Adebar im Frack - der schwarze Storch

Heinz Hürth, Auel

Jungvögel des Schwarzstorches im Nest - Foto mit Genehmigung des Middelhauve-Verlags aus- Im Walde wohnt~ der schwarze Storch (Wolf Spillner). Copyright: Der Kinderbuch Verlag Berlin

Wie bei den Menschen und den Schafen gibt es also auch bei den Störchen schwarze und weiße, meinte mein Enkel, als ich ihm bilder in einem Vogelbuch zeigte. Das Konterfei des Storches hatte er sofort an den langen roten Beinen und dem Schnabel als Vetter Adebars erkannt. Ob er wohl je in seinem Leben einen wirklichen Schwarzstorch am Horste erblicken, ob er den einsamen Fischer einmal im Waldbachtal schauen wird, wie dieser seine Beute beschleicht, ob er sich je an dem schwebenden majestätischen Flug, der ihn in Kreisen höher und höher bis zu einem kleinen Punkt in den Wolken entschwinden lässt, erfreut? In vielen Gegenden Mitteleuropas gehört der scheue Einsiedler des Waldes bereits der Vergangenheit an, und die wenigen Paare, die bei uns noch vorhanden sind, sollten von uns so geachtet werden, damit sie sich weiterhin bei uns in der Eifel wohl fühlen. Auf dem Aussterbeetat steht der schwarze Geselle überall in seinen Lebensräumen, denn wenn man erst einmal die Horste zu zählen beginnt, ist das Ende meistens nicht weit. Die Anwesenheit des seltenen Vogels bei uns in der Eifel ist durch mehrere Brüten in den letzten Jahren und durch Ausweitung des Brutgebietes ein fester Bestandteil unserer Vogelwelt geworden. In seinem Brutgebiet weilt der Schwarzstorch nur wenige Monate, er kommt im April, und schon im August oder gar Ende Juli schickt er sich wieder zum Wegzuge an. Hoch in den Lüften und stets nur am Tage zieht die kleine Gesellschaft. Ihre Brutheimat erkennen die einzelnen Pärchen sofort, zu der sie alljährlich zurückkehren. In weiter Spirale trägt sie ihr Fittich zum Horstbaum, dabei glänzt herrlich ihr metallisch grün und purpurfarbenes Gefieder bei jeder Wendung des Körpers im Strahle der Sonne. Am Saum des Waldes auf einer hohen Buche steht der Horst, der schon für viele Generationen Kinderstube war. Weit geht der Blick über Wiesen, Wälder und Bachauen mit Erlen und Nassstellen. Die Heimkehrer strecken und recken noch einmal die schwarzen, wenig glänzenden Schwingen und schlagen sie dann zusammen. Wie flüssiges Erz, goldbraune Bronze und blauer Stahl, Kupferfarbe, Purpurrot, metallisches Grün, und die buschigen Kopffedern heben sich prächtig von dem weißen Unterleib ab. Solchen Metallglanz zeigt kein europäischer Vogel, das Weibchen steht dem Gatten hierin in nichts nach, beide sind gleich gefärbt, kein äußeres Kennzeichen verrät das Geschlecht. Zu Hause sind sie in der Heimat, die ihnen vertraut ist, dies merkt man an der Sicherheit all ihrer Handlungen. Sie kennen den Sumpf, den Bach, den See, wo ihnen immer mal mehr, mal weniger Nahrung geboten wird. Auf einer Erle am Bach wird noch mal Posten bezogen, alles scheint in Ordnung zu sein, also nichts wie ans Wasser, der erste Frosch ist gefasst und im Schlunde verschwunden, hier ein Blutegel, ein Wurm, eine Insektenlarve, ein Wasserkäfer, Kaulquappen, eine ganze Portion; nach der weiten Reise ist alles willkommen. Kleine Fische sind Leckerbissen, dazu senkt sich der Bajonettschnabel kurz übers Wasser, ein plötzlicher Ruck, ein kleiner Fisch zappelt im roten Schnabel, er wird in die Höhe geworfen und befriedigt schluckt der Fischer seine Beute hinunter. Lautlos geht die Jagd weiter, im seichten Wasser langsam Schritt für Schritt vorgehend, so dass sich der Wasserspiegel kaum bewegt, selten nur verfehlt der in die Tiefe stoßende Schnabel die Beute. Gräben und kleine Tümpel werden täglich besucht, selbst in schnell fließendem Wasser weiß der Storch Fische zu packen, dabei ist es egal, ob es Rotaugen, Karauschen, Schleien oder Aale sind; alles wird verspeist. Insekten vom Boden oder von Gräsern stehen ebenso auf dem Speiseplan wie Libellen, Grillen und Heuschrecken, aber auch Mäuse. Die Graureiher sind seine einzigen Konkurrenten bei der Nahrung, aber ihnen wird keine Beachtung geschenkt, es "sind weder Freunde noch Feinde, nur etwas Abstand sollte schon sein. Der erste Hunger ist gestillt, langsam schreiten unsere Schwarzstörche dem Erlengebüsch zu, wo sie sich in Ruhe der Verdauung hingeben. Der schlanke Rumpf steht auf den roten Stelzen fast senkrecht, niedergedrückt liegt der untere Teil des Halses auf dem glänzenden Rücken, dass die buschigen Kropffedern wie ein Dach die weiße Oberbrust beschatten, der Kopf ist abwärts gerichtet und der blutrote Langschnabel hat sich nach dem Boden gesenkt. In solch reiherartiger Stellung verharrt das Paar eine halbe Stunde lang, dann fliegt es zum Horst empor. Klug beschauen sich die Vögel von allen Seiten die Wohnstätte, als wollten sie nachdenken, wo die Reparatur am nötigsten war. Aber noch ehe sie ans Werk gehen, schwingen sich beide nach ein paar schwerfälligen Sprüngen voll froher Lebenslust in die Höhe, weite Kreise über dem Horstbaum und seiner Umgebung beschreibend. Der eine rechts, der andere links, bei jeder Kreuzung der Bahnen mit den gespreizten Schwingen sich beinahe berührend, ein Hochzeitsreigen, wie ihn die Verwandten und alle stattlichen Segler der Lüfte gern üben. Immer höher schraubt sich das Paar in den glutroten Abendhimmel, gleitet ohne Flügelschlag still durch den Äther, nun senkt es sich in stolzer Spirale und fällt auf einem der Äste in der Nähe des Horstes ein. Dann rückt jeder Vogel die langen Schwingen, die sich dem Körper anschmiegen, zurecht, Nachtruhe wollen sie halten. Noch mehrmals werden Platz und Stellung verändert, dann senkt sich das Dunkel über den Wald, von Moor und Röhricht ertönt der Frösche vielstimmiges Quaken.

Die nächsten Tage werden der Reparatur des Horstes gewidmet, der auf zwei starken, waagerechten Ästen kurz unter dem abgestorbenen Wipfel einer Buche erbaut ist. Wetter und Sturm hatten den stolzen Bau in eine Ruine verwandelt, aber ein paar starke Stäbe und schwächeres Reisig gaben ihm bald die alte Festigkeit wieder, feuchte Erdklumpen verdichteten den durchlöcherten Boden. Dürre Reiser, Wurzelwerk, etwas Schilf, dürres Gras, Moos und andere feine Stoffe bilden dann die Auskleidung des stattlichen Rohbaus. Jetzt haben die Störche wenig Mühe, ihr altes Haus von neuem wohnlich zu machen. Auf den feuchten Wiesen suchen sie Grasbüschel mit der daran haftenden Erde, Haare vom Rotwild, Borsten vom Wildschwein, Federn sind gleichfalls willkommen, Moos, Bast; selbst alte Lappen werden verbaut. Nach ein paar Tagen ist die Einrichtung fertig und noch ehe der Ostermond scheidet, kann die Störchin mit der Eiablage beginnen.

Meist bilden drei bis vier Stück das volle Gelege, die Eier gleichen denen des Weißstorchs, nur sind sie merklich kleiner, der zierlichen Figur seiner Erzeuger entsprechend. Weiß mit einem Stich ins Bläuliche ist ihre Farbe, durch zerbrochene Eierschalen, wie sie nach dem Ausschlüpfen umherliegen, scheint das Licht lebhaft grün, viel intensiver als durch die feste Eihülle des weißen Kollegen. Die Storchenfrau brütet allein, wird aber vom Storchenmann mit Nahrung versorgt. Es geht alles still zu beim Brutgeschäft, ruhige Vögel sind's, die in Zurückgezogenheit leben. Klappern ist während der Brutzeit tabu, die einzigen hörbaren Laute sind ein Zischen, wenn ein Greifvögel oder Reiher den Horst überfliegt oder ein Mensch in der Nähe ist. Nach vier Wochen Brutzeit melden sich die Küken eins nach dem ändern, echte Storchenkinder, in wollige, grauweiße Daunen gekleidet, das noch kurze Schnäbelchen von bleigrauer Farbe, die kurzen plumpen Füße, die in der Jugendzeit grau bleiben. Schon nach kurzer Zeit brechen die schwarzen Federn an Flügeln und Schulter durch, dann befiedert sich der Rücken, Kopf und Hals und die buntscheckigen Vogeljungen sehen fast aus wie junge Eulen. Für die Eltern beginnt eine aufopferungsvolle Zeit, Pflege, Futterbeschaffung, Erziehung und Schutz; hier im Wald geht alles ohne Beobachtungen von Menschen vonstatten. Sind ihnen die Federn gewachsen, dass sie den ersten Ausflug unternehmen können, werden sie von den Eltern zu Sumpf, Bach und Wiese geführt, hier erhalten sie praktischen Unterricht in dem Handwerk, das die Natur für sie bestimmt hat.

Bald schlägt die Stunde der Trennung, die Alten ziehen sich von ihrer Nachkommenschaft zurück. Es wird kein großer Abschied, wie alles bei unseren Schwarzstörchen geht auch dies ruhig und unbemerkt vonstatten, eines Tages sind sie verschwunden. Die elternlose Schar schlägt sich nun allein durchs Leben, aber bald werden sie die lange Reise nach Afrika antreten; die Geschwister bleiben zusammen. Wenn sie im nächsten Frühjahr zurückkehren, werden sie immer noch ihr schwarzbraunes Jugendgefieder mit wenig Metallglanz tragen, und an der Farbe von Schnabel und Füßen hat sich auch nur wenig geändert. Was sie in ihre Heimat zurückzieht, ist schwer zu verstehen, denn einen eigenen Hausstand zu gründen, kommt ihnen im zweiten Lebensjahr noch nicht in den Sinn. Erst im dritten Lenz wird Hochzeit gefeiert. Da prangt das Federkleid im festlichen Schmuck, es glänzt und gleißt im Lichte der Sonne und der hochrote Langschnabel wie auch die hochroten Stelzen verleihen der ganzen Erscheinung eigenartige Schönheit und besonderen Glanz. Naturfreunde an der Oberen Kyll können sich glücklich schätzen, diese seltene Vogelart in den letzten Jahren vermehrt als Brutvogel zu haben. Jahr für Jahr erweitern die Schwarzstörche ihr Brutgebiet in unserem Raum und dies lässt hoffen, dass die Umweltbedingungen hier noch stimmen. Was ist schöner, als in heutiger Zeit solche Zeilen schreiben zu dürfen.