Bahnsteig 2 Daun meldet sich

Hans-Peter Kühl, Geolstein

Das waren noch Zeiten! Wer mich heute zum ersten Mal erblickt, kann sich nicht vorstellen, welches Leben einmal auf mir herrschte.

Zur Person: Bahnsteig 2 vom Bahnhof Daun, früher mit meinem Bruder - dem Bahnsteig l -und dem Empfangsgebäude durch eine Unterführung verbunden und zuständig für die geordnete Abwicklung des Personen- und Frachtverkehrs. Lange Zeit war ich der wichtigere von beiden Bahnsteigen, fuhren doch von mir aus die Züge nach Andernach, Koblenz und Gerolstein ab, während, mein Bruder mit denen nach Wengerohr vorlieb nehmen musste.

Sichtbarstes Zeichen meiner Bedeutung war das Bahnsteigdach, einfach, aber das einzige seiner Art zwischen Mayen und Gerolstein. Immerhin - ich war ja Bahnsteig einer Kreisstadt. Viel hat sich unter meinem Dach und daneben abgespielt: Dampf- und Dieselloks kamen, Schienenbusse kreuzten sich an meinen beiden Gleisen, viele oft junge Füße betraten mich und fast regelmäßig zu jedem Personenzug kam auch der Gepäckkarren herangerollt. Und dann die vielen Eisenbahner: Heizer, Lokführer, Rangierer, Schaffner, Ladegehilfen, unser Bahnhofsvorsteher und Fahrdienstleiter und ab und zu sogar ein »hohes Tier« (1968 sogar der Chef der Ungarischen Staatsbahnen).

Mein Niedergang begann Ende 1981 als - kurioserweise - mein Bruder seine angestammten Züge

Bahnsteig 2 - heutiger Zustand

verlor. Die Bahnstrecke von Daun nach Wittlich wurde am l. 11. 1981 stillgelegt. Als Folge fuhren nun mehr und mehr »meiner« Züge auch bei ihm ab. Vermutlich sind die Zweibeiner eine faule Rasse, die die wenigen Schritte mehr bis zu mir nicht gehen wollten. So beraubte man mich dann zunehmend meines schmückenden, aber notwendigen Beiwerks: Bänke, Abfahrtstafel, Zugzielanzeiger, Papierkörbe, Lautsprecher und sogar des Briefkastens für die bahninterne »EDS-Post«. Im Herbst 1983 wurde mein Gleis 3 mit einigen Schwellen gesperrt, im Gleis 4 eine lange Reihe ausgemusterter Güterwaggons abgestellt. Das war dann das Ende meiner Personenzugkarriere. Und 1984 gar, als gegenüber die Fahne des »rosaroten Jahres bei der Bahn« neuen Schwung verkündete, wurde mir schwarz vor Augen; das Bahnsteigdach abgebaut, die Bodenplatten herausgerissen und die Unterführung vernagelt. 1985 kam dann der Rest; Bahnsteigunterbau und die beiden Gleise rechts und links von mir wurden »zurückgebaut«. Nun bin ich fast ganz wegrationalisiert, nur mein überdachter Treppenaufgang steht noch allein in der tristen Bahnhofslandschaft als ein Relikt aus besseren Tagen. Blumen und Wildkräuter wachsen da, wo früher Züge fuhren und die Menschen warteten. Was weiter aus mir werden wird, weiß ich nicht.

Manche wollen zwar den Personenverkehr und das Leben im Bahnhof zurückbringen, aber wird das klappen?

Ich weiß gewiss nur, dass ich sie vermissen werde; den Pfiff des Schaffners, den Abschiedsgruß der Reisenden, das Rattern der Räder und das Bremsengequietsche ankommender Züge.