Impression aus einer Oberförsterfamilie

Alois Mayer

Herr von Witzleben war schon eine Respektperson, hoch angesehen und geachtet. Allein sein Name, geschmückt mit einem Adelsprädikat, flößte den Dauner Bürgern bereits Ehrfurcht ein. Und dazu auch noch seine Berufsbezeichnung »Preußischer Oberförster«. Gestreng achtete er auf die Einhaltung aller Vorschriften, überwachte mit peinlicher Sorgfalt die Hege und Pflege der königlichen Waldungen und deren Wildbestand und forderte von seinen »Untergebenen« mit Strenge die Einhaltung preußischer Tugenden, wie Fleiß, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit. Welcher Dauner hätte nun gewagt, ohne Erlaubnis Brennholz oder abgefallene Blätter als Viehstreu aus dem Wald zu nehmen, geschweige denn heimlich ein kleines Wildbret zu erwildern, um das karge Nahrungsangebot der eigenen Familie aufzubessern. Es war ja nicht das erste Mal, dass man gehört hatte, wie unnachgiebig die Forstbeamten allen Wilddieben nachstellten und bei Widerstand zur Flinte griffen. Die Berichte über den erschossenen Wilderer im Lehwald waren Alltagsgespräch in den schlichten Bauernhäusern des Dauner Forstbezirks. Devot und unterwürfig grüßte ein jeder den Oberförster von Witzleben, wenn er durch den Flecken Daun und die Nachbardörfer fuhr. Man zog die speckige Kappe vor ihm und verbeugte sich tief. Wie oft hatte man ihn schimpfend und polternd über die Uneinsichtigkeit der Bauern, die Öd- und Heideflächen aufzuforsten, erlebt. Besonders die Bewohner der Struth wussten davon ein Lied zu singen.

Doch als Privatmann zeigte sich Herr von Witzleben von ganz anderer Seite. Zumindest schildert er sich so in den von ihm gezeichneten bildern. Eine Vielzahl hat er so hinterlassen, von denen drei näher vorgestellt werden sollen. Es sind Zeichnungen aus den 1860er Jahren, die ihn als Privatmann zeigen. Idyllische bilder aus seinem Familienleben, die interessante Einblicke in die damalige Privatwelt und Wohnkultur einer gesellschaftlich hoch gestellten Familie liefern. 1) Herr von Witzleben scheint ein guter, treuer Familienvater gewesen zu sein. Die meisten Zeichnungen, die im Besitz der Verbandsgemeinde Daun sind, zeigen Szenen aus seinem Familienleben. So sehen wir ihn auf dem ersten Bild inmitten seiner Familie. In der großen herrschaftlichen Stube des ehemaligen kurfürstlichen Amtshauses hat er Platz in einem großen stoffbezogenen Schalensessel genommen. Die Stube ist mit breiten Eichenbohlen ausgelegt, die von einem Teppich geschützt werden, auf dem sich behaglich der Jagdhund des Oberförsters zu einem Nickerchen niedergelegt hat. An den Wänden hängen bilder mit jagdbaren Vögeln und einiges Gehörn von in den Wäldern erlegten Rehböcken. Ein großer runder Eichentisch im Biedermeierstil füllt die Wohnecke aus. Frau von Witzleben in ihrer eleganten Tracht, einem weiten braunen Glockenrock und dunkler, hochgeschlossener Bluse, näht Knöpfe an ein Hemd. Gerade ruht sie mit ihrer Arbeit, verliebt und stolz schaut sie hin zu ihrem Mann, der sich ganz seiner ältesten Tochter, dem Eischen, widmet. Etwa drei Jahre wird sie alt sein, ein richtiger Wildfang, der Stolz der Familie. Übermütig hüpft sie auf dem Schoß ihres Vaters, der gerade die Zeitung lesen und seine Sonntagszigarre rauchen wollte, die nun qualmend auf der Aschendose auf dem Tisch liegt. Der sonst so gestrenge Herr Papa wirkt ohne seine Dienstuniform jung. Er trägt Sonntagskleidung, eine eng anliegende Röhrenhose, ein weißes Hemd mit hohem Kragen, Weste und Fliege und einer gesäßlangen schwarzen Jacke. Voll strenger Würde schauend, spielt er mit seiner Tochter, ja fordert sie sogar auf, wie die Bildunterschrift verkündet: »Eischen krieg den Papa bei dem Bart!« Wie wohlhabend und standesbewusst die Herrschaften waren, erkennt man an der großen Zahl der Bediensteten, die sich ebenfalls an jenem Sonntagmorgen in der Stube aufhalten. Da sitzt die Amme, eine junge Frau, mit einem weißen Spitzenband im gepflegten Haar, das jüngste der Witzlebens Kinder im Arm wiegend. Wohl verpackt und fest verschnürt liegt es in weichen Kissen. Ein Häubchen trägt das Kleine, damit seine Fingernägelchen nicht das Köpfchen zerkratzen. Es war allgemein üblich, dass sich reichere Familien eine Amme leisteten, die entweder einen Säugling selbst stillten oder als Kindermädchen arbeiteten. Die Frau des Hauses kam eher Repräsentationspflichten nach, spielte und kümmerte sich wohl um ihre Kinder, aber die Arbeit der Pflege, des Windelwaschens, des Fütterns, des Aufpassens oblag der Amme. Diese auf dem Bild wird möglicherweise das jüngste Witzleben-Kind nicht mehr oder nicht mehr ganz gestillt haben, denn auf dem Tisch mit der hohen, marmornen Petroleumlampe ist auch ein leer getrunkenes Milchfläschlein mit dem Schnuller zu sehen. Höchstwahrscheinlich beschäftigte die Familie noch ein weiteres Kindermädchen, das hauptsächlich für Eise zuständig war. Eine junge Dame in wadenlangem, blauen Kleid mit weißer Schürze steht im Vordergrund, die noch nicht lange aus der Schule sein kann. Sorgsam richtet sie ihre Blicke auf Herrn von Witzleben und auf Klein Eischen, hebt mahnend die linke Hand, so als wolle sie sagen: »Eischen, langsam, sei vorsichtig!« Eine dritte Angestellte, die Haushälterin, tritt gerade durch die Tür und bringt den nachmittäglichen Kaffee. Auf einem Silbertablett trägt sie eine breite Kaffeekanne mit Milchkännchen und zwei Tassen - man pflegte nicht gemeinsam mit dem Personal zu speisen. Die ältere Haushälterin mit bodenlangem blauen Rock und hochgeschlossener Bluse, mit streng zurückgekämmten Haaren, die in einem Knoten enden, befand sich schon seit langem in der Familie. Sie ist noch auf mehreren anderen bildern zu erkennen. 2) Zigarre rauchen, war damals gehobener Luxus. Zeigte, dass man sich was leisten konnte und zu den »besseren Kreisen« gehörte. Es existieren Berichte des letzten Jahrhunderts, nach denen manch einer sich lediglich sonntags eine Zigarre leistete, oder an ihr nur wenige Züge tat, um sie dann fortzulegen für den Genuss am kommenden Sonntag. Auf mehreren Zeichnungen stellt sich Herr von Witzleben als Zigarrenraucher dar. So auch auf diesem. Er ist der Mittelpunkt seiner Familie, sitzt auf einem Stuhl und schaukelt seine beiden Kinder auf dem Schoß, links das Eischen und rechts deren Schwester, die wir auf dem ersten Bild von 1862 noch als Säugling sahen. Hinter Herrn von Witzleben, der sich auch am Sonntag nicht seiner Jacke entledigt, seine Frau im hochgeschlossenen Kleid. Mahnend hebt sie den Zeigefinger, als wolle sie sagen: »Nun seid mal nicht so ungestüm, ihr Rangen! Gönnt eurem Vater doch die wohlverdiente Ruhe!« Und dabei streicht sie liebevoll mit gespreiztem Finger über dessen langen Schnurrbart, der bereits wilhelminische Züge angenommen hat. Mit seiner Zigarre im Mund schaut auch der Herr Oberförster nachdenklich seine Kinder an. Was er denkt, gibt er in der Bildunterschrift wieder: »Wie man jetzt seine Sonntags-Nachmittags Zigarre in Ruhe und Gemütlichkeit raucht!« Der Betrachter schmunzelt, spürt er doch die Ironie dieser Unterschrift, denn was er sagen will, ist zu offensichtlich: »Früher, als ich noch kinderlos war, konnte man genüsslich des Sonntags dem Tabakgenuss frönen. Aber jetzt?« 3) Im krassen Gegensatz zu dem bäuerlich-bürgerlichen Leben in der Stadt Daun steht die Szene, die uns einen Einblick in das Kinderzimmer der Oberförsterfamilie gewährt. Voller Stolz und mit hohem Interesse steht Herr von Witzleben in der Tür und betrachtet seine Sprösslinge. Ohne Hunger und Not, ohne körperverschleißende Arbeit und in Reichtum wurden sie groß, sorgfältig betreut, ummuttert und versorgt.

Als Mittelpunkt die Amme mit dem Jüngsten, einem Sohn, auf dem Schoß, im spielerischen Gespräch mit der jüngeren Tochter, die eine Spielzeugrassel in der Hand hält. Eine Trinkflasche mit Schnuller steht griffbereit auf dem großen, breiten Ausziehtisch, über dem von der über hohen Decke eine teure Petroleumlampe das notwendige Licht spendet. An der Eckbank unter dem großen Fenster mit teuren langen Gardinen kniet Eischen, ihre Puppe badend. Als weiteres Spielzeug sind ein Ball und ein auf bau bares Spieldorf zu erkennen. Das Dienstmädchen reinigt mit einem Besen den Holzdielenboden des Zimmers, an dessen Wand ein mit Büchern gefülltes Regal von der Bildung und Kultur der Familie kündet. Ein mächtiger Kanonenofen heizt den Raum, und an Wärme fehlt es bestimmt nicht, denn an Brennholz mangelte es dem Oberförster gewiss nicht. Wegen der Verbrennungsgefahr für die Kinder ist er mit einem sehr großen Holzgitter gesichert, an dem Windeln zum Trocknen hängen. Rechts daneben eine geräumige und kunstvoll geflochtene Kinderwiege. Und wenn dann mal ein Kind sich dringend eines »Geschäftchen« entledigen musste, konnte es das ebenfalls in diesem Zimmer auf einem Toilettenstuhl erledigen.

Ob Herr von Witzleben beim Betrachten dieser friedvollen Szene auch daran dachte, wie eng und klein, wie ärmlich und notdürftig die Kinder der Bürger und Bauern in der Stadt Daun und den umliegenden Dörfern groß wurden? Ob ihm bewusst war, dass diese wohl kaum die Chance hatten, so umsorgt und wohl behütet heranzuwachsen? Deren Kindheit war geprägt von häuslicher und bäuerlicher Arbeit, in kleinen, engen und dunklen Räumen. Ein eigenes Kinderzimmer mit Spielzeug und Literatur, geheizt und hygienisch sauber, hatten wohl die wenigsten, ganz zu schweigen von Kindermädchen und sonstigem Personal.