Arbeits- und Dienstverträge anno 1854

Die Preußische Gesindeordnung regelte Verfahren

Friedbert Wißkirchen, Daun

Knechte und Dienstmägde waren bis in die 1950er Jahre in unserem ländlichen Raum keine Seltenheit. Größere landwirtschaftliche Betriebe, Hotels, Gaststäiten und Mühlen verfügten meist über einen Knecht oder/und eine Magd, die dem Hausherrn oder der Hausfrau bei ihren Arbeiten, vor allem auf dem Feld, zur Hand ging. In vielen kinderreichen Tagelöhnerfamilien reichten die den kargen Böden abgerungenen Früchte oder das geringe Einkommen kaum aus, die Familie zu ernähren. So war man bemüht, nach dem Schulbesuch bald eine Stelle für Tochter oder Sohn zu finden, sie zu »verdingen«. Damit war nicht nur ein Esser weniger am Tisch, es kam auch noch etwas bares Geld in Höhe des Arbeitslohnes ins Haus. Wie kamen die Arbeitsverhältnisse zustande? In Prüm und Wittlich wurden im vergangenen Jahrhundert und teilweise bis nach dem Zweiten Weltkrieg - meist am Stephanstag (2. Weihnachtstag) - sogenannte Gesindemärkte abgehalten. Interessenten, die einen Knecht, Magd oder Dienstmädchen verpflichten wollten, schauten sich nach geeigneten Mädchen oder Jungen um, die zu den Märkten gekommen waren. Die Mädchen, ebenso die jüngeren Burschen, waren meist in Begleitung ihres Vaters erschienen, der die Vertragsverhandlungen führte. Ältere Knechte oder Mägde handelten ihren Vertrag schon selbst aus. So mancher Bauer beurteilte die Kandidatinnen und Kandidaten nicht nur nach ihren Arbeitsfähigkeiten, sondern hielt manchmal nach einem Knecht oder einer Magd Ausschau, der oder die sich als Schwiegersohn oder Schwiegertochter eignete. Wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig waren, wurde der Vertrag meist mit einem Bier oder einem Schnaps besiegelt und Knecht und Magd erhielten ein Antrittsgeld, das sogenannte »Dinggeld".

Überall gab es diese Dingmärkte nicht. Es sprach sich meist schnell rund, wenn ein Bauer aus dem Nachbardorf einen dienstbaren Geist suchte. Manchmal kamen auch über persönliche oder verwandtschaftliche Beziehungen Verbindungen zustande. Meist begannen die Dienstverhältnisse an »Maria Lichtmeß«, also dem 2. Februar und wurden auf die Dauer eines Jahres abgeschlossen; eine Verlängerung war möglich.

Der Vater der Katharina Schwickerath aus dem heutigen Dauner Stadtteil Boverath hatte vernommen, dass Johann Mertes in Immerath eine Magd suchte. Also machte er sich am 3. Dezember 1854 mit seiner Tochter Katharina zu Fuß nach Immerath auf. Nach kurzer Zelt waren sich die Parteien einig und schlössen folgenden (im Original noch vorhandenen) »Müthvertrag» (= Mietvertrag) ab.

Mietvertrag

Es vermietet sich die Katharina Schwickerath von Boverath, 22 Jahre all, bei Johann Mertes in Immerath auf ein Jahr vom 2. Februar 1855 an bis 2. Februar 1956.

Es verdingt sich die Katharina Schwickerath für den jährlichen Lohn acht Taler, 20 Silbergroschen, zwei Paar Schuhe, zwei Hemden, drei Pfund Wolle und die »Schafensteuer» (?) und 10 Silbergroschen. Die Katharina Schwickerath verspricht für diesen jährlichen Lohn in allem treu und fleißig zu dienen. Geschehen zu Immerath, den 3. Dezember 1854

Kath. Schwickerath

Katharina Schwickerath erhielt für den Vertragsabschluß 10 Siibergroschen als Dinggeld. Unter dem Vertragstext vermerkte der Arbeitgeber Johann Mertes schriftlich genau, welche Teilleistungen, ob in bar oder Naturalien, die Magd während des Jahres erhalten hatte. »Den 1. April gegeben 14 Groschen, ein Pfund, zwei Schoppen Bohnen zu zwei Silbergro-sehen.

Den 1. Mai gegeben 10 Silbergroschen für eine Haube, noch ein Kleid gemacht zu vier Silbergroschen, einen Groschen gegeben für »Schingeln« (?), gegeben auf Kirmestag fünf Groschen. Ein Groschen für Schuhnägel. 28. Oktober gegeben fünf Groschen für auf die Kirmes auf Boverath.« Für den Kirmesmontag berechnete Johann Mertes seiner Magd für den Arbeitsausfall drei Silbergroschen. Die Aufstellung endet am 25. Dezember; »bar gegeben vier Taler" und ist damit nicht ganz vollständig, denn von Schuhen und Wolle ist nichts vermerkt.

Das lahme Ochsengespann

Nicht immer verliefen die Arbeitsverhältnisse ohne Probleme. So auch bei dem 22jährigen Bernhard D. aus Sarmersbach, der ab Lichtmeß 1876 in Mehren bei Lehrer K. als Knecht eine Stellung gefunden hatte. Am 28. Juli entließ Lehrer K. seinen Knecht wegen angeblich mangelnder Arbeitsleistungen, als Bernhard D. spätabends mit dem Ochsengespann von Frondiensten an Gemeindewegen nach Hause kam. Es kam zu einem Schlichtungsverfahren auf dem Bürgermeisteramt. Dabei wurde erkennbar, dass Lehrer K. die Entlassung wohl bewusst betrieben hatte, um den vereinbarten Jahreslohn von 48 Talern zu reduzieren, denn er bot eine Weiterbeschäftigung zu 30 Talern an. Dass die Arbeit auf dem Feld so langsam vonstatten ging lag, wie auch andere Knechte bezeugten, an den »steifsten und außerordentlich langsamsten Ochsen in Mehren«, weniger am Knecht. Bürgermeister Hölzer von der Bürgermeisterei Daun entschied am 6. 12. 1876 nach Anhörung der beiden Parteien und Zeugen, das Arbeitsverhältnis aufzulösen und verwies Arbeitgeber und Arbeitnehmer wegen ihrer Ansprüche (Lohn| an das Gericht.

Häufiger musste das Bürgermeisteramt Strafen verhängen, wenn Knecht oder Magd ihren Dienst nicht antraten oder grundlos - vielleicht auch aus Heimweh - die Arbeitsstelle verließen. Agnes Neumann wurde mit einer Strafe von drei Talern belegt, weil sie trotz mehrfacher Aufforderung den Dienst nicht antrat. Sie hatte wohl ein besseres Arbeitsverhältnis gefunden. Oft war der Anlass für Aufkündigung des Dienstverhältnisses auch, dass Unterkunft und Essen nicht den getroffenen Vereinbarungen entsprachen.

Die preußische Gesindeordnung

Wieso wurden die Bürgermeisterämter bei privatrechtlichen Streitigkeiten tätig? Das Arbeitsrecht gehörte im vergangenen Jahrhundert zum Ordnungs- beziehungsweise Polizeirecht. Die preußische Gesindeordnung vom 19. 8. 1844 hatte den Polizeibehörden - und damit den Bürgermeistereien - die Aufgabe übertragen, Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis zu schlichten, eine einvemehmliche Regelung zwischen »Herrschaft» und »Gesinde« herbeizuführen und beide zur Erfüllung der vertraglichen Pflichten anzuhalten. Außerdem war in der Gesindeordnung die Schriftform des Vertrages vorgeschrieben. Gleichzeitig waren die Bürgermeistereien berechtigt, bei Verstößen gegen den Dienstvertrag Geldstrafen zu verhängen.

Trotz aller Schutzgesetze für die Arbeitnehmer sind in unserer Zeit Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis unvermeidbar. Heute aber ist nicht die Verbandsgemeinde als Nachfolgerin der Bürgermeisterei, sondern das Arbeitsgericht für Schlichtung oder Entscheidung zuständig.