Rechtschreib- ...Reform oder Reförmchen?

Josef Jakob, Jünkersdorf

Da hat doch im Juli '94 der Dauner Bürgermeister eben eine Schreibreform verhindern können. Die (damals noch von einigen Frauen erwünschte) Unterscheidung männlich/weiblich hatte ihn in Versuchung geführt, die Badbenutzer modisch durch »Maarbesucherinnen« anzusprechen. Kam falsch an! Das eingeschobene große »I« war noch kein Allgemeingut. Auch die Form »Besucher/innen« fand im zuständigen Kultusministerium keine Zustimmung. Feministinnen, die etwa auch »man« gleichberechtigt mit einem »man/frau« haben wollten, gaben mit der Zeit auf. Episode erledigt. Die Geschichte der Rechtschreibung ist lang und leidvoll. Schon in der Mitte des 9. Jahrhunderts wollte der Mönch Otfried ein Evangelium in der Sprache des Volkes, also deutsch, fassen. Ganz schnell musste er feststellen, wie bäurisch und schwer zu handhaben diese Sprache sei: »Bisweilen konnte ich weder a, noch e, noch i einsetzen«. Dieses Deutsch zu bewältigen, haben sich kluge Köpfe vorgenommen: Fabritius, Frangk, Luther, Gottsched, die Brüder Grimm, Duden. Dass seit Luther Großschreibung hinzukam, machte das Schreiben zur Kunst, die ohnehin nur ganz wenige Menschen beherrschten. Dreißig Jahre Krieg, mordende Horden von Schweden, Kroaten, Franzosen hinterließen Sprachverwilderungen. Sprachgesellschaften bemühten sich, dem Deutschen wieder auf die Beine zu helfen. Der große Frankfurter/Weimarer Goethe überließ die Sorge um rechtes Schreiben einfach seinem Drucker. Im 19. Jahrhundert wurde der Streit um rechtes Schreiben heftiger. Wozu noch v? Wird es nicht wie f oder w gesprochen? Deutschland wuchs allmählich zu einem deutsch sprechenden Land zusammen, war sich aber im Gebrauch einer Schriftsprache längst noch nicht einig. Reformer standen heftig streitend gegen eine öffentliche Meinung. Eine dritte Gruppe, die Presse, schwieg natürlich auch nicht. In heftigen Angriffen ließ sie an vielen Vorschlägen kein gutes Haar. Das neue Deutsche Reich konnte sich zunächst nur dazu aufraffen, die eingerissene »h-Pest« (Thür, Thräne) weitgehend zu tilgen. Österreich und Bayern brachten eigene Regelungen heraus, nach denen Schulen lehren mussten. 1880 zog Preußen mit einer »Schulorthographie« nach. Die Verwaltung sperrte sich, verweigerte die Änderung. Das war Dudens Stunde. Bei der orthographischen Konferenz von 1901 führte er Protokoll. Sein Name stand für sprachliches Vermögen, was Erfolg versprach.

Die Schweiz und Österreich zeigten sich bereit, auch zu ändern. So hatte man alle Deutschsprachigen unter einem Hut. Duden, inzwischen Rechtschreibpapst, hätte sich weitergehende Veränderungen denken können; zum Beispiel die Kleinschreibung. Aber er wusste auch die Öffentlichkeit gegen sich. Den sogenannten Normalbürger berührt rechtes (normgerechtes) Schreiben erst dann, wenn ihm Umdenken droht. Die Masse fühlt sich übergangen, sperrt sich. Was kann, was darf man den Schreibenden und Lesenden zumuten? Die gemäßigte Kleinschreibung? Fortfall der Dehnungszeichen h, ie, oo, aa, ee? Ph in f, c in k, y in i, qu in kw verwandeln? Nicht nur die »Öffentlichkeit«, auch Politiker drohten Widerstand an. Lehrer, Schriftsteller, Amtspersonen, Laien mischten tüchtig mit. Ein rechter Glaubenskrieg schien auszubrechen. In all dem Gewusele von echten und vorgeschobenen Argumenten half das »Bibliographische Institut«, in dessen Verlag das Wörterbuch erschien, gleichsam als »Duden-Redaktion« aus der Rechtschreibnot, kam ohne amtlichen Auftrag an das Amt des Richters über falsch und richtig beim rechten Schreiben. Damit hat es nun ein Ende. »IdS« heißt das Kürzel für »Institut für deutsche Sprache« in Mannheim. Wird dies die Lösung bringen? In den achtziger Jahren begann, in den Neunzigern sich fortsetzend, der neue »Glaubenskrieg« mit der Aufforderung, sich für oder gegen eine Reform auszusprechen. Ich habe mir aus gebührendem Abstand von der Schule eine umfangreiche Sammlung von Pressenotizen angelegt. Ein Dr. Firnhaber tröstet die Frauen, dass Verbraucher und Verkehrsteilnehmer sowohl Frauen als auch Männer seien (FAZ, Mai 87). Die gleiche Zeitung hält die neuesten Rechtschreibvorschläge für belastet mit wenig Licht und viel Schatten. Im »Trierischen Volksfreund« mahnt L. S., die geschriebene Sprache sei ein Lebensmittel, gehe jeden etwas an, sei notwendig wie Trinkwasser... J. F. findet: »Wek mit alen Regeln. Ale Kinner eins in deutsch. Leerer könen wir einspahren.« Selbstverständlich mischt die Politik mit. Nach Rupert Scholz »muss noch einiges geklärt werden. Ich persönlich werde bei der alten Rechtschreibung bleiben!« FDP-Gerhardt fordert Verbesserungen: »Neuregelungen sollen vor Inkrafttreten von Wissenschaftlern, Schriftstellern, Verlegern und Journalisten gemeinsam verbessert werden.« Quer durch die Parteien laufen die Meinungsunterschiede.

Der »Trierische Volksfreund« erhebt über Telefonumfrage die Volksmeinung und muss feststellen: »Fast alle Anrufer sprachen sich gegen die neue Rechtschreibung aus.« Wenn verschiedene Meinungen gegeneinander stehen, können Gerichte entscheiden. Unsere Bürgerinnen rufen danach. In 1997 beschäftigen sich verschiedene Instanzen mit der Materie und kommen zu genau entgegengesetzten Urteilen.

Das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig meint, man dürfe reformieren, zu Wiesbaden klagen zwei Väter mit Erfolg gegen die neue Rechtschreibung. Unser Rheinland-Pfalz erhält durch ein Urteil die neue Schreibweise, weist seine Schulen gleich an, damit zu beginnen. Beim VG Gelsenkirchen ist man gegen Änderungen.

Wer hat recht? Droht uns das Rechtschreib-Durcheinander? Ein bisschen spät entdecken unsere Schriftsteller ihre Liebe zur Heimatsprache. Weltbekannte und Unbekannte der Zunft verweigern sich jeder erzwungenen Änderung. Inzwischen haben voreilige Bundesländer damit begonnen, die neue Schreibweise im Unterricht zu vermitteln. Ein Bitburger Oberstudienrat sieht immer noch »ein kulturelles Desaster« und sagt gleichzeitig: »Die orthographische Sprachverwirrung muss im Interesse der Schadensbegrenzung so früh wie möglich wieder verschwinden.« Endlich greift Karlsruhe urteilend ein: »Die Rechtschreibreform kommt zum l. August 1998.« Dann folgt eine ellenlange Urteilsbegründung. Dem widerspenstigen Land im Norden wird mitgeteilt, dass die Reform NICHT gegen das Grundrecht verstoße. Und Berlin, wo Fünftklässler mit den Vätern noch besonderes Recht haben wollten, muss sich auch fügen. Das oberste Gericht hatte dafür ein eigenes Urteil gefällt (24. 3. 99). »Die Welt» bäumt sich noch einmal am 10. 4. 99 kräftig auf. Ein Herr G. hält die Schulen für verraten, empfiehlt dem neuen Bundeskanzler, er möge, falls er das wolle, in einem Volksentscheid (gemeinsam mit der Europawahl am 13. 6. 99) alles wieder zurückbeordern. Auch die »Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung« hakt mit einem Sieben-Seiten-Vorschlag nach. Den hält sie für »geeignet, zu einer vernünftigen Rechtschreibung zu kommen«. Neue Rechtschreibbücher stehen zur Verfügung. Aber Vorsicht ist geboten! Noch Mitte 97 hält die »Frankfurter Allgemeine« in einer Übersicht manche der Schreibhelfer für »babylonisch verwirrend«. Sie ähneln sich, sind nicht »dudengerecht«. Alle beruhigt? Alle zufrieden? Das Neueste vom Neuen: Computer-Freaks sind dabei, im Internet die neueste Schreibreform anzuzetteln. Ohne besondere Unterrichtung werden Sie nicht »raffen« (neudeutsch!), was hier gemeint ist: »Hü:-) CU«

 

Drehen Sie die Kurzmeldung um 90 Grad nach rechts. Erkennen Sie das lächelnde Gesicht? Danach entziffern Sie bitte »CU« als »See You«, und schon haben Sie das Beispiel für die folgende Rechtschreibreform. Das war's? Reform oder Reförmchen? Diesen schien sie überflüssig wie ein Kröpf, jenen ging sie nicht weit genug. Die Mehrheit findet sich davon nicht oder nur am Rande berührt.

Halt, es gibt da noch eine INITIATIVE »WIR GEGEN DIE RECHTSCHREIBREFORM«, Sitz in Bitburg. Da glimmt noch ein Funke Hoffnung auf die laufende Volksbefragung in Berlin und eine anstehende in Schleswig-Holstein. Inzwischen haben Zeitungen teilweise oder ganz auf neue Schreibweise umgestellt und unsere Regionalzeitung will ab 1. August 1999 die neue Schreibung praktizieren. Schau'n wir mal.