Eine Idee und die Folgen

Joachim Keil, Marienburg (Bullay)

Eigentlich sollte die ökumenische Abendmusik am 3. Juli 1983 in der Erlöserkirche Gerolstein eine Art Abschiedsveranstaltung werden. Musikbegeisterte Schüler des St. Matthias-Gymnasiums Gerolstein wollten am Ende ihrer Schulzeit noch einmal ihr Können unter Beweis stellen und fanden bei der evangelischen Gemeinde Gerolstein/Jünkerath und deren Pfarrer Hans-Martin Stüber für dieses Unternehmen großes Interesse. An Händel, Schütz, Monteverdi und Telemann wollte man sich wagen, eine Programmauswahl, die manchen in Staunen versetzte, ist man doch von der jungen Generation normalerweise andere musikalische Vorlieben gewöhnt. Ein Instrumentalkreis und ein Chor wurden aus 24 jungen Musikerinnen und Musikern im Alter zwischen 14 und 20

Die Mitwirkenden des ersten ökumenischen Konzertes in der Erlöserkirche

Foto Schönberg

Neujahrskonzert 1987 Erlöserkirche Gerolstein

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Jahren zusammengestellt, die trotz vieler Proben die Freude an der alten Musik nicht verloren. Unterstützt wurden sie von Kaplan Engelbert Feiten, der damals Religionslehrer am Gerolsteiner Gymnasium war. Die Leitung des Konzerts übernahm Joachim Keil, selbst Abiturient und damals Organist an der Erlöserkirche.

Als »neuen kirchenmusikalischen Impuls« wertete der wenige Tage nach dem Konzert erschienene Artikel im Trierischen Volksfreund die Initiative der jungen Musiker. Zugleich wurde aber auch die Sorge geäußert, dass solche Ansätze möglicherweise Eintagsfliegen bleiben, da die meisten jungen Leute die Eifel verlassen müssen um sich eine Zukunft aufzubauen. Damals ahnte keiner der Beteiligten, dass die »Abschiedsveranstaltung« keine einmalige Sache bleiben sollte, sondern zum Auftakt einer neuen Entwicklung in Sachen ökumenischer Kirchenmusik im Raum Gerolstein wurde. Die Gruppe erhielt in den folgenden Jahren Unterstützung der evangelischen und katholischen Gemeinden und die Möglichkeit, sich mit klassischer, geistlicher Musik auseinander zusetzen und ihre Fähigkeiten zu erproben. Dabei ging es nicht um die Veranstaltung von Konzerten im kommerziellen Sinne. Eine Geistliche Abendmusik in der Erlöserkirche zu gestalten, bedeutet auch nach 15 Jahren in erster Linie ökumenisches Miteinander, gemeinsame Verkündigung, Freude am Zusammenspiel. Für die jungen Musiker wurde die Fahrt in die Eifel oft zu einem besonderen Erlebnis.

Ökumene durch gemeinsames Singen

Aus dem Ensemble des ersten Konzertes bildete sich ein kleiner Chor heraus, der ökumenischer Singkreis genannt wurde und in den folgenden Jahren regelmäßig Abendmusiken in der Erlöserkirche veranstaltete. Dabei standen häufig die Werke des evangelischen Hofkomponisten Heinrich Schütz im Mittelpunkt. Einen besonderen ökumenischen Akzent bildeten die Aufführungen seiner Matthäus- und Johannes-Passion, bei denen die Personen des Evangelisten und des Jesus von einem evangelischen und einem katholischen Geistlichen gesungen wurden. Als die Erlöserkirche 1988 ihren 75.Geburtstag feierte, waren in einem Festkonzert mehr chörige Kompositionen zu hören, bei denen der ökumenische Singkreis zusammen mit dem evangelischen Singkreis Gerolstein/Jünkerath, dem Kirchenchor der katholischen Gemeinde St. Antonius Jünkerath sowie mit Solisten und Instrumentalisten aus Trier musizierte. Beim abschließenden „Uppsalaer Magnificat" von H. Schütz spürten alle Mitwirkenden und Zuhörer, dass Musik Grenzen überschreiten kann, die im Alltag oft unnötige Gräben zwischen Menschen aufwerfen. Aus der »kirchenpolitischen Erlöserkirche« im Sinne ihres Bauherrn Kaiser Wilhelm II. wurde ein Ort, der zum Aufeinanderzugehen der Konfessionen aufforderte.

Musik eine besondere Form der Verkündigung

Am 31.12.1988 verließ Joachim Keil die Erlöserkirche als Organist, was leider auch das Ende des ökumenischen Singkreises bedeutete. Dennoch riss der Kontakt in den folgenden Jahren nicht ab.

Studenten aus Trier waren schon seit 1986 gelegentlich nach Gerolstein gekommen und hatten bei den Abendmusiken und Gottesdiensten Werke alter Meister dargeboten. In den folgenden Jahren waren sie regelmäßig zu Gast und gaben durch die Aufführungen mehrerer Bach-Kantaten den Abendmusiken ein neues Gesicht. Außer den musikalischen Beiträgen betonten meditative Texte und Abschnitte aus der Bibel, dass die Verbindung von Wort und Musik eine besondere Form der Verkündigung sein kann. Der gemeinsame Schlusschoral von Mitwirkenden und Zuhörern wurde zu einem festen Bestandteil, der Verbindung untereinander entstehen ließ.

Musik als Miteinander der Generationen

Neue Impulse erhielt die Ökumenische Kirchenmusik durch die Zusammenarbeit mit dem Gymnasium auf der Karthause in Koblenz. Seit 1993 übernahmen Schülerinnen und Schüler dieser Schule die Gestaltung der Abendmusiken, die nun zusätzlich auch in der katholischen Pfarrkirche in Jünkerath stattfanden. Sie begeisterten die Zuhörer durch ihre engagierte Interpretation von Bachs Brandenburgischen Konzerten und Handels Orgelkonzerten. Das Vorurteil, dass die junge Generation sich nur noch von den Medien berieseln lasse, konnte widerlegt werden. Das spürten auch die Schüler, die sich in ihrer spontanen Art akzeptiert sahen. Musik war zu einer generationsübergreifenden Brücke geworden, die Verständnis auf beiden Seiten schaffte.

Blick in die Zukunft

Von der Besetzung des ersten Konzertes 1983 ist heute nur noch der Leiter des Ensembles übriggeblieben. Viele Jugendliche haben aber in den vergangenen 15 Jahren die Erlöserkirche und die evangelische und katholischen Kirchengemeinden im Raum Gerolstein/Jünkerath als Orte kennengelernt, an denen sie in ihrer Art akzeptiert wurden und ihre Fähigkeit unter Beweis stellen konnten. Für die meisten war es auch eine neue Begegnung mit christlichem Glauben, religiösen Fragen und ökumenischem Miteinander. Die Verantwortlichen des Ensembles hoffen, diese positiven Erfahrungen auch in Zukunft jungen Menschen ermöglichen zu können.

In einer Zeit, in der das Engagement für und die Arbeit mit Jugendlichen häufig am Geld scheitert, möchte dieses Projekt ein bewußter Kontrapunkt sein.