Karneval im Frühsommer

Markt und Gerichtstag an der Jünkerather Schloßruine

Hubert Pitzen, Stadtkyll

Ein Markt und Gerichtstag, das hatte die Verbandsgemeinde Obere Kyll bisher noch nicht erlebt. In früheren Zeiten war es allerdings üblich, Gericht und Markt an einem Tag abzuhalten. Das Spektakulum, das sich am 7. Juli 1998 rund um die »Glaadter Burg« abspielte, lockte viele Schaulustige an. Es handelte sich um das »juristische Nachspiel« eines Ereignisses, das am Morgen des Weiberdonnerstags die Jünkerather Narrenzunft aufgeschreckt hatte.

Die Vorgeschichte

Seit einigen Jahren gehört es zur karnevalistischen Tradition, dem Prinzen der Jünkerather »Kylltalnarren« ein Wachhäuschen vor seine Privatresidenz zu stellen, wo die Ehrengarde während der »tollen Tage« ihren Wachdienst verrichtet. Doch in diesem Jahr geschah eine Freveltat. In der Nacht zum Weiberdonnerstag hatten drei Übeltäter dieses Wachhäuschen übel zugerichtet. Der Schock der Jünkerather Karnevalisten saß tief, als sie am Morgen das traditionelle Prinzenfrühstück einnehmen wollten:

Das Wachhäuschen war zu einem Klohäuschen unfunktioniert worden. Eine WC-Schüssel, eine Papierrolle, eine Bürste und ein Herztürchen ließen dem Prinzen Harald I. und seinem Gefolge das Blut in den Adern stocken. Wütende Vorwürfe an die eigene Ehrengarde, den Wachdienst nicht ordnungsgemäß versehen zu haben, wurden laut. Nach dem ersten Schreck reagierten die Kylltalnarren sofort: Der Gardekommandant Winfried Bauschen lobte eine Belohnung für zweckdienliche Hinweise aus. Sodann kamen die ersten Verdächtigungen auf, als die örtliche Presse das Foto von drei Gestalten in ku-klux-klan-ähnlicher Maskerade veröffentlichte, als diese justament die Freveltat begingen. Sofort wurde ein geheimer Verfolgungsstab gebildet, der die Ermittlungen einleitete. Eine fieberhafte Spurensuche begann. Bald hatte man drei Verdächtige ausgemacht, natürlich aus Stadtkyll, denn recht schnell war die Vermutung aufgekommen, es könne sich nur um Stadtkyller handeln, die zu einem solchen Tun imstande seien.

In einer Vorverhandlung im Vereinslokal der Kylltalnarren wurden die Verdächtigen Fritz Peter Linden, Wolfgang Friedrich und Bernd Schmilz, seines Zeichens Präsident des »Stadtkyller Karnevalsvereins Dajöh«, vorgeladen. Auf dem Pressefoto hatten die wachsamen Augen der Jünkerather Ermittler einen behaarten Arm ausgemacht. Also mussten die drei Stadtkyller Tatverdächtigen ihre Arme entblößen. Die Überraschung war groß, als Bernd Schmilz einen rasierten Arm präsentierte. Die Sachlage war also klar. Man hatte versucht, Indizien mit dem Rasierapparat zu entfernen. Trotz aller Unschuldsbeteuerungen konnten die Stadlkyller den auf ihnen lastenden Verdacht nicht entkräften, so dass man sich entschloss, ihnen den Prozess auf dem Jünkerather Schloss zu machen.

Der Schauprozess

Am 7. Juni 1998 ist es soweit Fanfarenklänge erschallen und eröffnen die Sitzung des hochnotpeinlichen Schwurgerichts vor einer immer größer werdenden Menschenmenge. Um 11.11 Uhr betritt das Gericht unier dem Beifall der Zuschauer die Gerichtsstätte und nimmt auf einer Holzbühne Platz. Der Gerichtsdiener (Friedel Mommer) und der Gerichtsschreiber (Hubert Pitzen) hatten zuvor in historischen Gewändern die notwendigen Vorbereitungen getroffen. Das Gericht setzt sich zusammen aus dem Richter (Georg von Aderkass, Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht Koblenz), der Anklagevertretung (Vera Soose-Seilz, Rechtsanwältin), der Verteidigerin (Marianne Mastiaux, Rechtsanwältin) und den Beisitzern (Dieter Klaus, Harald Heinzen und Winfried Bauschen). Dann kommen die Angeklagten. Unter Buh-Rufen werden sie vom gewichtigen Scharfrichter (Franz Josef Lorse) an Händen gefesselt vor das Gericht geführt. Blitzschnell unternimmt Bernd Schmilz einen Fluchtversuch. Doch die jetzt aufmerksame Ehrengarde fängt ihn ein. Wie es bei mittelalterlichen Gerichtssitzungen üblich ist, wird der Ausbrecher an den Pranger gestellt und dem Gespött des Volkes preisgegeben. Natürlich hatte sich die Situation der Angeklagten durch dieses unvorhersehbare Ereignis nicht verbessert, im Gegenteil. Die Überraschung war groß, als Bernd Schmilz sich auch vom Pranger befreit und sich zu seinen Mitgesellen auf die Bühne begibt. Der Vorsitzende Richter ermahnt die Angeklagten, solche Mätzchen zu unterlassen und befragt sie anschließend zu Person. Auch in der nachfolgenden Beweisaufnahme mit Zeugenbefragung erhärtet sich der Verdacht gegen die Stadlkyller. Diese aber beteuern ihre Unschuld und sehen das Ganze als Schikane an. Sie beschweren sich über ihre Haflbedingungen und strafen das Gericht durch eine Runde Skat mit Missachtung. Das Gericht lässt während der gesamten Verhandlung keinen Zweifel daran, die Täler mit aller Härte zu bestrafen. Aber auch die Wachgarde muss sich wegen mangelndem Pflichtgefühl Vorwürfe gefallen lassen. Der Hinweis, dass man in der betreffenden Nacht nach Lissingen zu einem Auftritt abkommandiert gewesen war, entschuldigt das Gericht nicht.

Nach der Beweisaufnahme halten die Staatsanwältin und die Verteidigerin die Schlussvorträge und das Gericht macht nochmals deutlich, dass die Angeklagten nach Jünkerather Landrecht eine harte Strafe zu erwarten haben. Als der Richter die Verhandlung zwecks Beratung für eine Stunde unterbricht verdüstert sich der Himmel angesichts des zu erwartenden schlimmen Urteils. Ein Gewitter geht nieder und vertreibt die Menschenmenge, die mit stockendem Atem dem Prozeß gefolgl war. Die überraschende

Wende

Nach der Beratung tritt das Gericht zur Urteilsverkündung zusammen. Der niedergehende Platzregen halle die Pause verlängert, in der der Glaadter Scharfrichter bereits das Henkersbeil geschliffen halle. Als der Richter gerade im Begriff ist, das Urteil zu verkünden, wird er jäh durch das Erscheinen eines Boten unterbrochen. Dieser überreicht dem Gerichtsdiener eine Rolle, in der sich neues Beweismaterial befinden soll. Vorsichtig entrollt der Diener ein überdimensionales Foto, auf dem die in der Zeitung abgebildeten Gestalten im Konterfei zu erkennen sind. Jetzt ergreift die Jünkerather Narrenschar das Grauen. Voller Entsetzen erkennen sie in den Übeltätern ihre eigenen Karnevalsfreunde Dieter Klaus und Elk Rode, von denen einer noch vorher als Gerichtsbeisitzer fungiert hatte. Handgreiflichkeiten, begleitet mit Schreien des Entsetzens, sind in der Aufregung und dem anschließenden Tumult nicht zu vermeiden.

Das Urteil

Als wieder eine bedrückte Ruhe nach der Hektik einkehrt, verkündet der Richter das Urteil. Die Übeltäter Dieter Klaus und Elk Rode sowie der Gardeführer Winfried Bauschen (wegen schlechter Ermittlungsarbeit) müssen sich zur Strafe im Stadtkyller und Jünkerather Rosenmontagszug in einem vergitterten Wagen dem Gespött der Jecken aussetzen. Aber auch die drei Stadtkyller ereilt das gleiche Schicksal, weil sie sich bei der Verhandlung schlecht benommen und nicht zur Aufklärung des Verbrechens beigetragen hatten.

Das Resümee

Die gesamte Veranstaltung war ein »tolles« karnevalistisches Ereignis an der Oberen Kyll. Schade nur, dass ein großer Teil der Zuschauer die überraschende Wende durch den Platzregen nicht miterlebte. Erst durch einen Beitrag in der »Landesschau« des Südwestfunks am folgenden Tag oder aus der Presse erfuhr man die gnadenlose Wahrheit. Schon am Vortag fand rund um die Schlossruine ein Floh- und Bauernmarkt statt. Etwa 50 Stände boten ihre Waren feil. Das Ambiente der unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Eisenbahnersiedlung »Neue Kolonie« bietet sich für solche Veranstaltungen geradezu an. Auch der Ort der Gerichtsverhandlung, der Burghof des Schlosses, war wie geschaffen. Schon meldeten sich Slimmen mil dem Vorschlag, das historische Gemäuer in Zukunft öfter zu nutzen. Der Erlös des Spektakutums kam einem guten Zweck zugute: Der »Interessengemeinschaft Kinderschutz im Landkreis Daun« (IGKS) und dem Jugendhaus Jünkerath. Aber das Ereignis sollte auch noch einen anderen Nebeneffekt erreichen: Das Verhältnis der beiden Nachbargemeinden Jünkerath und Stadtkyll zu verbessern, die sich in der Vergangenheil nicht immer »grün« waren. Jetzt halle man bewiesen, dass auch eine Kooperation möglich ist. Hervorzuheben ist außerdem, dass alle Beteiligten »an einem Strang« gezogen und die vielfältigen Planungen bis zur Ausführung gemeinsam durchgeführt haben. Mit viel Engagement bescherten die Beteiligten der Oberen Kyll einen Tag Karneval im Frühsommer.