke befindet sich eine leere Flasche vom Dauner Sprudel. Darin wiederum ein Dokument, in dem Besonderheiten des damaligen Daun beschrieben sind. Außerdem liegt dort ein Exemplar des »Trierischen Volksfreunds« mit Datum 29. August 1967. Dies soll für unsere Nachkommen gedacht sein. Von der alten Romantik ist leider nicht mehr viel übrig geblieben; nur die Lagerfeuer erinnern noch an die damalige Zeit. Wie gemütlich war es mit St. Georgspfadfindern, Nerother Wandervögel und anderen Jugendgruppen. Nach 20jähriger Tätigkeit haben wir uns 1980 hier in Daun zur Ruhe gesetzt.

Die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze 1990 und der Grenzen nach Osteuropa bescherten der Jugendherberge neue Gäste. Über ein Jahr lang waren in ihr Aus- und Übersiedler mit ihren Familien untergebracht.

Von Oktober 1991 bis April 1992, 30 Jahre nach Errichtung, erfolgte eine grundlegende Sanierung mit einem Kostenaufwand von 2,6 Mio. DM und Neugestaltung des Hauses. Mit 154 Betten und jugendgemäßen und familienfreundlichen Einrichtungen ausgestattet, bietet die Jugendherberge nach wie vor ein Angebot an Schulen, Vereine, Einzelwanderer und vor allem für Familien. Die Übernachtungszahlen in den ersten beiden Jahren nach der Neugestaltung mit jeweils 25.000 beweisen, dass die Jugendherberge Daun nach wie vor eine hohe Anziehungskraft besitzt.

Am Ende dieses kleinen Berichts erlaube ich mir, ein abschließendes Urteil über die Gäste in der Jugendherberge: Viele von ihnen kamen als Fremde und gingen als Freunde!