Reinecke Blauauge - der Findling

Marianne Schönberg, Jünkerath

Wie der Mensch AUF DEN HUND kam, ist vielfach dokumentiert. Die Spuren führen zu Wolf und Fuchs als Vorfahren, was Züchter daraus machten, wie sie den Freund des Menschen verstümmelten, zum lebenden Sofakissen verkommen ließen... das ist eine andere Geschichte. Reinecke Blauauge ist Freund des Hauses und lebt nun als erwachsenes Tier im Gehege, direkt neben SEINEN LEUTEN. Die halten ihn wie einen Haushund und er scheints zufrieden. Dass er STINKER heißt - auch in der Kartei des ansässigen Tierarztes - macht ihm kaum Magendrücken. Er wird liebevoll versorgt und das ist wichtig. Seine Geschichte? Die liest sich so:

Es war in der letzten Aprilwoche, die Burschen holten ihren Maibaum ein, kalt war's, nass. Da kamen Wanderer und hatten ein ETWAS in der Hand, gefunden am Wegrand, es quäkte erbärmlich. Was macht man damit? Die jungen Leute schickten die Waldläufer zum Tierarzt, zum Forstbeamten - kein Mensch war zu Hause. So brachten sie die Handvoll Leben wieder zu den jungen Männern und einer holte schließlich das armselige Kerlchen mit heim. Ein Marder? Niemand im Haus freute sich so recht über den Findling, aber kann man ihn liegen lassen? Ein fester Schlag drauf - wer machts? Niemand. Ein Liebesperlenfläschchen muss her, wird mit einer Mischung aus Milch und Wasser gefüllt, dem Tierchen eingegeben und bald schmatzt es genüsslich - es kommt zu Kräften und der Veterinär entscheidet, das wird ein

Foto: Gertrud Scheiner

wunderschöner Fuchs. Weiches, graues Kinderfell hat Meister Reinecke, blaue Äugelchen, immer sucht er nach Streicheleinheiten, beißt im Haus Pantoffeln und Gürtel an, Decken und Kissen, nichts ist vor ihm sicher. Am liebsten sitzt er im großen Eckfenster mit Blick auf die Straße und da sieht er so dekorativ und edel aus, dass die meisten Besucher des Hauses meinen, dies sei eine Porzellanfigur. Doch in der Wohnung gibts keine Ecke, die der Blauäugige nicht untersucht. Er springt in Blumentöpfe und Pflanzkübel, schaut wie ein pfiffiger Kobold zwischen den Gitterstäben der Heizung hervor und trotz aller Untaten kann ihm niemand richtig gram sein. Umtriebig verlangt er Zuneigung und Aufmerksamkeit, wird groß und »ruchbar«.

Irgendwann gehts nicht mehr im Haus mit dem listigen Gesellen, ein Gehege muss her, neben dem Haus, ein großes mit vielen Laufgängen und allerlei Ecken zum Untertauchen - der Rote soll sich ungehindert bewegen können, denn ins Freie will er nun nicht mehr, er hat sich mit den Menschen vertraut gemacht, es sind SEINE LEUTE.

Das allmorgendliche Ritual, ein Rufen ähnlich dem Hund nach dem Herrn. Wenn dann jemand von der Familie kommt, ihn begrüßt, streichelt, (vielleicht hat er auch eine Pflaume in der Tasche?) dann ist die Welt wieder in Ordnung und der Tag kann beginnen. Besuch empfängt der ROTE auch ab und an, seine Freundin aus Kindertagen, eine getigerte Hauskatze; die beiden sind ein Herz und eine Seele. Mittlerweiler hat der Blauäugige die Augenfarbe gewechselt, bernsteinfarben ist sein Blick, das Fell rotbraun im Sommer, dunkel in den Wintermonaten. Den Arbeitsalltag der Familie stört der ROTE nicht, er gehört zum Haus wie ein Hund, und Besucher fragen nun schon nach ihm - nein, anschauen lässt er sich nicht mehr ohne weiteres. Schließlich ist er ein Fuchs, ein scheues Tier...; das hatten wir fast vergessen.