''Ein Wunderwerk aus Moos und Wurzeln''

Prof. Matthias Weber, Niederbettingen

Solche »Pilgerscharen« hat die imposante Pfarrkirche Herz Jesu in Niederbettingen, im Volksmund »Eifel-Dom« genannt, in der Weihnachtszeit schon lange nicht mehr erlebt. Ganze Schulklassen kamen angefahren. Familien mit und ohne Kinder sowie eine Fülle von Einzelpersonen. Aus dem ganzen Kreis Daun kamen sie. Offenbar hatte der groß aufgemachte Artikel in der Weihnachtsausgabe '97 des Trierischen Volksfreundes mit seiner echte Neugier weckenden Überschrift »Ein schlichtes Wunderwerk aus Moos und Wurzeln« und dem verlockenden Farbbild eine ungewöhnliche »Volksbewegung« ausgelöst und dadurch den früheren Brauch der Krippenfahrt nach Niederbettingen, wie noch die Alten zu erzählen wissen, wiederbelebt. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde von der Niederbettinger »Wunderwerk«-Krippe im Freundes- und Bekanntenkreis, in Nachbarschaften, Kindergärten, Schulen und Vereinen der Region herumgesprochen, so dass schnell der Gedanke aufkam: Das muss man unbedingt gesehen haben. Schade nur, dass in der Kirche noch kein Gästebuch auslag und die Zahl der Krippenbesucher und deren Eindrücke nicht schriftlich festgehalten wurden. Aber was nicht war, kann ja noch kommen. Immerhin werden die Niederbettinger Krippenfiguren im nächsten Jahr, 1999, 100 Jahre alt. Ein Geburtstag, den die Krippenbauer und -freunde feiern sollten.

Was war der Grund für so viel Aufmerksamkeit, und was gab's zu bewundern? Die Sache hat eine kleine Vorgeschichte. Im Vorfeld der bevorstehenden 100-Jahr-Feier der Pfarrkirche 1998 und angeregt durch etliche Restaurierungen an der Kirchenausstattung erinnerte man sich im Ort auch an die wesentlich schö-

Die Niederbettinger »Altkrippenbauer« der 30er Jahre.

Neue Niederbettinger Kirchenkrippe nach »altem Vorbild«. Fotos: M. Weber 1997

nere Kirchenkrippe von früher, an die, wie sie noch vor 40 Jahren aussah; vor allem an ihren Aufbau als Landschaftskrippe und ihre Größe, die die Grundfläche der ganzen nördlichen Apsis des Querschiffs der Kirche ausfüllte. So etwas zeige das Weihnachtsgeschehen der Christnacht wesentlich eindrucksvoller und anschaulicher, als der einfache, strohgedeckte Pfostenstall auf dem Boden der Nordseite vom Chor der Kirche. Das war jedenfalls die Meinung von immer mehr Niederbettinger Krippenfreunden, die sich bisher dem Bau von privaten Hauskrippen gewidmet hatten. Bald war man sich einig, die Sache praktisch anzupacken. Unverdrossen wurde nach eventuell vorhandenen Fotos oder Zeichnungen von der alten Krippe gesucht, doch da ergab sich bei allen Nachfragen Fehlanzeige. Einzig ein Gruppenfoto der alten Krippenbauer war vorhanden, so dass bald auch die Vorgänger in dieser gemeinnützigen Sparte identifiziert und bekannt wurden. Es handelte sich um längst verstorbene oder gefallene Niederhettinger Männer: Matthias von Landenberg, Peter Blum, Josef Keul, August Hannie, Hannie Endres, Wilhelm Blum, Thomas Leuschen und Anton Blum sowie den sogenannten »Prümer« als namentlich nicht bekannte Leitfigur. Insgesamt also neun »Altkrippenhauer«, denen hier ein kleines, literarisches Denkmal gesetzt werden soll. So waren die »Neukrippenbauer«, die sich inzwischen zur Tat entschlossen hatten, mangels Bildvorlagen ganz auf ihre Phantasie und ihr Gedächtnis angewiesen. Ein Glück nur, dass etliche von ihnen die alte Krippe noch bewusst erlebt hatten. Aus dem unbedingten Wunsch nach einer »Wiedergeburt« der alten Krippe wuchs nun bei einer Reihe tatkräftiger Niederbettinger Krippenfreunde schnell der Plan zum Aufbau einer neuen Krippe nach altem Vorbild. Um Ortsvorsteher Josef Istas scharte sich bald das Fähnlein der sieben Niederbettinger Neukrippenbauer: August Blum, Toni Jakobs, Michael, Peter und Walter Linden sowie Alfred Weber. Nachdem Dechant Kappel in Hillesheim als amtierender Pfarrer der Pfarrei Niederbettingen dem Krippenprojekt zugestimmt hatte, wurde in den Sommermonaten die Strategie zum Bau einer auf Tischhöhe zu errichtenden Landschaftskrippe entworfen. Sie sollte eine Gebirgslandschaft darstellen mit einer Felsenhöhle als Geburtsstätte Christi sowie einem Wasserfall und Lagerfeuer für die Hirten. Im Advent '97 setzte man in der kurzen Zeit von nur 14 Tagen den Plan rasch um ins Werk. Dies bestand im wesentlichen aus Material, das der heimische Wald zwar kostenlos, jedoch nicht ohne Bemühungen anbietet: Wurzelstöcke, Moos, Baumstämme mit frischen Pilzansammlungen, Fichten. Viermal ratterten die Krippenbauer mit Traktor und Anhänger in den Wald. In der dörflichen Stille der Adventszeit war das Unternehmen kaum geheim zuhalten, weder zu überhören, noch bei erfolgreicher Rückkehr mit vollbeladenem Anhänger zu übersehen, was die Spannung im Ort nur noch steigerte. In der Kirche selbst verdeckte ein großer Vorhang bis kurz vor Beginn der Christmette das Überraschungswerk. Mit Recht brachte der zelebrierende Priester, Pfarrer i. R. Latzke, in der Mette auch die Freude und den Dank der ganzen Pfarrgemeinde für diese großartige selbstlose Leistung der Krippenbauer zum Ausdruck.

Naturnähe im Material und Gesamtbild sowie Schlichtheit in den verwandten Figuren, die als überlieferte alte Gipsfiguren, in vielen Kirchen schon lange ausrangiert, und darum in Niederbettingen geradezu altertümlich wirken, kennzeichnen die neue Krippe in der Pfarrkirche zu Niederbettingen. Die Figuren wurden kurz nach Vollendung des heutigen »Eifel-Doms« im Jahre 1899 in Trier angeschafft. Der Kaufpreis betrug 311,- (Gold)Mark. Das war angesichts der damals allgemeinen Armut der Pfarrkinder viel Geld. Immerhin verdiente der Dohmer Schullehrer Wilhelm Langenberg, der auch die Niederbettinger Kinder unterrichtete, da erst 1913 die Volksschule in Niederbettingen gebaut wurde, nur 75,- Mark monatlich als Anfangsgehalt.

Die erfreuliche Resonanz der neuen Niederbettinger Kirchenkrippe von 1997 in der Bevölkerung weit über die Pfarrei Niederbettingen hinaus, regte auch weitere Nachforschungen nach dem »alten Vorbild« und seinen Erbauern an. So weiß Philipp Rauch aus Niederbettingen zu berichten, dass Pastor Billen in den 30er Jahren diese Krippenform aus Waxweiler eingeführt habe. Er habe seinerzeit extra einen Krippenbauer aus Lichtenborn (offenbar die oben als »Prümer« bezeichnete Leitfigur der Altkrippenbauer) kommen lassen, der mit einer Gruppe Niederbettinger Männer die alte Krippe errichtet habe. Ein Foto dieser Mannschaft mit dem Krippenarchitekten der 30er Jahre ist erfreulicherweise erhalten geblieben. So bleibt den Niederbettinger »Neukrippenbau-ern« auch für die Zukunft weiter Gestaltungsfreude und viel Erfolg zu wünschen. Und die jährliche Krippenfahrt nach Niederbettingen möge wieder einen festen Platz in der Fülle der Eifeler Weihnachtsbräuche einnehmen. Dabei lohnt es sich auch, andere schöne Kirchenkrippen in der näheren und weiteren Region zu besuchen und kennenzulernen.

Quellen und Danksagung

- Schlimpen, Bernd: Ein schlichtes Wunderwerk aus Moos und Wurzeln, in: Trierischer Volksfreund vom 24./2S./26. 12. 1997

- Schmilz, Willi: Krippe aus der Vorkriegszeit wurde nachgebaut, in: eifel Journal vom 24. 12. 1997

- Dohmer Schulchronik (1874-1929)

- Pfarrarchiv Niederbettingen: Rechnungsabschrift von 1907

Für freundliche Hinweise, Informationen und Bildüberlassung sei den Herren Michael Linden und Philipp Rauch, beide aus Niederbettingen, herzlich gedankt.