Das einsame Glöckchen

Franz Josef Ferber, Daun

»Auch vom Schaume rein muss die Mischung sein. Dass vom reinlichen Metalle rein und voll die Stimme schalle.« So steht es bei Friedrich von Schiller im Gedicht »Das Lied von der Glocke«. Mit diesem hohen kunsthandwerklichen Anspruch kann das hier abgebildete Glöckchen nicht aufwarten. Das sieht man schon auf den ersten Blick, an der ziemlich unebenen Oberfläche, die etliche Löcher aufweist, sichere Anzeichen dafür, dass die Glockenspeise alles andere als schaumrein war. Und was seinen Klang angeht: Rein ist der Ton nicht gerade. Es würde gewiss schwer fallen, ihn ins Gefüge der Melodik richtig einzuordnen. Das alles hört sich weiß Gott nicht harmonisch an, macht aber nichts. Es mindert nicht im geringsten den historischen und volkskundlichen Wert dieses Kleinods. Die negativen Merkmale dürfen nicht dazu verleiten, die kleine Glocke geringschätzig zu behandeln. Nein, sie verdient es, ästimiert zu werden. Denn eines ist sicher: Was der kleinen Kirchenglocke an handwerklicher Qualität mangelt, das macht sie durch andere positive Eigenschaften voll und ganz wett. Das Glöckchen ist ein seltenes , überzeugendes Relikt der Dorfgeschichte. Es erinnert an eine frühere, längst vergessene Gebetsstätte, und es zeugt von der tiefen Frömmigkeit unserer Ahnen, die es einst zum gemeinsamen Gebet aufgerufen hat. Über die Herkunft des ortsgeschichtlich beachtenswerten Relikts ist nur wenig bekannt. Es ist aber einiges mündlich überliefert worden. Immerhin weiß man soviel, dass es aus dem Tal der Üß, aus Hörschhausen, stammt. Dort

Glöckchen aus dem früheren Kapellchen am Klopp in Hörschhausen.

Foto: Daniel Ferber, Daun

hat es lange Zeiten hindurch in dem Kapellchen gehangen, das ehedem am Fuße des Klopp, des Hörschhausener Heimatberges, nur ein paar Schritte vom Anwesen des späteren Ortsbürgermeisters Kaspar Theisen entfernt, stand. Dieses kleine Dorfgotteshaus soll etwa um 1800 abgebrochen worden oder verfallen sein. Das Glöckchen wurde aus den Trümmern gerettet und in der Dorfkapelle, in dem eingemauerten Schrank hinter dem Altar, verwahrt. Das alles hat Kaspar Theisen (1906-1981) von seiner Großmutter, diese wiederum von ihrer Mutter erfahren. Dort, in dem dunklen und feuchten Wandschrank, hat das Glöckchen die Jahrzehnte hindurch gestanden, einsam und verlassen. Erst 1972 erinnerte man sich seiner. Damals wurde die 1762 erbaute, dem heiligen Apollinaris geweihte Filialkapelle grundlegend restauriert. Der Wandschrank verschwand. Wohin nun mit dem Glöckchen? Das war die Frage. Kurzerhand nahm der Herr Bistumsrestaurator es mit nach Trier, restaurierte es und gab es zurück. Im Dorf war keine günstige Bleibe für das gute Stück. Bürgermeister Theisen vertraute es fürs erste dem Verfasser dieses Beitrages (er war Mitglied des Verwaltungsrates der Pfarrgemeinde Üß) an. Dieser nahm es in Verwahr, überlegte lange, wie es weitergehen sollte. Eines Tages kam ihm eine Idee. Das von ihm mit geplante »Kulturhaus Altes Landratsamt« in der Dauner Leopoldstraße könnte ein angemessener Platz für das einsame Glöckchen werden. Dort würde es sicher aufgehoben sein, und jedermann könnte es sehen. Jedoch, aus den großartigen Bauplänen wurde am Ende trotz Richtfest nichts. Sozusagen in letzter Minute ist alles schiefgegangen, aus finanziellen Gründen, so hieß es.

Was nun? Unter diesen Umständen würde man normalerweise das Kulturobjekt seinem rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben haben. Wer das war, wusste man 1972 nicht, und man weiß es auch heute nicht so recht. Entscheidend bleibt, das das lokalgeschichtlich wichtige Kulturerbstück auf Dauer in zuverlässige würdige Hände gelangt. Das heißt, es muss sicher verwahrt und uns sowie der Nachwelt erhalten bleiben. Ein solch passender, regional nachgerade idealer Hort ist zweifellos das Bischöfliche Dom- und Diözesanmuseum in Trier, ein Spezialmuseum, dessen Aufgabe es ist, religiöses Kulturgut zu sammeln, aufzubewahren, wissenschaftlich zu bewerten und gegebenenfalls zu präsentieren. Und genau dorthin hat der Schreiber dieses Artikels das Glöcklein seines Heimatdorfes, das er bis dahin sorgsam hütete, gebracht. Der Museumsrestaurator Hermann Josef Laros hat den Empfang schriftlich bestätigt. Das war am 23. Juni 1997.