Gewichtsverlagerungen....

Marianne Schönberg, Jünkerath

Von der Veränderung der Wertigkeit soll die Rede sein, ohne erhobenen Zeigefinger und dem unausgesprochenen Unterton... früher, ja früher war alles ganz anders.

Stimmt, aber nicht unbedingt besser. Leben beinhaltet Veränderung, manchmal auch Anpassung an die realen Verhältnisse einer sich immer schneller wandelnden Lebensform. Auch Festtage sind davon nicht ausgenommen. Einst im Kreis der Familie, im Haus gefeierte haben nun den Rahmen eines Empfanges, über Sinn und Zweck lässt sich trefflich streiten. Unser Beispiel - Kommunionfeste, Konfirmationen. Zu kleinen Hochzeiten sind sie oft hochstilisiert und wer es sich leisten kann (oder meint, dass er es muss) macht einen richtig großen Tag aus dem einst bescheidenen Familienfest, das im Grunde dem jungen Menschen gehörte und ihm mit Paten und Verwandten sagen wollte, jetzt bist, jetzt wirst du erwachsen.

Weshalb nun die Verlagerung der Gewichte im Kindesalter? Eine Mutter sah das so...; weiß ich, ob mein Mädchen als Braut noch im bräutlichen Stande ist? Also richte ich- ihm zum Weißen Sonntag »das« Fest aus. Was spricht dagegen?

Der Sinn des Tages gehe mehr und mehr verloren. Das kann, muss aber nicht sein. Wer vermag schon einem Kind, einem jungen Menschen hinter die Stirn zu schauen? Was empfindet man wirklich mit zehn oder vierzehn Jahren und... mag man das öffentlich zur Schau stellen? Oft verbirgt sich doch hinter salopp getarnter Gleichgültigkeit eine tiefe, innere Bindung zur Sache. Das auszusprechen, damit haben viele Erwachsene ihr Problem und von Kindern wird's erwartet. Wer sich am Ehrentag die Mädchen und Jungen anschaut (wenn sie sich unbeobachtet fühlen), bemerkt schon Ernsthaftigkeit, Nachdenklichkeit, das sind gute Ansätze und wenn ein Pfarrer seinen Konfirmanden nach zwei Jahren Unterricht sagt... mit euch hätte ich gern noch weiter gearbeitet..., dann muss da doch mehr gewesen sein als Infostunden nach Plan. Zurück zum Thema - Feste im Wandel der Generationen. Da sitzen in der kleinen Kneipe am Ecktisch die AH-Sportler nach dem Training beim Bier, beim Sprudel. Hallo, wie geht's, was macht die Schreiberei, gibt's was Neues?

Ja, ich suche Leute, die von ihrem Kommuniontag erzählen, von dem, was ihnen wirklich wichtig war und wie der gefeiert wurde. Dafür, so wurde ich lautstark belehrt, interessiert sich doch heute niemand, das ist verschenkte Zeit.

Und dann... die Männer redeten sich Erinnerungen von der Seele... weißt du noch, so kurz nach dem Krieg... mein Bleyleanzug hat so gekratzt und erst die Strümpfe... einen Sportanzug hatte ich mir gewünscht... die Eltern mussten sich so anstrengen, den dunklen Anzug zu beschaffen...; nein, dafür interessiert sich heute niemand. Oder doch?

Eine Erzählung gefiel mir besonders. Da hatte ein Knirps zum Kommuniontag 1949 nur einen Wunsch - einen festen Ball, mit dem man kicken kann. Aus der Verwandtschaft hatte ein Onkel so etwas in Aussicht gestellt, er wolle sich bemühen, nichts war versprochen und der Kleine fieberte während des feierlichen Hochamtes nur diesem Ding entgegen. Nach der Messe wartete er nicht auf die Verwandten, dem Nächststehenden aus der Familie drückte er seine Kerze in die Hand und war wieselflink verschwunden, nach Hause, zu sehen, ob der Onkel da war, ob er den Ball mitgebracht hatte. Welche Freude, als der Knabe das so ersehnte Geschenk bekam! Aus dem Nachbarhaus fand sich ein Spielkamerad, im Festanzug gingen die beiden auf die Straße zum ersten Match und alles war gut - für den Knaben. Die Eltern teilten seine Passion überhaupt nicht und waren verärgert über den Alleingang; der Ehrentag schützte ihn vor spontanen Strafen. Was danach kam? Davon hat er nichts erzählt, er ist heute Lehrer und die jungen Leute mögen ihn.

Wie war so ein Fest früher? Eine unserer Seniorinnen aus dem Kreis der Autoren, Maria Sohlbach in Herzogenrath, verlebte ihre Jugend in Üdersdorf, im Forsthaus. Dort wurde auch der Kommuniontag gefeiert, am großen Tisch mit den vielen Geschwistern, sie erzählt: Damals, vor 75 Jahren war das noch etwas ganz Besonderes im Festkreis kirchlicher Feiertage, es was »das« Freudenfest der Kinder und jeder war stolz sagen zu können... »im nächsten Jahr ist meine erste Heilige Kommunion«. Vom bedeutenden Inhalt war man noch nicht erfasst, aber die Vorstellung, wie schön es ist, wenn die Glocken läuten und man mit Eltern und Geschwistern zur Kirche geht... das war schon wunderbar. Gleich nach Weihnachten holte uns die Wirklichkeit ein, der erste Unterricht begann und da wurde einiges von uns erwartet. Früher als sonst galt's aufzustehen, um vor der Schule die Messe zu besuchen. Unsere Schuhe sollten wir jetzt selbst putzen, nicht mit den Geschwistern zanken, das Abendgebet nicht vergessen, viel besser als sonst die Bibel lesen und Wichtiges lernen. So haben wir uns auf den großen Tag vorbereitet; es war nicht immer bequem. Je näher der Tag kam, um so größer war die Freude. Man wusste, wie das Kleid aussah, das die Hausschneiderin nähte und samstags vor dem Fest kamen viele Hefekuchen in den Steinbackofen, die Patentante und der Onkel trafen ein, helle Aufregung im ganzen Haus und vor Freude konnte man abends nicht einschlafen.

Der Sonntagmorgen, die Glocken ertönten, die ganze Familie war zum Kirchgang bereit, und wir Kommunionkinder nüchtern in schwarzen Kleidern mit weißen Kränzchen, so zogen wir von Orgelmusik begleitet in die Kirche ein. Die Hl. Messe war feierlich, ganz andächtig wartete ich auf den Gang zur Kommunionbank, wo die Hostie gereicht wurde - beim Auszug aus der Kirche begleitete uns die ganze Gemeinde. Zu Hause ein weißgedeckter Tisch; sicher war das Menü nicht mehr als zwei Gänge, doch den Höhepunkt bildete ein Schokoladepudding mit Sahne. Am Nachmittag versammelten sich die Kommunionkinder zur Festandacht in der Kirche, zum Nachmittagskaffee kam der Herr Pastor ins Haus und schenkte mir zur Erinnerung ein Bild mit Namen und Datum. Von teuren Geschenken wurden wir nicht abgelenkt. Ich meine, mich zu erinnern, dass mir die Patentante ein Kettchen mit einem Kreuz schenkte. Der Tag und das Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche waren wichtig, das Fest im Haus mit allen Lieben aus der Familie - darum ging's.

Wer heute goldene Kommunion feiert, beging den Ehrentag kurze Zeit nach dem Krieg, mancher Kinderwunsch blieb unerfüllt. Unsere Autorin Thekla Heinzen aus Feusdorf erinnert sich: Rosenkranz und Lackschuhe. Jedes mal, wenn ich die erhebende Feier einer Ersten Kommunion miterlebe, steigt aus meiner Erinnerung die Melodie des Chores auf... »lasst die Kinder zu mir kommen«. Es war das Eingangslied zu »meinem« Fest. Wo ist die Zeit geblieben? Nun habe ich versucht, diesen wichtigen Abschnitt noch einmal aufleben zu lassen. Was ist mir ganz bewusst geblieben?

Der Gedanke an die Messfeier ist noch heute überwältigend, das Glockengeläut, das Brausen der Orgel, der feierliche Gesang vom Kirchenchor, die Musikkapelle, die vielen Messdiener und weißgekleideten Mädchen rechts und links des Altares, der Duft der Kerzen und Blumen - nein, ich habe nichts vergessen. An welche Gemütsbewegungen erinnere ich mich, wie war ich gekleidet, welche Geschenke gab's und - eine ganz banale Sache - was gab's am Festtag zu essen? Natürlich wurde im Haus gefeiert, mit guter Suppe, magerem Fleisch vom Hausschwein, Gemüse aus unserem Garten, Kartoffeln. Fritten waren zu der Zeit ein Fremdwort. Der Nachtisch: selbstgemachter Karamelpudding, eine absolute Delikatesse. Ich kann mich erinnern, dass es gar nicht einfach war, den »richtig hinzubekommen«, hab's selbst oft versucht, aber sooo gut wurde er nie. Auf die Kaffeetafel kam ein mit Puderzucker bestäubter Riesengugelhupf, jede Menge selbstgebackene Hefetorten waren da, eine Vanille-Buttercremetorte; und das im Jahre 1948. Der Bohnenkaffee war nur über Beziehungen oder im Tausch zu bekommen und die Frage nach den Geschenken ist schnell zu beantworten - es gab keine. Doch vorab gab mir im Hinblick auf das Fest meine Tante einen wunderschönen Rosenkranz am Silberkettchen mit leuchtend blauen Glasperlen. Ich war selig. Doch als ich ihn zum ersten Mal mitnahm, bei einer Prozession, muss ich ihn unsachgemäß behandelt haben. Er verfing sich in einem Wacholderstrauch am Pilgerweg und riss entzwei. Noch heute erinnere ich mich an den Schrecken, der mich durchfuhr. Zu Hause versteckte ich den Rosenkranz unter den wenigen Habseligkeiten in meiner Kommode, und auf die Frage, wo ich ihn denn gelassen hätte, gab ich zur Antwort, ich hätte ihn wohl verloren. Dabei wäre er sicher zu reparieren gewesen, doch ich schämte mich, auf so etwas Schönes so schlecht aufgepasst zu haben.

Das zweite unerwartete Geschenk bekam ich einen Tag vor dem Fest - ein Paar schwarze Lackschuhe mit Lochmuster und schmalem Lederriemchen über dem Fuß. Wer damals Kind war, weiß, was so eine Gabe bedeutete, denn alle Kommunionkinder, Mädchen wie Jungen trugen hohe schwarze Schnürschuhe. Die wurden zuerst nur sonntags angezogen, dann wochentags aufgetragen. Ausgerechnet ich hatte Lackschuhe, dank eines alten Hausierers. Der machte monatlich seine Runde durch die Dörfer, bekam bei uns ein Abendessen und ein Bett für die Nacht und da hatte er wohl seine Beziehungen spielen lassen. Diese heißgeliebten Lackschuhe habe ich lange angezogen, solange, bis meine Füße beim besten Willen nicht mehr hineinpassten. Die schwierige Kleiderfrage wurde durch eine liebe Verwandte gelöst, sie konnte gut mit Nadel und Faden umgehen und nähte bei uns im Haus mein weißes Kommunionkleid. Im Haar trug ich ein geliehenes Kränzchen, es durfte an solchem Tag nicht offen getragen werden, wurde in zwei feste Zöpfe geflochten. Dann noch weiße Strümpfe - was war eine Prinzessin gegen mich? Als ich mit den Eltern zur Kirche ging, war ich mir durchaus bewusst, welch einmalige und großartige Augenblicke auf mich warteten. Jedes Kind wurde einzeln von Messdienern zum Hochaltar geführt, zum ersten Mal zum Tisch des Herrn. Auch eine Achtjährige fühlt ein wenig vom Wunder, das da an ihr geschieht. Den Sinn zu begreifen - das kommt später.

Die Vorbereitung auf unsere Erstkommunion gestaltete sich etwas schwierig. Durch die Nachkriegszeit fiel oft der Schulunterricht aus, wir konnten nur wenig lesen. Und dabei gab es so viel zu lernen! Unser Pastor - er war im Krieg Offizier - war Perfektionist und wir wurden gedrillt wie auf dem Kasernenhof. Das Ergebnis: Ein wunderbar vorbereitetes Fest, das keine Wünsche offen ließ. Heute sehe ich das ein wenig anders. Alle Feste des Kirchenjahres waren damals mit einfachsten Mitteln, enormem Fleiß und viel Phantasie bis ins Kleinste geplant und unser Pastor wollte seine Gemeinde damit aus der Alltäglichkeit herausheben, ihr einen Stellenwert vermitteln, Leitlinien für ein christliches Leben geben. Nachtrag zum Kommunionfest: Ich hätte so gern ein neues Gebetbuch gehabt, eines mit Goldschnitt. Aber es war nur das meines Bruders vorhanden, er blieb im Krieg. Meinem Vater mangelte es nie an Einfallen, er wusste Rat, spannte das alte Buch zwischen zwei Brettchen im Schraubstock, bepinselte die Seiten mit Goldbronze.

Nur, nach dem Trocknen waren die Blätter ineinander geklebt, man musste sie mühsam Seite für Seite voneinander lösen - das Endprodukt war ein fast neues, gut aussehendes Gebetbuch. Das ist mittlerweile verloren gegangen, durch Umzüge und familiäre Neuordnungen, doch in meiner Erinnerung besteht's, wie die Lackschuhe, der Rosenkranz mit den blauen Perlen.