Von Quälgeistern und Dämonen:

Fliegen und ihre Bedeutung für den Menschen

Andrea Jakubzik, Köln

»... dagegen besitzt die Stubenfliege kein Gedächtnis, da sie, auch wenn man sie fortscheuche, immer wieder zurückkomme, ohne sich der früher empfangenen Schläge zu erinnern...« (Albertus Magnus: De animalibus libri XXI).

Bereits im Mittelalter, zu Zeiten von Albertus Magnus, war die Stubenfliege (Musca domestica), die mit den Füßen schmeckt und mit den Fühlern hört und riecht, ein Symbol der Lästigkeit und Zudringlichkeit. Kaum andere Insekten sind mit dem Menschen so eng vergesellschaftet wie die Fliegen und nur wenige Tiere rufen spontan soviel Gefühle der Abscheu hervor.

Fliegen fühlen sich in Abwässern und Latrinen, an Kadavern und Exkrementen wohl, für sie sind Substanzen, die den Menschen mit Ekel erfüllen, die reinsten Lebenselixiere. Als Parasiten belästigen sie Mensch und Tier, sie bringen Siechtum und Tod als Überträger von Krankheiten und als Pflanzen- und Vorratsschädlinge verursachen sie allein im Obstbau jährlich Schäden in Milliardenhöhe. Dämonen in Fliegengestalt verkörpern die Mächte des Bösen und sind Symbol für den Menschen unerklärliche Phänomene.

Doch Fliegen sind nicht nur Kreaturen, die mit den Schattenseiten menschlichen Lebens in Verbindung stehen. Ein Leben auf der Erde wäre ohne sie nicht möglich, denn sie fungieren als wichtige Regulatoren im Kreislauf der Natur. So bestäuben sie Blüten und dezimieren als Jäger oder Parasiten schädliche Insekten. Die natürliche »Müllabfuhr« würde nicht mehr funktionieren, die Erde wäre bald mit einer von Kühen und anderen Tieren stammenden Kotschicht bedeckt, wenn nicht Fliegen und weitere Insekten sich an diesen Exkrementen gütlich tun würden. Als Objekt der Wissenschaft lenkten sie diese in neue Bahnen, ja, bei der Aufklärung von Mordfällen können sie sogar als stumme Zeugen den Täter überführen. Die Larven der Fliegen und Mücken leben fast stets in einem ganz anderen Milieu als die erwachsenen Tiere, wobei es auf der Erde kaum Lebensräume gibt, die nicht von Fliegen erobert worden sind. Man trifft sie in Polargebieten und Wüsten ebenso an wie im Hochgebirge, es existiert eine Vielzahl kurioser Strategien und Anpassungen. Fliegen- und Mückenlarven sind in heißen Quellen ebenso anzutreffen wie im kühlen Gletscherbach, bevorzugen Jauche oder Kot und finden ihre Lebensgrundlage sowohl auf grünen Pflanzen als auch im Kompost.

Überleben in Petroleum

Dicht unter der Oberfläche kalifornischer Petroleumtümpel suchen die Larven der Petroleumfliege (Psilopa petrolei) nach den Kadavern von zufällig in diesem lebensfeindlichen Milieu umgekommenen Kleintieren. Die Luft zum Leben beziehen sie über eine am Hinterende des Körpers befindliche gegabelte Röhre, die den Flüssigkeitsspiegel überragt. Zur Verpuppung verlassen die Larven das Petroleum und mit der Ablage von Eiern am Rande der Petroleumtümpel beginnt ein neuer Generationszyklus.

Kinderstube in Schmetterlingsraupen - Raupenfliegen

Die reich beborsteten Raupenfliegen (Tachinidae) entwickeln sich als Parasiten im Inneren von Insekten, wobei viele Arten Schmetterlingsraupen als Wirte aufsuchen, daher auch die Bezeichnung »Raupenfliegen«. Als Wirte kommen jedoch auch Käfer, Wanzen und Heuschrecken in Betracht, wobei viele Raupenfliegenarten auf nur eine Wirtsart spezialisiert sind, während andere ein Spektrum von bis zu 60 verschiedenen Wirtsarten nutzen können. Große wirtschaftliche Bedeutung haben Raupenfliegen bei der Bekämpfung verschiedener schädlicher Schmetterlinge, so der Kieferneule (Panolis flam-mea), die in älteren Kiefernbeständen großen Schaden anrichten kann. Die Raupen dieses Schmetterlings fressen die Kiefernadeln bis auf kurze Stummel auf und verlassen im Juli die Bäume, um in einer mit Gespinst ausgekleideten Höhle während des Winters die Entwicklung zum fertigen Schmetterling zu vollziehen. Vermehrt sich die Kieferneule in einem Gebiet sehr stark, so zieht dies bald ein gewaltiges Anwachsen der Raupenfliegen-Populationen im gleichen Gebiet nach sich. Innerhalb einiger Vegetationsperioden dezimieren diese Fliegen gemeinsam mit Schlupfwespen und weiteren parasitären Insekten den Bestand der Kieferneule stark.

Blutsauger ohne Flügel -Lausfliegen

Lausfliegen sind eine besonders bemerkenswerte Fliegengruppe, die sich aufgrund ihrer Lebensweise, ihrer merkwürdigen Entwicklung und ihres eigenartigen abgeplatteten, mit kräftigen Beinen und großen Krallen bewehrten Körpers stark von allen anderen Fliegenfamilien unterscheidet. Die Weibchen bringen verpuppungsreife Larven zur Welt, die sich in drei bis vier Wochen zu erwachsenen Tieren entwickeln und ihre Wirte (Säugetiere oder Vögel) aufsuchen, von deren Blut sie sich ektoparasitisch ernähren. Bei diesen Fliegen existieren zahlreiche Übergangsformen zwischen voll flugfähigen und flügellosen Arten. Während die etwa 5 mm große Hirschlausfliege (Lipoptena cervi) ein sehr guter Flieger ist, bei dem allerdings schon kurze Zeit nach dem Festsetzen die Flügel abbrechen, ist die Schaflausfliege gänzlich flügellos und wird beim häufigen Körperkontakt der sozial lebenden Wirte übertragen. Die bei Mauerseglern parasitierenden Lausfliegen können aufgrund ihrer Stummelflügel nur noch gleiten. Auf der Suche nach Nahrung werden diese Tiere auch dem Menschen öfters lästig, indem sie sich an ihn anklammern und zum Blutsaugen stechen.

Geißeln der Menscheit: Gelbfieber und Malaria

Fliegen bzw. in diesem Fall Mücken prägten und prägen die Geschichte der Menschheit entscheidend mit; die Stechmücken (Culicidae), die bei dem der Blutaufnahme dienenden Stechakt eine Reihe von Krankheitserregern auf den Menschen übertragen und die bereits im Alten Testament als eine der zehn ägyptischen Plagen galten (2. Buch Mose, Vers 8/12). Die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti), der zum Brüten kleinste Wasseransammlungen in Bodenvertiefungen ausreichen, überträgt den das Gelbfieber verursachenden Virus, verschiedene Stechmücken der Gattung Anopheles übertragen die einzelligen Erreger der Malaria (Plasmodium spec). Der erste Versuch, den Panamakanal zu bauen (1881-1888) scheiterte, weil mehr als 20.000 Arbeiter hauptsächlich an Gelbfieber starben. Die Malaria spielte in Altertum und Mittelalter eine bedeutende Rolle, sie beeinflusste den Ausgang mancher kriegerischer Auseinandersetzungen in der römischen und griechischen Geschichte. Trotz weitreichender Bekämpfungsmaßnahmen erkranken auch heute noch Millionen von Menschen an dieser Krankheit, bei Kindern unter fünf Jahren stellt sie weltweit die Haupttodesursache dar.

Syphilis contra Malaria

Noch um die Jahrhundertwende trieb man »den Teufel mit dem Beelzebub aus«, man infizierte an Syphilis Erkrankte absichtlich mit Malaria, indem man sie von einem übertragenden Moskito stechen ließ. Es existierte damals noch keine wirksame Arznei gegen Syphilis, aber es war bekannt, dass die Erreger dieser Krankheit bei Temperaturen über 40 Grad absterben, so dass man sich die mit Malaria einhergehenden Fieberschübe zunutze machte, um den Körper vom Erreger der Geschlechtskrankheit zu befreien.

Das gelang zwar auch in vielen Fällen, aber nur um den Preis eines lebenslang bestehenden Malarialeidens.

Bekämpfung der Fliegenplage

Schon sehr früh wurde die Entstehung von Krankheiten mit dem Auftreten von Fliegen und Mücken in Verbindung gebracht, so sind Beschreibungen dieser Zusammenhänge bereits aus dem 2. Jahrtausend vor Christus aus Mesopotamien überliefert (MAYER 1962). Zur Bekämpfung dieser Lästlinge kamen im Laufe der Jahrhunderte eine Menge Rezepturen zum Einsatz, wobei einige Beschreibungen heutzutage lustig anmuten, wie die von Petrus de Crescentius (1602): »...Bisweilen macht man auch in einem Hafen (= Gefäß) vnten ein Loch vnd bindet einen Sack vmb den Hafen vnd bestreicht den Hafen jnnwendig mit Honig, wenn er voller Fliegen gekrochen, so schleicht man hinzu, decket jhn oben zu vnd schüttelt sie hinunter in Sack vnd tritt sie zutodt.« Die Abwehr der Quälgeister durch Rauch ist sicher fast ebenso lange bekannt wie die Entdeckung des Feuers selber. In der Kalevala, dem finnischen National-Epos, dessen Entstehung bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht, gehört »das Rauchbereiten« zu den Pflichten der Hausfrau, um den Aufenthalt erträglich zu machen. In Rom räucherte man mit Schwarzkümmel und Kupfervitriol, Wände be-strich man mit Koriandersamen und 01, was ähnlich gewirkt haben dürfte wie die Repellents unserer Zeit.

Natürliche Insektizide waren bereits im Altertum bekannt. So beschreibt der römische Dichter Pli-nius d. Ä. ein Rezept, bei dem das giftige Liliengewächs Weißer Germer (Veratrum album) gerieben und mit Milch gemischt wurde, um Fliegen abzutöten. Auch Fliegenpilze fanden bei der Bekämpfung der Lästlinge Anwendung. PETSCH (1960) überprüfte verschiedene dieser überlieferten Rezepturen und fand heraus, dass die tödliche Wirkung bei der Stubenfliege innerhalb kurzer Zeit eintritt, der Tod jedoch nicht durch das Gift des Fliegenpilzes, das Muskarin, bewirkt wird, sondern durch eine andere flüchtige Substanz. Das weit verbreitete und bewährte Mittel jüngerer Zeit gegen die Fliegenplage war der Fliegenleim aus einem Teil Honig, drei Teilen Rizinusöl und sechs Teilen Kolophonium, aufgebracht auf Papierstreifen. Die dick mit Trauben von toten Fliegen beklebten Streifen waren früher auf dem Land und in der Stadt ein alltäglicher Anblick, ja selbst über dem Esstisch baumelten die Fliegenfänger und verhinderten, dass die Tiere ihre Fresslust direkt an den Tellern stillten.

Ein Leben für die Wissenschaft - die Taufliege Drosophila melanogaster

Für die Hausfrau ist sie eine Plage, wenn sie sich in der Küche auf reifem Obst niederlässt und die Hersteller von Obstkonserven fürchten sie, weil sie sich innerhalb kürzester Zeit explosionsartig vermehren und ganze Obstlager vernichten kann. Hingegen ist sie für viele Genetiker das Forschungsobjekt par excellence: die Taufliege Drosophila melanogaster. Die Generationszeit dieser einfach zu züchtenden, 2 bis 3 mm großen Fliege beträgt nur 10 Tage, und sie stellt keine Ansprüche hinsichtlich des Speisezettels, faulige Bananen genügen ihr. Kurzum, das ideale Versuchstier.

Seit der Amerikaner Thomas H. Morgan im Jahre 1910 an dieser Fliege genetische Experimente machte, ist sie zum klassischen Objekt der Vererbungswissenschaft und damit zu einem der bekanntesten Insekten überhaupt geworden. Viele der grundlegenden genetischen Vorgänge, wie die an das Geschlechtschromosom gebundene Vererbung, wurden zuerst bei Taufliegen beobachtet und aufgeklärt.

Maden überführen Mörder

Die sich auf toten, im Freien liegenden Körpern entwickelnden Schmeißfliegenarten (Calliphora spec., Lucilia spec.) mit ihren spezifischen Lebensraumansprüchen können wichtige Indizien hinsichtlich eines Tetungsdeliktes liefern. So ist Calliphora vicina eng an menschliche Siedlungen gebunden, während Calliphora vomitoria vorwiegend in Waldgebieten vorkommt. Ähnliche Verhältnisse finden sich bei Lucilia, wobei L. sericata eine Präferenz für höhere Temperaturen hat und daher eher in Dörfern und Städten in Erscheinung tritt, während andere Lucilia-Arten mehr im offenen Gelände vertreten sind. Die An- oder Abwesenheit bestimmter Schmeißfliegenarten auf Leichen kann somit Hinweise auf den Tatort eines Mordes liefern. Zudem sind durch die exakte Kenntnis der Wachstumskurven der Fliegenmaden unter Berücksichtigung der örtlichen Wetterdaten in den ersten Stunden und Tagen post mortem auch zeitlich eng eingrenzbare Abschätzungen der Liegezeit vor Ort möglich. Die Todesart beeinflusst ebenfalls den Verlauf der Besiedlung durch Fliegen. Durch Schuss- oder Stichverletzungen wird diesen Zutritt zu Körperregionen gewährt, die normalerweise erst in einem späteren Zerfallstadium besiedelt würden. Die Fliegen sind in der Lage, fettlösliche Bestandteile in ihrem eigenen Körpergewebe anzureichern, ein Umstand, der sie zu einzigartigen »Zeugen« von Giftmorden werden lässt. Ist ein vergiftetes Todesopfer längst skelettiert, so kann dennoch das Gift in vor Ort verbliebenen Madenoder Puppenresten nekrophager Fliegen nachgewiesen werden und somit den Täter überführen.

Trauermücken kündigen Krieg an

In einer Länge von bis zu 10 Metern und einer Breite von 15 cm können im Hochsommer Tausende von Larven der Heerwurm-Trauermücke (Sciara militaris) eng aneinandergereiht als schmales bleiches Band über den Waldboden kriechen. In früheren Zeiten erregte die Erscheinung dieses »Heerwurms« großes Aufsehen, man deutete sein Auftreten als Anzeichen eines kommenden Krieges oder großer Notzeiten. Wissenschaftlich ist dieses Phänomen jedoch vermutlich mit der Suche der Larven nach einem geeigneten Ort für die Verpuppung zu erklären.

Ausblick

Wie auch aus obigem Beispiel deutlich wird, waren den Menschen früherer Zeiten die meisten mit Insekten zusammenhängenden Phänomene rätselhaft. So war man der Ansicht, dass Fliegen, Wanzen und derlei Getier unvollkommene, aus verwesenden Stoffen und nicht durch Zeugung entstandene Tiere seien. Demzufolge mussten sie mit den höllischen Mächten in Verbindung stehen.

Auf dieser geistigen Grundlage wurden auch Dämonen ins Leben gerufen wie im Iran, wo der weibliche Dämon Nasu in Fliegengestalt durch alle Körperöffnungen eindringe und so die Krankheiten verursache. Nasu verkörperte Unreinheit, Verwesung und Zerfall, ernährte sich vornehmlich von Leichen und konnte von »aasfressenden Hunden und Vögeln« vertrieben werden, denn die Hunde und Vögel sind hilfreiche Geschöpfe des Ormuzd (= König des Lichtes), deren Blick Dämonen verjagen kann.

Die Kanaaniter verehrten Beelzebub, den »Herrn der Fliegen«, dessen Tempel nie von diesen unreinen Insekten beschmutzt wurde, zum Schutz gegen die Fliegenpest (SELIGMANN 1948).

Auch wenn heutzutage Fliegen als Forschungsobjekt dienen, das sich der Mensch für den Fortschritt seiner Art zunutze macht und vieles Dämonische und Mystische entzaubert ist, so gibt es immer noch viel Faszinierendes im Leben der über 120 000 Fliegenarten auf der Erde und vieles wartet noch auf seine Entdeckung.

Literatur

ALBERTUS MAGNUS (>1262): De animalibus libri XXI. - Köln.

BERENBAUM, M. R. (1997): Blutsauger, Staatsgründer, Seidenfabrikanten: die zwiespältige Beziehung von Mensch und Insekt. - Heidelberg.

FRISCH, K. von (1976): Zwölf kleine Hausgenossen. - Reinbek bei Hamburg.

GÜNTHER, K. et al. (1994): Urania-Tierreich: Insekten.-Jena.

LANE, R. P. (1975): An investigation into Blowfly (Diptera: Calliphoridae) succession on corpses. - Journal of natural History 9, 581-588.

LÖHR VOM WACHENDORF, F. (1954): Die große Plage. Roman einer Wissenschaft. - Frankfurt/Main.

MAYER, K. (1962): Aus der Frühzeit der Fliegenbekämpfung. - Zeitschrift für angewandte Zoologie 49, 25-37.

PETSCH, H. (1960): Zur Toxizität des Fliegenpilzes (Amanita muscaria L.) für Diptera, insbesondere die Große Stubenfliege (Musca domestica L.). -Beiträge zur Entomologie 10, 405-409.

SELIGMANN, K. (1948): Das Weltreich der Magie. 5000 Jahre geheime Kunst. - Wiesbaden.