Vor fünzig Jahren:

Ende der Hamsterzeit

Franz Josef Ferber, Daun

Viele erinnern sich noch: Am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg zu Ende. Die Notjahre der Nachkriegszeit begannen. Es mangelte an allem, besonders an den notwendigen Lebensmitteln. Trotz Hilfe aus dem Ausland verhungerten zahlreiche Menschen, Tausende starben an den indirekten Folgen der Unterernährung. Der »typisch Deutsche« sah damals hohlwangig, blass und abgemagert aus.

In besonderem Maße arm dran waren die Bewohner der westdeutschen Städte. Sie rafften alles zusammen, was sie entbehren konnten, strömten in die Eifel und tauschten die Sachen gegen Nahrungsmittel ein. »Hamsterer« nannte man diese ausgehungerten Menschen. In Wirklichkeit waren sie keine, denn sie haben - im Regelfalle - nicht gehamstert, sondern nur für sich und ihre Familien Waren getauscht, um die Notzeit zu überstehen. Und tatsächlich haben sie nur mit Hilfe der ländlichen Bevölkerung überlebt. »Tauscher« wäre für sie die zutreffendere Bezeichnung gewesen. Den Bauern war gleichzeitig geholfen. Ihnen mangelte es an Dingen des täglichen Bedarfs. Der geschichtlichen Wahrheit wegen ist anzumerken, dass es auch schwarze Schafe gegeben hat, also wirkliche Hamsterer, die mit der Hamsterware in den Städten einen schwunghaften Handel betrieben. Die Militärregierung hatte beides verboten. Wen man erwischte, dem wurde die Ware weggenommen, und er wurde bestraft. Jedoch sind die Besatzungsanordnungen, deren Einhaltung die deutschen Behörden zu überwachen hatten, alles andere als streng gehandhabt worden. Man muss bedenken, dass in deutschen

Kontrolle 1948 in der Eifel. Ein Schmuggler wird durch eine Hundestreife gestellt. Beim Öffnen der Anzugsjacke fallen überall Schokoladenpäckchen heraus. Foto: Quick. Die aktuelle Illustrierte, Jg. l, 31. Oktober 1948. Zeitschriftenarchiv Klaus Ring, Blankenheim-Waldorf

Amtsstuben auch - im wahrsten Wortsinne - hungrige Beamte saßen, die Verständnis für ihre hungernden Mitmenschen aufbrachten. Sie sahen noch lange nicht alles, was sie hätten sehen sollen. Allerdings gab es auch hier Ausnahmen. Trotzdem wundert es einen, wie oft Hamsterer bei polizeilichen Kontrollen im Kreis Daun erwischt wurden und wieviele Tauschwaren man ihnen abgenommen hat. Akten der Kreisverwaltung vermitteln hiervon ein eindrucksvolles Bild. In Jünkerath zum Beispiel ist anscheinend verhältnismäßig oft kontrolliert worden, was vermutlich mit der zentralen Bahnstation, der Nähe zur belgischen Staatsgrenze und zur britischen Zonengrenze zu tun hatte. Man erfährt auch, woher die Hamsterer kamen, was sie zu tauschen hatten und wie groß im einzelnen die beschlagnahmte Warenmenge war. Dabei wird offenkundig, dass es nicht alle »kleine Sünderlein« waren und einige zum wiederholten Male ertappt wurden. Mit Sicherheit aber war die Zahl derer, die beim Hamstern nicht auffielen, um ein Vielfaches höher.

Woher sie kamen

Die sogenannten Hamsterer kamen zumeist von weit her, aus größeren Städten, beispielsweise Duisburg, Pirmasens, Viersen, Köln, Leverkusen, Düsseldorf, Wuppertal, Neuss, Rheydt, Zweibrücken und Trier. Auffallend ist, dass etliche, denen Hamsterware weggenommen wurde, in der Hunsrück- und Moselgegend, in Nachbarkreisen und im Kreis Daun wohnten.

Vielfältige Tauschobjekte

Die Tauschobjekte waren vielfältig. Sie reichten von unentbehrlichen Lebensmitteln über alle möglichen Artikel des täglichen Bedarfs bis hin zu Genussmitteln. Im einzelnen sind beispielhaft zu nennen: Lebensmittel Butter, Speck, Rauchfleisch, Schmalz, Nierenfett, Öl, Hühnereier, Roggen- und Weizenmehl, Hefe, Kartoffeln, Weizen, Gerste, Hafer.

Artikel des täglichen Bedarfs Strick- und Nähgarn, Schuhe, Hemden, Arbeitsanzüge, Schürzen, Seife, Seifenpulver, Kaffeeservice, Kleesamen, Seide, Kinderbekleidung, Fahrradmäntel, Glühbirnen, Kunstdarm, Radiogeräte. Genussmittel Wein, Schnaps, Bohnenkaffee, Zigaretten, Zigarettenpapier, Tabak.

Bei den zahlreichen Tauschgeschäften standen Butter und Speck an oberster Stelle der Rangliste. Aber auch Wein und Weinbrand spielten eine nicht gerade untergeordnete Rolle. Das beweisen die verhältnismäßig vielen Beschlagnahmungen. Gewiss die Mosel ist nicht weit und das Bitburger Land mit seinen Schnapsbrennereien ebenfalls nicht. Wie recht Wilhelm Busch doch hatte, als er dichtete: »Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör!«

Unterschiedliche Mengen

Die beschlagnahmten Mengen waren sehr unterschied! ich. Die meisten Fälle sind eher als harmlos zu bezeichnen. Zum Beispiel waren zwei Pfund Butter und ein Pfund Speck oder vier Pfund Nierenfett sicher nicht des Aufhebens wert. Acht oder 10 Flaschen Wein hätte man vielleicht auch noch tolerieren können. Aber bei 280 Flaschen Wein, die ein Herr K. aus Mertesdorf rausrücken musste, hörte der Spaß auf. Das galt auch für Herrn B. aus Pelm; er hatte 340 Flaschen Wein in seinem illegalen Gepäck. Und 24 Flaschen Schnaps waren ebenfalls kein Pappenstiel; Herr A. aus Oberemmel wollte sie verhökern. Dem Herrn N. aus Sülm ging es mit seinen 18 Litern Branntwein nicht besser; im Nu war er sie los. 500 Zigaretten, na ja, das war damals schon etwas; Herr P. aus Mettmann hatte vor, sie an den Mann zu bringen, Lebensmittel wären ihm lieber gewesen, aber nun war alles futsch. Herr H. E. Seh. aus Zweibrücken hatte auch ganz ordentlich geladen, als er zum Tauschen in die Eifel fuhr, sonst hätte der weite Weg aus der Pfalz sich kaum gelohnt. Ihm hatte die Polizei allerlei abgenommen: »6 Paar br. Schuhriemen, 10 Paar schw. Schuhriemen, 50 Büchel Zigarettenpapier, l Paar Damenstrümpfe, 3 Paar Gummisohlen, l St. Toilettenseife, l St. Kernseife, 2 St. Rasierseife, 2 Strampelhöschen, 80 deutsche Zigaretten, 40 engl. Zigaretten, l Paket Tabak«.

Noch schlimmer kam es für Herrn J. K. aus Waldrach. Seinem Warenangebot nach zu urteilen, hätte er von Beruf Gemischtwarenhändler sein können. Das war er aber nicht. »Kassierer« hatte er bei seiner polizeilichen Verneh-

Hamsterer-Kontrolle im Jahre 1947. Die Frau aus dem Ruhrgebiet, deren Koffer gerade kontrolliert wird, kann den

rechtmäßigen Erwerb des Brotes auf Lebensmittelkarten nachweisen.

Foto: Rheinische Illustrierte, Jg. 2, Nr. 35/1947, S. 7. Zeitschriftenarchiv Klaus Ring, Blankenheim-Waldorf

mung angegeben. Diesmal kam er jedoch nicht dazu, seinen Beruf auszuüben. Nicht er kassierte, sondern es wurde bei ihm kassiert und das nicht zu knapp. Er musste herausrücken: »3 Platten Gummisohlen, div. Sicherheitsnadeln, 9 Br. Nähnadeln, 10 Rollen Nähgarn, l Bündel Gummiringe, 7 Reißverschlüsse, 3 Rundstricknadeln, 3 Schachteln Stricknadeln, l Paket Drahtstifte, l Tüte Drahtstifte, l Tüte Sicherheitsnadeln, 4 St. Seife, 2 Tuben Gummilösung, l Paar Schnürsenkel, 3 Pfeifenspitzen, 22 Eier, 300 gr. Rauchfleisch«. Den dicksten Brocken konnte die Gendarmerie am 10. April 1948 verzeichnen. An diesem Tag erwischte Gend.-Wachtm. H. Herrn M. K. aus Düsseldorf auf der Landstraße zwischen Mehren und Gillenfeld.

Er war von Kröv kommend mit einem Lastkraftwagen unterwegs, hatte »etwa 640 Liter Wein in Fässern und 215 Flaschen Wein« geladen.

Hierfür hatte er dem Moselwinzer ein gebrauchtes Schlafzimmer gegeben. Papiere konnte er nicht vorzeigen, und er hatte die englisch-französische Zonengrenze unberechtigterweise überschritten. Die gesamte Ladung wurde beschlagnahmt.

Unbekannte Fundsachen

Obwohl ihnen die Hamsterware in die Hände fiel, gelang es den kontrollierenden Polizeibeamten nicht immer, die Hamsterer beim Kanthaken zu nehmen. Diese hatten sich früh genug aus dem Staub gemacht und die Ware einfach liegen lassen. Anders ist es wohl nicht zu erklären, was die Kontrolleure dann »Unbekannte Fundsache« nannten. So steht es nämlich auf den Fundzetteln. Darauf ist auch genau ausgeführt, was wo im einzelnen gefunden wurde. Die Fundstellen waren fast ausnahmslos in Jünkerath, vermutlich im Bahnhofsbereich, in einigen Fällen in den Zügen, die zwischen Köln und Trier verkehrten. Bezeichnend ist, dass die Fundsachen vielfach ausschließlich oder auch aus Bohnenkaffee bestanden. Wegen der Nähe der belgischen Grenze ist zu vermuten, dass der Kaffee hierüber geschmuggelt wurde. Manchmal waren es beträchtliche Mengen an Kaffeebohnen, die die Hamsterer beziehungsweise Schmuggler hinterließen, zum Beispiel 11,5 kg, 3,5 kg, 18 Pfund. Natürlich wurden hier auch die üblichen Hamsterwaren beschlagnahmt, vornehmlich Butter, Speck, Wein und Branntwein.

Das Ende

In diesen Notjahren war die Reichsmark wertlos. Sie galt zwar noch als offizielles Zahlungsmittel, die wirkliche Währung jedoch war die Tauschware: Butter, Speck, Eier, Kartoffeln, Mehl, Zigaretten und anderes mehr. Am 20. Juni 1948 gab es neues Geld. Die Reichsmark wurde durch die Deutsche Mark abgelöst. Ein Tag danach, am 21. Juni, waren die Geschäfte voll mit Lebensmitteln, Gebrauchs- und Luxusgütern (!). Die Leute wunderten sich, wo das plötzlich alles herkam. Von nun an ging es schnell bergaufwärts. Lebensmittelkarten wurden zwar noch bis 1950 ausgegeben, aber schon 1949 waren sie meistenteils überflüssig geworden. Es gab alles frei zu kaufen. Hamsterer sah man anfangs nur noch vereinzelt in den Dörfern und nachher gar nicht mehr. Die sogenannte Hamsterzeit war vorbei.

Quellen:

Notjahre der Eifel 1944-49, Katalog zur gleichnamigen Wanderausstellung des Arbeitskreises Eifeler Museen (AEM), Warlich Druck, Meckenheim, 1983; Erich Mertes »50 Jahre Deutsche Mark«, Heimatjahrbuch des Kreises Daun 1998, S. 80; Akten der Kreisverwaltung Daun