Das Vermächtnis

Gertrud Knobloch, Bonn

Alles, was Oma an Schmuck besaß, war eine Brosche und eine Halskette; ihren Ehering natürlich ausgenommen. Nicht mal eine Uhr nannte sie ihr Eigen. Als sie heirateten, besaßen Oma und Opa, der zunächst noch als Fuhrmann und später als Fabrikarbeiter ein Zubrot verdiente, nur wenig Land. Haus und Hof bauten sie ganz allein auf. Und das, obwohl sie oft mir ihren acht Kindern - von denen alle überlebten - nicht wussten, wie sie das tägliche Brot beischaffen sollten. Trotz allem überließen sie später ihrem jüngsten Sohn, meinem Vater, ein schuldenfreies Anwesen, wenn er auch sein Leben lang damit zu tun hatte, seine sieben Geschwister auszubezahlen und den Betrieb noch um ein paar Morgen zu vergrößern. Der Schmuck wurde bei uns in einer Schatulle verwahrt, die den Kölner Dom darstellte, wie man sie ähnlich auch heute noch in Andenken Läden bekommen kann; nur mit dem Unterschied, daß diese Dome heute aus kitschigem Plastikmaterial hergestellt sind, anstatt aus schwerem, wie Blei wirkendem Metall, »Silber« - wie wir Kinder meinten. Da wir wenig Spielzeug besaßen, wurde auch die Schmuckschatulle in unsere Spiele mit einbezogen. Und da ich mich ganz besonders für die Schatulle begeisterte, hieß es einmal: »Wenn ich mal sterbe, dann bekommst Du den Kölner Dom!« Das war ein Versprechen! Vorsichtig erkundigte ich mich bei Mutter, wie denn das mit dem Sterben ging und bekam zur Antwort, darüber soll ich mir keine Gedanken machen, darüber spräche man nicht. Irgendwie war es mir auch unheimlich, denn ab und zu bot sich uns das Schauspiel eines Leichenzuges. Schwarz verhängte Pferde zogen dann einen schwarzen Leichenwagen, auf dem der Sarg stand. Rund um den Wagen hingen die Grabkränze. Leichenhallen waren damals noch unbekannt, die Toten blieben bis zur Beerdigung im Haus, wo sie auch eingesargt wurden. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und meinte treuherzig: »Oma, wann stirbst Du denn, damit ich den Kölner Dom bekomme?« Oma lachte und meinte: »Da musst Du leider schon noch etwas warten, bis Dir der liebe Gott den Gefallen tut und mich sterben lässt.« Als das geschah, war ich längst über das Spielalter hinaus, denn Oma wurde damals, als die Lebenserwartung noch geringer war, schon einundneunzig Jahre alt.