Schoster hir Stuff

Gisela Bender, Deudesfeld

Freundschaften schließt man in der Jugend, so heißt es im Volksmund. Genau danach sollte man auch handeln, dann kann die Freundschaft mitwachsen oder man vergisst sie wie vieles andere ganz schnell.

Hat eine Jugendfreundschaft Bestand, dann erinnert man sich ein Leben lang gerne an gemeinsame Erlebnisse.

Bei mir kommt in jedem Winter, wenn draußen der Schnee liegt und eisige Kälte vorherrscht, die Erinnerung an die Wohnstube bei meiner Freundin zu Hause. Sie wohnte mit ihrer Mutter und einer Schwester alleine, ihr Vater war im Krieg gefallen. Mit der Landwirtschaft hielten sie sich über Wasser, denn die Versorgungsleistungen des Staates ließen jahrelang auf sich warten. Das »Schoster-Haus«, in dem sie wohnten, hatte Parterre nur zwei Zimmer und einen kleinen Winkel als Spind. Haus- und Stalltüre waren gleich nebeneinander. Öffnete man die Haustüre, dann stand man in einem langen, schmalen Gang. Die erste Türe rechts führte in die Wohnstube, die zweite weiter oben in die Küche. Ging man weiter geradeaus durch die Tür, konnte man über die dort befindliche Treppe ins zweite Obergeschoss gelangen. In der Küche stand rechts der Herd, auf der anderen Seite der Spülstein, ein Tisch mit einer dahinter sich befindenden Holzbank und ein paar Stühlen. Bis in die 50er Jahre hinein wurde in dem Backofen in der Wand Brot gebacken, später stand allerdings ein Schrank davor. Das tagtägliche Leben aber spielte sich in der kleinen Stube ab. Ich glaube nicht, dass es während meiner ganzen Kindheit einen einzigen Tag gegeben hat, an dem ich nicht wenigstens einmal in dieser Stube gewesen bin. Wenn man die Stubentür öffnete, stand gleich rechts die Nähmaschine. An der Frontseite befanden sich zwei Fenster mit Sicht auf die Dorfstraße und auf das gegenüberliegende Pfarrhaus. Stand man in der offenen Tür und schaute in die Stube hinein, . dann fiel der Blick auf die Uhr an der hinteren Stubenwand. Darunter das hohe Sofa, das in seiner besten Zeit wohl einmal ein gutes Stück gewesen war. Davor der Tisch, der auch als »Mol« zum Brotbacken diente. Links vom Eingang stand ein Schrank mit zwei Stühlen neben dran. In der Ecke der Ofen, rechts davon noch ein Stuhl. So oft ich auch in dieser Stube weilte, die drei Stühle um den Ofen waren bis auf ganz wenige Ausnahmen immer besetzt. Was mich hierher zog, das war es auch, was andere in diese Stube zog. Sie war immer schön warm, und außerdem traf man hier stets andere. Man war nie allein.

Wir Kinder, meine Freundin, die Nachbarkinder und ich, spielten im Winter jeden Tag, entweder »Mensch ärgere Dich nicht« oder irgendein anderes Spiel. Das ging immer so lange, bis irgend ein Grund zum Streiten gefunden war. Aber dann war mitunter etwas los, wir tollten auf dem Sofa, dann unter dem Tisch, dass die Fetzen flogen. Die Mutter meiner Freundin hatte wahrhaftig starke Nerven, und wenn sie mal Ruhe bot, dann war dies längst überfällig. Es kam auch schon mal vor, dass sie, wenn unsere Übermütigkeit nicht mit Ermahnungen zu bremsen war, sagte: »Sou, weilen giet dir heem!« Nicht zu glauben, wie diese Worte wirkten. Nach Hause gehen, das wollte keine von uns, dort hatten wir nicht die Unterhaltung, die uns bei meiner Freundin geboten wurde. Außerdem kam noch hinzu, dass jede von uns zu Hause gleich eine Arbeit zugewiesen bekommen hätte. Also lohnte es sich, zu kuschen. Oft saßen auch ein paar Nachbarsfrauen mit ihrem Strickzeug am Ofen und erzählten sich dieses und jenes. Aber fast genauso regelmäßig wie wir Kinder, kamen »Tubacks Welhelmchen und Schoster Lies«, zwei alte Leutchen, ebenfalls aus der Nachbarschaft. Jeden Tag erzählten die beiden sich das gleiche, und wir Kinder kicherten und hatten unseren Spaß mit den alten Leuten. Die Mutter meiner Freundin musste auch hier manchmal einschreiten, um uns zurechtzuweisen.

Ein Erziehungsprinzip war da-. mals: »Die Jugend hat das Alter zu ehren und ihm mit Respekt zu begegnen!«

Welhelmchen war ein ulkiges Naturell, und wenn er dazu aufgelegt war, dann erzählte er uns Geschichten aus seiner Jugendzeit. Dabei verheimlichte er keineswegs, dass er bei manchem Streich Regie geführt hatte. Einmal, als wir Kinder die Stube einen Abend lang mit Welhelmchen alleine hatten, machten wir das »Hännesjen« mit dem alten Mann.

Wir streuten Niespulver aus und bald fing Welhelmchen an zu niesen, die Augen tränten und das Wasser lief ihm über das zerfurchte Gesicht. Trotz seines Alters war Welhelmchen noch gewitzt, wir konnten ihm nichts vormachen. Nachdem er halbwegs wieder zu Luft gekommen war, fragte er uns: »Wer hat hier das schreckliche Zeug?« und lachte mit uns. Egal wie unterhaltsam es auch gerade sein mochte, nie vergaßen wir die aktuelle Zeit. Um 4 Uhr musste ich nach Hause, auch die Schoster Mädchen mussten ihren täglichen Verpflichtungen nachkommen. Jeden Tag musste die »Speis« fürs Vieh gemahlen werden. Damals im ganzen Dorf, in jedem Haus Kinderarbeit. Aber am nächsten Tag, dann waren wir wieder bei »Schoster an der Stuff«. Noch heute, viele Jahre später, weile ich oft in Gedanken dort!