Kindheitsimpressionen

Inge Böffgen, Gerolstein

Die Erinnerung ist immer noch seltsam lebendig. Es war so ein Tag, an dem die unbeschwerte Kinderseele einen kleinen Kratzer abbekam. Meine Familie, das waren Anfang der fünfziger Jahre der Vater, die Mutter, mein zwei Jahre jüngerer Bruder und ich. Der Beruf des Vaters, damals noch Gendarm genannt, hatte uns von Hillesheim nach Weidenbach umziehen lassen. Wie in vielen Familien der Nachkriegszeit, so zierte auch bei uns meist »Schmalhans-Küchenkost« den täglichen Speisezettel. Das Sparen wurde großgeschrieben, denn das Einkommen des Vaters als einzigem Verdiener war gering. Also begann das Haushalten in der kühlen Jahreszeit schon mit dem Feueranzünden im großen urgemütlichen Küchenherd. Wenn das Anmachholz einmal aufgebraucht war, bot sich der Meisburger Wald mit seinem schier unerschöpflichen Tannenzapfenreservoir als ideale Hilfe an. In getrocknetem Zustand sorgten die Tannenzapfen für eine solide Feuerungsgrundlage, rochen herrlich würzig beim Verbrennen und ihr Trocknen im Backofen vollzog sich stets mit einem geheimnisvollen Knistern. Die Weit war ganz in Ordnung, solange mein Bruder und ich mit der Mutter zusammen das Aufsammeln der Zapfen im entfernten Wald erledigen konnten. Doch es kam der Tag des Einsammeins ohne mütterliche Begleitung. Zum ersten Mal mussten wir Geschwister diese Aufgabe allein verrichten. Ich bekam eine alte Tasche, mein Bruder nahm seine geliebte Kinderschubkarre und zögernd machten wir uns auf den Weg zum »Finst'ren Tann«. Diskussionen gab es nicht, denn die elterliche Autorität hatte Vorrang. Also schlichen wir, nur von der Sonne und dem ganzen Mut der Verzweiflung angetrieben, unserem Ziel, dem Meisburger Wald, zu. Es war wohl der Horror der Phantasie, der gerade ein paar Tage zuvor durch gruselige Schauergeschichten unter uns Dorfkindern angeheizt worden war. Den idealen Nährstoff hierzu lieferten immer wieder die Märchen der Gebrüder Grimm, die damals, besonders aus elterlich/pädagogischer Sicht, unverzichtbar zum Kindsein gehörten. Selbst das sehr beliebte Pausenspiel »Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann« beschäftigte die kindliche Vorstellungskraft und ließ uns beim Erzählen und Spekulieren flüstern.

Und jetzt im Wald.....da spukte es natürlich! Phantasie und Wirklichkeit schwammen wie Nebel durcheinander. Gedanken, uns gehts wie Hansel und Gretel, ausgesetzt und von einer bösen Hexe gefangen, ließen uns eine, bis dahin ungeahnte Schnelligkeit beim Sammeln der von Mutter gewünschten Tannenzapfen entwickeln. Jedes Geräusch verursachte einen Schauer und der Wolf des Rotkäppchens fletschte wahrscheinlich schon die Zähne. Böse Feen umgarnten uns in immer enger werdenden Kreisen und selbst der schauerliche Zwerg aus Schneeweißchen und Rosenrot lauerte gierig auf seine Beute. Nicht zuletzt die schreckliche Vorstellung, eine böse Stiefmutter könnte uns entführen, ließ unsere kleinen Herzen schneller schlagen. Die Augen nur auf den Waldboden gerichtet, füllten wir in Windeseile Tasche und Schubkarre bis zum Rand. Dann aber, nichts wie weg! Mein Bruder konnte mit seiner voll beladenen Karre nicht so schnell laufen. So entfernten wir uns steifen Schrittes und ohne uns noch einmal umzudrehen -doch oh Wunder, - heil und gesund, aus dem finstren »Märchenwald«.

Mein Freund, der Salm-Bach

Früh morgens hörte ich ihn rauschen:

Tausch dein Bett mit meinem Bett,

ich folgte nur zu gerne. Ob Frühling, Sommer, Herbst, ob Winter,

magisch zog's mich zu ihm hin. Ich neckte ihn mit flachen Steinen,

baute Puppenstuben aus dem Uferlehm.

Mutig robbt' ich übers Eis, sah mein Gesicht im Spiegel. Er kühlte meinen Übermut und spülte fort die Tränen.