Die »Stadt« an der Kyll

2000 Jubiläumsjahr in der Orts- und Pfarrgemeinde

Hubert Pitzen, Stadtkyll

Freiungsurkunde des Grafen Carl Ferdinand        Quelle: Originalurkunde

Im Jahre 2000 feiert die Ortsund Pfarrgemeinde Stadtkyll geradezu eine Fülle von »runden« Gedenkjahren. Hierbei handelt es sich im Einzelnen um: 900 Jahre Pfarr- und Ortsgemeinde, 750 Jahre »Stadtnennung« und 325 Jahre Josefspatronat. Dies ist Grund genug, einmal einen kurzen Blick in die Stadtkyller Historie zu werfen und einen wichtigen Aspekt der ereignisreichen Ortsgeschichte herauszugreifen. Der Name »Statt Kyll« geht auf eine Eintragung im Liber valoris (Vermögensbuch) des Kölner Erzbischofs Heinrich von Virneburg aus dem Jahre 1308 zurück. Dieses Abgabeverzeichnis stammt allerdings von einer älteren Liste, die spätestens 1250 entstanden ist. Demnach gehörte »Kile oppid« oder »oppidum Kile« zur »Decania Eyflensis« (Eifeldekanat) der Erzdiözese Köln. Unter der Lateinischen Bezeichnung »oppidum« verstand man zunächst und allgemein eine Befestigung oder ein »fester Platz«. Später übersetzte man den Begriff mit »Stadt«. Es ist interessant, dass an der entsprechenden Stelle im Liber valoris kein anderer Ort mit der Apposition »oppidum« versehen ist. Denkbar erscheint es, dass diese Hervorhebung mit einer möglichen Stadtrechtsverleihung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in engem Zusammenhang steht. In den späteren Stadtkyller Urkunden ist immer von »statt Kyle« die Rede. Leider ist die Stadtrechtsverleihung oder kaiserliche Freiungsurkunde archivalisch nicht mehr nachweisbar. Hier steht Stadtkyll übrigens nicht alleine. Spätestens 1350 war der Höhepunkt der Stadtrechtsverleihungen überschritten. König Rudolf v. Habsburg verlieh beispielsweise am 29. Mai 1291 den Städten Mayen, Wittlich, Bernkastel , Montabaur, Saarburg und Welschbillig die Stadtrechte. Gerolstein leitet seine Stadtrechte von einer Urkunde des Jahres 1336 her. Vor allem die Pestpandemie von 1347-51 ließ die Stadtgründungen rapide zurückgehen.

Vor 1300 muss wohl schon auf dem heutigen »Burgberg« ein burgähnliches Gebäude gestanden haben. Bei solchen »Burgen« handelte es sich meistens in dieser Zeit um stattliche Burgmannshäuser.

 

1279 wird ein Stadtkyller Burgmann in den Archivalien erwähnt. Im Jahre 1345 übertrugen die Blankenheimer Grafenbrüder Arnold I. und Gerhard V. »die statt zu Kyle mit burglichem baw«, Gericht und zugehörigen Dörfern Kerschenbach, Schönfeld, Reuth, Neuendorf, Glaadt und Linzfeld (= Wüstung) dem König von Böhmen. Wie damals üblich, erhielten die Grafenbrüder den Eifelbesitz als Lehen zurück, wobei sie das Versprechen gaben, dem König in Kriegszeiten beizustehen und ihre Burg zu »Statt Kyle« jederzeit zu öffnen (Offenhausrecht). König Johann versprach seinerseits, seine »statt Kyle« zu schützen, als ob es sein eigenes Gut sei. Diese Urkunde verdeutlicht eindeutig, dass Stadtkyll eine Befestigung besaß, die als »Stadt« bezeichnet und als solche angesehen wurde. Nun genügte natürlich eine Burganlage allein nicht, eine Ansiedlung als »Stadt« zu bezeichnen. Hierzu mussten weitere Attribute treten zum Beispiel Stadtverwaltung, Stadtbefreiung (Privilegien), Freiheit aller Einwohner, Stadtbefestigung mit Toren und Türmen, Standort eines Gerichtes (Vogtei), Marktrecht mit eigenen Maßen und Gewichten, die Stellung eines Hofmittelpunktes sowie die Ansiedlung von Handwerk und Gewerbe.

Stadtkyll entwickelte sich zu einem Mittelpunkt eines Hofes und Gerichtes, dem die Dörfer Niederkyll, Linzfeld, Glaadt, Sengersdorf (Wüstung), Kerschenbach, Schönfeld und Reuth angehörten. Die Burgvögte wurden später, während der Regierungszeit Johann Gerhards (1536-1611), durch Schultheißen und Bürgermeister ersetzt. Bis heute zählt Stadtkyll zu den Eifelorten, in denen monatlich Märkte abgehalten werden. Ein Marktrecht bedeutete ein wesentliches Element im Stadtwerdungsprozess. Es war dies die wirtschaftliche Voraussetzung der Stadtwerdung. An einer für Verkehr und Handel strategisch wichtigen Wegekreuzung gelegen, entwickelte sich Stadtkyll zu einem blühenden Gemeinwesen. Graf Hans Gerhard ließ die Stadtmauern mit Türmen und Toren erneuern und stellte die erste Freiungsurkunde aus, leider ist sie undatiert. Die Urkunde lautet (in Auszügen):

»Wir Hans Gerhard, grave zu Manderscheid (...) fuegen hiermit zu wissen (...) unsere alte statt Kill genandt, von newem mit mauren umbringet auch mit pforten und thörnen befestigt und dan de-me zuefolg gern nit allein sehen wollen, dass dieselbe der gebühr nach underhalten, sonderen auch, dass dan bey den bürgeren und inwohnern daselbsten ein bürgerliches wesen in handel und wandel geübt würde, so haben wir (...) diese nachfolgende bürgerliche ploicie ordtnung geben und hiermit bestettigen wollen, dass nemblich all diejenige so sich zur wohnungh in unser statt niederschlagen, mit gebührlicher pflicht sich zue unser hulde und gehor-samb der burgerschafft verbinden und vermitz dem zue allen burger rechten uff- und angenehmen werden sollen. Und zum eingangh allerhand zuelässige commercia und Kauffmannschafft und dergleichen handwerkh in- und außerhalb unseres landts zue ziehen, zue treiben und zue pflegen (...), davon sie binnen den zehen negstfolgenden jharen mit keine accinsen oder sonsten herr- oder statt auflagen zuebeschweren, folgens aber solle es darmitt gehalten werden, wie dass zue Hillesheim und in anderen negst umbliegenden statten die gewohnheit erfunden wirdt. Solte sich auch dasel-best in unserer statt einige Kauffmannsschafft oder handwerck befinden, so gemeine platzen geben oder müllenwerck erforderen würden, solches solle ihmen jederzeit erlaubt sein, wie auch nothwendig gehoeltz und der wasserlauff darzue vergoent werden...«

Das Verleihen der Bürgerrechte - auch für Zugezogene -war ein bedeutendes Privileg für das Gemeinwesen in Stadtkyll. Auch das Heranziehen von Kaufleuten und Handwerkern stellte in allen mittelalterlichen Städten erst den Grundstein dar für das Entstehen einer größeren Ansiedlung. Typisch für eine Stadt waren die Befreiungen von Abgaben und Auflagen. Zur besseren Unterhaltung der Pforten und Mauern sollte die Hälfte aller Wein- und Biersteuern sowie Strafgelder herangezogen werden. Alle Scheunen und Ställe sollten wegen des erhofften Anwachsens der Bevölkerung zur Ringmauer verlegt werden. Ebenso plante der Graf den Bau zweier Backöfen und eines Brauhauses. Alle Gärten belastete der Landesherr mit einem Jahreszins. Unter Graf Carl von Manderscheid (1574-1649) erhielten die Bürger Stadtkylls am 21. November 1611 weitere Verbesserungen. Wörtlich heißt es:

»Wir Carll, grave zu Mander-scheid (...) fuegen hiermit zue wissen (...) gleichwohl gleich unseren gemeinen undertha-nen mit Froen (= Frondienste), diensten und waß demselben anhengig belestiget gewesen, dass derwegen zue befürderung eines bürgerlichen, erbaren wesens in han-tierung, gewerb und handt-wercken unß auf gnaden nun an (...) nit beschwert und belestiget, auch hinfhuro deß pfordtsgelts so biß anhero geben gantz und zuemahl ledig und frey gehalten werden sollen...«

Alle Abgaben für Gärten, »Pe-schen« und »Bungarten« (= Obstgärten) inner- und außerhalb der Stadt kamen zur Nutznießung an die Stadt, wobei der Bürgermeister diese einnehmen und verrechnen sollte. Eine »politische Stattordnung« sollte statuiert und vom Grafen ratifiziert werden, von der später die Rede sein soll.

Während des 30jährigen Krieges erlitt Stadtkyll ein trauriges Schicksal. 1632 zerstörte ein Feuerinferno das aufstrebende Bürgerstädtchen; marodierende Soldaten hatten nach der Plünderung Feuer gelegt und die meisten Häuser vernichtet.

So kann man sich die »Stadt« an der Kyll vor 200 Jahren vorstellen. Die Stadtmauer mit Türmen und Toren umschließt die Burg und Kirche. Die Bebauung ist nicht eingezeichnet. Zeichnung: H. Delvos Quelle: Delvos H., Stadtkyller Chronik

 

Graf Ferdinand Ludwig (1613-1671) bestätigte am 24. März 1661 die »Freiheit« des Fleckens zu Stadtkyll. Auffallend ist, dass nun nicht mehr von »Statt« die Rede ist, sondern von »Flecken«. Sicherlich hatten die Wirren des 30jähri-gen Krieges dem blühenden Gemeinwesen schweren Schaden zugefügt. Auch Graf Franz Georg (1669-1731) bestätigte am 16. März 1699 »diese inwendig gesetzte Privilegien und Freyheiten« für den Flecken »Kyll«. Ebenso »confirmiren« seine Nachfolger 1733 und 1793 die Vorrechte. So gewährte die letzte regierende Gräfin Augusta kurz vor dem Einmarsch der Franzosen die Privilegien. Erst die Franzosen setzten durch eine eigene Gesetzgebung den Verfügungen der Feudalherren ein Ende.

Die von Graf Carl eingeforderte »Bürgerordnung« ist erhalten geblieben und befindet sich im Landeshauptarchiv Koblenz. Leider fehlt auch hier die Datierung. Naturgemäß enthält die Bürgerordnung eine Reihe von Verhaltensmaßregeln der Bürger. Jeder Einwohner, der ein Vergehen oder Verbrechen sah, musste dieses dem Bürgermeister anzeigen. Wer es verschwieg oder ein Gesetzesverstoß erfand, sollte einen Goldgulden zahlen. Wegen der großen Feuergefahr war das Bierbrauen auf dem Kochherd strengstes untersagt. Kein privater Garten sollte zukünftig die Viehherden beengen. Bei der Nutzung der Allmende fielen jährlich zwei Albus Zins an. Alle Bürger waren verpflichtet, sich mit »Kost und Lohn« an dem Bau der Ringmauer zu beteiligen. Bei Baufälligkeit hatten die Einwohner für eine schnelle Reparatur auf eigene Kosten zu sorgen, wie dies auch in Kronenburg und Gerolstein der Fall war. Logischerweise gab es diverse Verhaltensmaßregeln, die die Landwirtschaft betrafen. Eine große Feuergefahr bildeten unsaubere und baufällige Schornsteine. Diese wurden abgerissen und mit zwei Gulden Strafe belegt. Weiter heißt es wörtlich: »Wan auch die Bürger beieinander seindt und einer den anderen mit unverschämten Worten leist liegen, solle zu straff geben 6 albus. So offt es gehoert wirdt.«

Die Bürgerordnung bestimmte auch die Zusammensetzung des Rates, der aus Schultheiß und sieben Schöffen bestand. Zwei Feldschützen wurden beauftragt, die Weiden, Äcker und Gärten zu kontrollieren. Zum Schluss heißt es: »Item sollen alle diejenigen, es seie weibs oder mans person so außwendig (= außerhalb, der Verf.) in die Statt kommet und sich binnen die Stadt verheyrath wollen, den bürgermeistern vor bürgerrecht zu geben schuldig sein. Ein manns person 8 Goldgulden, ein weibs person 4 Goldgulden (...) seindt es aber zwey bürgerskinder, die sich sammen darbinnen verheyrathen sollen mit einem Goldgulden loß sein und werden.«

Gültigkeit besaßen diese Verordnungen bis zur französischen Zeit. Das Gericht zu Stadtkyll wurde durch die Franzosen aufgehoben und zu einer Mairie (= Bürgermeisterei) im Kanton Lissendorf erhoben. In preußischer Zeit (seit 1815) fiel Stadtkyll nach der territorialen Neugliederung an den Kreis Prüm und behielt bis zur Verwaltungsreform 1970 den Sitz einer Bürgermeisterei. Abschließend bleibt festzuhalten, dass Stadtkyll sicherlich zu den Ei-feler Minderstädten gehörte. Minderstädte stellten eine Mittelstufe zwischen Dorf und Stadt dar. Der Ort war keine Neugründung der Grafen von Manderscheid-Blankenheim-Gerolstein, sondern er war als befestigte Siedlung in seine Rolle hineingewachsen. Die Freiungsurkunden des 17. und 18. Jahrhunderts deuten auf eine Stadtrechtsverleihung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts hin.

Quellen-

und Literaturhinweis:

Original Freiungsurkunden von Graf Ferdinand Ludwig, undatiert, und deren Bestätigungen in den Jahren 1611, 1614, 1661, 1699, 1733 und 1781

Bürgerliche Ordnung zu Stattkiel:

Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 29 B, Nr. 169 Delvos H., Stadtkyller Chronik

Kettel A., Die Stadtkyller Erblehen und ihre Lage innerhalb der Ringmauern. In: Jb. Kreis Daun 1973

Ders., Stadtkyll, seine Entwicklung und seine Geschichte vom 10. bis zum 13. Jahrhundert. In Prümer Landbote 30/91

Petry K., 700 Jahre Stadtrechte Wittlich, In: Die Eifel, Heft 2, 1991

Schaus E., Stadtrechte im Reg.-Bez. Trier